# taz.de -- 60 Jahre Gewerkschaftszeitung „Express“: Kritik an Sozialpartne… | |
> Die linke Gewerkschaftszeitung „Express“ feiert 60. Jubiläum. In der | |
> neuen Arbeitswelt bleiben ihre Grundsätze hochaktuell. | |
Bild: Die erste „Express“-Ausgabe von 1962 | |
„Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“, dieser | |
Untertitel des Express klingt sehr nach den 1970er Jahren, als viele Linke | |
aus politischen Gründen in die Betriebe gegangen sind. Doch der Express | |
International wurde bereits 1962 von Linkssozialist*innen gegründet. | |
Sie fanden sich mit ihren antikapitalistischen Vorstellungen spätestens | |
nach der Verabschiedung des Godesberger Programms in der SPD nicht mehr | |
wieder und hielten auch Distanz zu allen autoritären Modellen des | |
Staatssozialismus. Die 12-seitige Nullnummer des Express International | |
bestand 1962 fast ausschließlich aus Übersetzungen von Texten aus linken | |
US-amerikanischen und italienischen Zeitungen. | |
Bereits 1964 stieß mit Eberhard Schmidt ein Autor zum Express | |
International, der es sich später als linkes Mitglied der IG Metall einen | |
Namen machte. Für die linke Zeitung schrieb er allerdings unter Pseudonym. | |
Schließlich war sie in den Vorständen der DGB-Gewerkschaften nicht | |
besonders beliebt, gehört doch eine Kritik an deren | |
sozialpartnerschaftlichen Linie seit der Gründung zum Markenkern des | |
Express. Mit dem gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 wuchs die | |
LeserInnenschaft. 1972 fusionierte das Blatt mit der Sozialistischen | |
Betriebskorrespondenz des Sozialistischen Büros, einer damals | |
einflussreiche Organisation, in der sich Linke jenseits von | |
Sozialdemokratie und (Neo-)Stalinismus organisierten. | |
Während fast alle diese Organisationsversuche gescheitert sind, kann der | |
Express zum 60. Geburtstag sogar auf steigende Abozahlen blicken. „Da haben | |
sich Linke aus der traditionellen ‚Arbeiterbewegung‘ nicht gescheut, mit | |
den jüngeren 68ern gemeinsame Sache zu machen“, beschreibt Torsten | |
Bewernitz gegenüber der taz das Erfolgsgeheimnis des Express. Das Mitglied | |
der Express-Redaktion betont, dass dort heute Menschen, die im Express | |
International und im Sozialistischen Büro aktiv waren, mit | |
Aktivist*innen aus den 1990er, 2000er, 2010er Jahren zusammenarbeiten. | |
Ideologische Schubladen spielen im Express bis heute keine Rolle. | |
Sozialdemokrat*innen, DKP-Mitglieder und Anarchosyndikalist*innen | |
finden sowohl sich bei den Autor*innen als auch bei den Leser*innen. | |
Bewernitz hat sich durch die Student*innenproteste 1997/98 | |
politisiert und engagierte sich bei der anarchosyndikalistischen | |
Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU), bevor er beim Express | |
angedockt hat. | |
## Vernetzung im Pflegebereich | |
Mit den Veränderungen in der Arbeitswelt beschäftigt sich der Express nicht | |
nur in theoretischen Texten. Viele der in der fordistischen Betrieben der | |
Metallbranche aktiven Kolleg*innen sind längst in Rente, so dass es | |
schwieriger geworden ist, Informationen aus der dortigen Arbeitswelt zu | |
bekommen. Dafür gibt es im Express mehr Beiträge [1][aus dem Carebereich], | |
wie der Pflege- und Gesundheitssektor genannt wird, aber auch aus dem | |
Dienstleistungssektor. Dort gibt es nicht nur zahlreiche aktuelle Kämpfe, | |
sondern auch aktive Kolleg*innen, die darüber berichten wollen. So gibt es | |
im aktuellen Express Artikel über die erfolgreiche Tarifkampagne in der | |
Servicegesellschaft des Klinikums Nürnberg. | |
Mit Berichten über hierzulande oft wenig beachtete Arbeitskämpfe in | |
Belarus und Brasilien bleibt der Express auch weiterhin seinen | |
internationalistischen Grundsätzen der Gründungsjahre treu. Torsten | |
Bewernitz befasst sich in einer Studie mit aktuellem Betriebsaktivismus | |
und der Rolle des Express dabei. Dazu zählt die Vernetzung von | |
betriebslinken Gruppen, die aktuell in der Pflege und der | |
Krankenhausbewegung unter Beschäftigten von Lieferdiensten und in | |
Einzelunternehmen wie Amazon entstanden sind. Bewernitz weist zudem | |
darauf hin, dass kürzlich von Berliner Rider:innen die Vernetzung von | |
Betriebsaktiven der älteren und der jüngeren Generation als dringlich | |
formuliert wurde. | |
Auch der Wunsch nach Orten, Zeiten und Medien für einen überbetrieblichen | |
Austausch sei formuliert worden. Auch wenn viele Gewerkschaftler*innen | |
eine Senkung des Rentenalters fordern, der Express hat auch nach 60 Jahren | |
noch wichtige Aufgaben zu erfüllen. Um gewerkschaftliche Organisierung wird | |
es auch auf der Express-Jubiläumskonferenz am 8. Oktober im Medico-Haus in | |
Frankfurt am Main gehen. | |
21 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Tarifkampf-in-der-Pflege/!5789855 | |
## AUTOREN | |
Peter Nowak | |
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