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# taz.de -- Fußball in Frankreich: Torschüsse gegen den Kapitalismus
> Red Star Paris spielt in der dritten Liga Frankreichs. Ein
> US-Investmentfonds kauft nun den Verein. Aber die französische Linke
> kämpft für den Klub.
Bild: Im Kampf erprobt und mit Bengalos ausgestattet: die Fans von Red Star Par…
PARIS taz | Das letzte Spiel der Saison für die U16-Mannschaft des FC Red
Star hatte es in sich: ein 10:1-Sieg. „Die Jungs spielen wie Hunde. Sie
lassen nicht locker“, erzählt stolz ihr Trainer Gaoussou Karamoko. Obwohl
Red Star zu den ärmsten Fußballklubs im Großraum Paris gehört, gewinnt die
Jugendmannschaft so gut wie gegen jede Mannschaft hier, sogar gegen die U16
von Paris Saint-Germain. In der nächsten Saison spielt Red Star in der
frankreichweiten Liga.
Auf den grünen Trikots von Red Star prangen die weißen Lettern ihres
[1][Département: „Seine-Saint-Denis“]. In Frankreich wird mit diesem
Ortsnamen oft Gettoisierung, Drogenhandel und organisierte Kriminalität
assoziiert, doch bei Red Star ist man stolz auf seine Wurzeln. Viele
Jugendliche aus der Banlieue treten dem Klub in der Hoffnung bei, von einem
bekannteren Verein entdeckt zu werden. Im Juli wechseln vier U16-Spieler,
darunter einer zum PSG, ein anderer zu Olympique de Marseille. Letzterer
wird sogar für die französische Auswahl getestet.
Solche Talente fehlen anschließend in der Männermannschaft von [2][Red
Star]. Die gilt als Fahrstuhlteam zwischen zweiter und dritter Liga.
Derzeit spielt sie in der dritten. Es fehlt das Geld, um die jungen Spieler
im Klub fertig auszubilden, klagt der Vereinsvorsitzende Patrice Haddad.
Mit diesem Hinweis versucht Haddad wenigstens ein bisschen zu
rechtfertigen, warum er Red Star, den symbolträchtigsten Verein der linken
Fußballszene Frankreichs, an den Investmentfonds „777 Partner“ aus den USA
verkauft hat. Auf einer Pressekonferenz sprach Haddad, und weitergehende
Fragen wollte er gegenüber der ausländischen Presse nicht beantworten.
„Ich glaube ihm kein Wort“, schimpft Vincent Chutet-Mezence über Haddad.
„Der Verein verspricht seit 20 Jahren, dass er mit dem Transfererlös unsere
jungen Talente fertig ausbilden wird. Das passiert aber nicht.“
Chutet-Mezence leitet das Kollektiv „RS Bauer“, einen Fanklub von Red Star.
## Antifaschistische Tradition
Treffpunkt Stadion: Mitten im Plattenbau der Vorstadt Saint-Ouen ragt das
Stadion hervor, das „Stade Bauer“. Das Gebäude ist mindestens so ikonisch
wie der Klub selbst. Benannt wurde das 1908 gebaute und zuletzt 1975
renovierte Gebäude nach Dr. Jean-Claude Bauer, einem jüdischen Kommunisten
und Widerstandskämpfer, 1942 von den Nazis hingerichtet.
„Alles an Red Star schreit nach antifaschistischem und antikapitalistischem
Widerstand“, sagt Chutet-Mezence. „Schau, da auf der Tribüne ist mein
Platz.“ Er zeigt auf drei Paletten, die vor dem Zaungitter lieblos
aufeinandergestapelt wurden. „So kann mich jeder sehen und ich kann mit dem
Megafon die Chants anstimmen.“ Angesichts seiner Größe von 1,90 Meter und
seines stattlichen Körpervolumens fragt man sich, wozu er die Paletten
braucht.
Sein Großvater, ein zugewanderter Arbeiter aus Guyana, brachte ihn das
erste Mal zu Red Star, da war er 7 Jahre alt. Mittlerweile ist das Stade
Bauer eine charmante Bruchbude, von der ab und zu weiße Ziegelsteine
herunterfallen. Aus diesem Grund dürfen hier keine Spiele der zweiten Liga
mehr ausgetragen werden.
Doch jetzt, wo der Verein für 10 Millionen Euro verkauft wurde, mit einem
jeweils 4-Millionen-Zuschlag pro Aufstieg, fehlt das Geld für die
überfällige Renovierung. Vincent Chutet-Mezence und sein Fankollektiv haben
sich schon seit Jahren für den Ausbau des Stadions eingesetzt. Aber sie
können sich nicht freuen, ihnen drehen sich die Mägen um.
„Weißt du, für wie viel Geld sie den Klub verkauft haben“, regt sich
Chutet-Mezencer auf. „Wir spielen dritte Liga! Es gibt Vereine aus der
ersten Liga, die für halb so viel verkauft werden!“ Für Vincent ist das ein
weiterer Beweis dafür, dass der Investmentfonds keine Ahnung von Fußball
hat.
## Investement und Fußball
Erst vor zwei Jahren begann der Fonds, mit seinem Geld Fußballvereine zu
kaufen: Vasco da Gama in Brasilien, Lüttich in Belgien, Genua in Italien.
„Und jetzt kaufen sie uns.“ Vor allem investieren die Anteilseigner in die
Luftfahrt. Chutet-Mezence sagt, der Fonds habe doch nicht das Wohl seines
Vereins im Blick sondern den maximalen Profit. Darum gehe es doch bei einem
Fonds.
Um ihren Ärger zu zeigen, warfen die Fans von RS Bauer Mitte April bei
einem Spiel von Red Star gegen den FC Sète Dutzende Bengalos auf das Feld.
Der Schiedsrichter brach das Spiel ab, denn der Kunstrasen fing Feuer. Eine
gelungene Aktion, findet Chutet-Mezence. „Hätten wir ein Transparent
aufgehängt oder Flugblätter verteilt, niemals wären wir auf soviel Resonanz
gestoßen, wie mit 25 Bengalos“, sagt der 35-Jährige.
Wie fast jeden Abend geht Vincent Chutet-Mezence auch heute ins Café
Olympic de Saint-Ouen, direkt gegenüber vom Stadion. Er wohnt um die Ecke,
jeder kennt sich hier vom Fußball, man begrüßt sich mit zwei sanften
Kopfnüssen an den Schläfen – wie die französische „Bise“, nur mit mehr
Testosteron. Vielleicht vermutet es nicht jeder, aber hier ist das
Miteinander meist sehr liebevoll.
Hinter dem Tresen steht Abdellatif Hamiche. Er zapft und schenkt noch aus,
obwohl sein Café eigentlich bereits geschlossen ist. Beim Reden hält
Hamiche gerne die Arme seiner Gäste fest, als befürchte er, eines seiner
Wörter könnte aufgrund seines algerischen Akzentes unterwegs verloren
gehen.
## Arbeitersport Fußball
Einer der Gäste im Café Olympic ist Dimitri Manessis. Der Historiker nippt
an einer Cola. Für ihn ist Red Star ein Unikat in Frankreich. Anders als in
England, Italien oder Spanien war Fußball hierzulande nicht immer ein
Volkssport. In den 1930er Jahren war Radsport mit der Tour de France die
bevorzugte Sportart der Arbeiterklasse. Erst ab den 1950er Jahren konnte
sich der Fußball langsam als Volkssport durchsetzen, und das geschah vor
allem in der Pariser Banlieue. „Der Fußball trug hier zu Sozialisation bei,
zur Bildung und nicht zuletzt zur Politisierung“, erklärt der 32-jährige
Manessis. Er arbeitet als Historiker an der Universität von Burgund.
Früher wurde die Pariser Banlieue auch „Ceinture Rouge“ genannt, der rote
Gürtel, da in den Gemeinden rund um die Innenstadt vor allem
Arbeiter*innen lebten, die sozialistisch oder kommunistisch wählten.
Auch während der deutschen Besatzung wurde hier der antifaschistische
Widerstand organisiert, und die Bewohner trugen erheblich zur Befreiung
1944 bei.
Red Star wurde also nicht zufällig zum wichtigsten Verein für linke
Fußballfans, erklärt Manessis, der Fan und Forscher. „Und dafür tun wir
jetzt alles, um den Verein aus den Klauen des Kapitalismus zu befreien.“
Vor den französischen Parlamentswahlen am Sonntag wird der Verkauf von Red
Star zum Politikum, vor allem für das linke Bündnis Nupes. Das hat sich
gebildet nach den Präsidentschaftswahlen im April. Zum ersten Mal seit 30
Jahren haben sich in Frankreich die wichtigsten linken Parteien
zusammengeschlossen: Kommunisten, Sozialisten, Grüne und die Partei La
France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) von Jean-Luc Mélenchons.
## Red Star sammelt die Linke
Im Grunde war das Fanspektrum von Red Star schon eine Art Allianz des
linken Spektrums, bevor Nupes gegründet wurde. Um sich von seinem Vorgänger
[3][Nicolas Sarkozy] abzugrenzen, hatte 2015 der sozialistische Präsident
François Hollande ein Heimspiel von Red Star im Stade Bauer besucht.
Sarkozy unterstützte Paris Saint-Germain, der aktuelle Präsident Emmanuel
Macron unterstützt Marseille. Neoliberale Politiker halten sich von Red
Star fern.
Aber allen linken Parteien in Frankreich liegt etwas am Erhalt von Red
Star. Einen offenen Brief, den RS Bauer in der Tageszeitung Le Monde
veröffentlichte, wurde auch von Jean-Luc Mélenchon unterzeichnet. Dabei ist
der Spitzenkandidat des Bündnisses Nupes gar kein Fußballfan. Dass
Mélenchon den Brief unterschrieb, ist Éric Coquerel zu verdanken. Der
63-Jährige gehört zu den führenden Figuren von France Insoumise, er ist für
den Wahlkreis in Saint-Ouen im Parlament, und vermutlich wird er am Sonntag
wiedergewählt. In der ersten Wahlrunde am 12. Juni erhielt er knapp 54
Prozent der Stimmen.
Coquerel ist auch bei RS Bauer beliebt, denn er setzt sich im Wahlkampf für
ein Gesetzesvorhaben ein, das es Investmentfonds künftig verbieten soll,
mit Sportvereinen zu spekulieren. Die Gesetzesvorlage hat Coquerel
gemeinsam mit Marie-George Buffet ausgearbeitet, der ehemaligen
Sportministerin, die im benachbarten Wahlkreis für die Kommunisten wirkte.
Eric Coquerel sagt: „In Frankreich haben wir fast nur Red Star, das sich
gegen die Entwicklung des Profifußballs profiliert, das wahre Werte
vertritt und nicht nur nach einer kapitalistischen Logik funktioniert.“ Den
Investmentfonds 777 Partner nennt Coquerel einen „Geier“, die Vereine müsse
man vor ihm schützen.
## Gesetz gegen Fußballinvestoren
Dafür haben Coquerel und Buffet die Gesetzesvorlage ausgearbeitet. Doch
falls das linke Bündnis am Sonntag die absolute Mehrheit in der
Nationalversammlung verpasst – und danach sieht es aus –, wird es nichts
mit dem gesetzlichen Schutz für Red Star.
Vincent Chutet-Mezence und sein Fanklub RS Bauer lassen sich davon nicht
unterkriegen. „Was gerade mit Red Star passiert, geht weit über France
Insoumise hinaus“, sagt er, während er im Café Olympic ein Bier trinkt.
„Wir sind zwar der erste Klub in Frankreich, der von einem Investmentfonds
aufgekauft wird, aber andere werden folgen.“ Daher werde das bald auch
andere Vereine, andere Fans, andere Parteien beschäftigen, „auch im
Ausland“, fügt er hinzu. „Und für diejenigen, die dachten, wir würden na…
zwei Monaten aufhören: Da täuscht ihr euch gewaltig. Es ist gerade erst der
Anfang.“
18 Jun 2022
## LINKS
[1] /Praesidentschaftswahlen-in-Frankreich/!5846563
[2] /Klassenkampf-auf-dem-Fussballplatz/!5401572
[3] /Sarkozys-neuer-Plan/!5186965
## AUTOREN
Léonardo Kahn
## TAGS
Fußball
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Jean-Luc Mélenchon
Fußball
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Liga.
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