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# taz.de -- Nordossetien und der Ukraine-Krieg: 200.000 Rubel im Monat
> Für Geld in den Krieg ziehen oder sich gegen den übermächtigen Staat
> stellen? Die Meinungen der Menschen in Nordossetien gehen auseinander.
Bild: Militärparade am 9. Mai in Wladikawkas
Der Krieg wird langsam zu einer gewöhnlichen Alltagskulisse. Die Menschen
haben gelernt damit zu leben, dass irgendwo Kämpfe stattfinden, dass
Zivilisten und Soldaten ums Leben kommen. All das passiert nur im
Hintergrund. Aber die Informationsexplosionen erreichen auch Regionen, die
von der Ukraine weit entfernt sind. Und diese Explosionen sind oft stärker
als die echten.
In so kleinen Gegenden Russlands wie in Ossetien kennt jeder jeden. Und
deshalb war es eine echte Sensation, als 300 Soldaten, die aus Ossetien in
den Krieg gezogen waren, nach Hause zurückkamen. Natürlich gab es keine
großen Ankündigungen oder Interviews, aber in den Messengerdiensten wurden
Sprachnachrichten einiger dieser Verweigerer geteilt, die wirklich
schreckliche Dinge erzählt haben. Sie sagten, dass sie nicht darauf
vorbereitet waren zu kämpfen, wenn ihre Befehlshaber, denen ihre Leben
anscheinend absolut gleichgültig gewesen seien, sie völlig grundlos in die
Schlacht geschickt hätten.
Die Geschichten dieser Verweigerer versucht man totzuschweigen: Man hat sie
so eingeschüchtert, dass sie nicht darüber gesprochen haben, nicht mal mit
ihren nächsten Angehörigen, und jetzt verklagen einige von ihnen die
russische Armee, um gegen ihre Entlassung zu protestieren. Aber es ist
ziemlich vorhersehbar, wie das Ergebnis aussehen wird.
Unterdessen werden in Ossetien und einigen anderen Regionen weiter
Freiwillige für den Krieg rekrutiert. Und auch, wenn darunter viele sind,
die wirklich kämpfen wollen, dann gibt es auch viele, die nur deshalb einen
„Freiwilligenvertrag“ unterschreiben, weil sie dafür im Monat 200.000 Rubel
bekommen. Das ist sechsmal so viel wie ein Standardgehalt in unserer
Republik. Der Krieg ist für diese Leute die einzige Chance, Geld für ihre
Familien zu verdienen, [1][angesichts der jetzt steigenden Preise für
Lebensmittel] und Waren. Eine andere Möglichkeit, solch hohe Summen zu
verdienen, gibt es in Ossetien sonst nicht.
Im Allgemeinen kommt der Großteil der Freiwilligen in der Ukraine aus den
wirtschaftlich benachteiligten Regionen Russlands. Und Ossetien ist eine
von ihnen. Und außerdem kommen von hier auch viele Berufssoldaten. In den
drei Kriegsmonaten sind mehr als 70 Zinksärge nach Ossetien zurückgekommen,
sowohl mit Berufssoldaten als auch mit Freiwilligen. Für eine so kleine
Republik wie unsere ist das eine gewaltige Zahl. Besonders wenn man daran
denkt, dass in zehn Jahren des Afghanistankrieges insgesamt 58 Menschen aus
Ossetien gefallen sind.
Gleichzeitig verspürt man bislang noch keine massenhafte Unzufriedenheit.
[2][Die staatliche Propaganda] konnte die Bürger, nicht nur in Ossetien,
sondern im ganzen Land davon überzeugen, dass die „Spezialoperation“
notwendig war und dass die Menschen dabei für die richtige Sache sterben.
Wahr ist aber auch, dass sich jetzt erstmals Menschen äußern und anfangen,
Fragen zu stellen. In den Parks von Wladikawkas, der Hauptstadt von
Nordossetien, sind über Nacht „Nein zum Krieg“- Graffitis aufgetaucht. Sie
wurden natürlich sofort entfernt. Aber am nächsten Tag waren sie wieder da.
Das ist im Moment die einzige radikale Möglichkeit, seine Haltung zum Krieg
in der Ukraine zum Ausdruck zu bringen.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der [3][taz Panter Stiftung].
Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA
im September als Dokumentation heraus.
8 Jun 2022
## LINKS
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[3] /!p4550/
## AUTOREN
Boris Epchiev
## TAGS
Kolumne Krieg und Frieden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kaukasus
Propaganda
Russland
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