| # taz.de -- Neues Buch über Gründung Israels: Als die ČSR Israel Waffen lief… | |
| > War es Imperialismus? Jeffrey Herf analysiert in seinem Buch „Israel’s | |
| > Moment“ die Entstehung des jüdischen Staates im Schatten des Kalten | |
| > Kriegs. | |
| Bild: Jüdische Kinder feiern am 14. Mai 1948 in Tel Aviv die Proklamation des … | |
| Dass der Zionismus keine eigenständige Nationalbewegung ist, sondern bloß | |
| Produkt oder Werkzeug des westlichen Imperialismus, gehört zu den | |
| Klassikern antiimperialistischer Mythen. Mit „Israel’s Moment“ hat Jeffrey | |
| Herf, Historiker und Autor von [1][„Unerklärte Kriege gegen Israel“], nun | |
| ein Buch vorgelegt, das der Frage nachgeht, inwieweit die USA und | |
| Frankreich sowie die Sowjetunion und der Sowjetblock die Gründung und | |
| Sicherung des Staates Israel unterstützt haben – Großbritannien kommt am | |
| Rande vor. | |
| Herf nimmt dabei vor allem die Zeit von Mai 1947 bis Mai 1949 in den Blick. | |
| Grob zusammengefasst sprach damals das UN-Komitee UNSCOP seine auch auf | |
| Recherchen vor Ort basierende Empfehlung für die Teilung des britischen | |
| Mandatsgebietes in einen jüdischen und einen arabischen Staat aus. Die | |
| UN-Vollversammlung nahm diese im November 1947 an, worauf ein Bürgerkrieg | |
| folgte. Nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung am Vorabend des | |
| britischen Abzugs begannen die arabischen Nachbarstaaten einen | |
| Angriffskrieg, der im Mai 1949 durch separate Waffenstillstandsabkommen | |
| endete. | |
| ## Gegen den Widerstand des Pentagons | |
| Gegenstand von „Israel’s Moment“ sind aber weniger die Geschehnisse im | |
| Land, über die bereits viel – und gerade in Israel von den „Neuen | |
| Historikern“ durchaus kontrovers – geschrieben wurde. Auf Grundlage von | |
| Archivrecherchen macht Herf vielmehr deutlich, dass aufseiten der USA zwar | |
| Präsident Truman die UN-Teilungsresolution unterstützte und Israel als | |
| Erster anerkannte. Dies geschah allerdings gegen den deutlichen Widerstand | |
| vor allem des State Department und des Pentagons, die einen eigenen | |
| jüdischen Staat in Palästina mit Verweis auf US-Sicherheitsinteressen | |
| ablehnten. Konkret ging es dabei um die Sicherung des Zugangs zu arabischem | |
| Öl und um die Eindämmung des Kommunismus, der pauschal auch mit dem | |
| entstehenden Staat Israel assoziiert wurde. | |
| Demgegenüber waren es – tatsächlich – die Sowjetunion und Staaten aus dem | |
| Sowjetblock, die damals für das zionistische Projekt eintraten. Ein | |
| berühmtes Beispiel ist die Rede des sowjetischen UN-Botschafters Andrei | |
| Gromyko bei der Palästina-Sondersitzung der UN-Vollversammlung im Mai 1947; | |
| ein weiteres die militärische Ausbildung und Lieferung von Waffen, Munition | |
| und Kampfflugzeuge an Israel durch die Tschechoslowakei. Ohne den Bruch des | |
| von den USA initiierten UN-Waffenembargos hätte Israel den Krieg wohl | |
| nicht überlebt. | |
| Diese Formen der Unterstützung kontrastiert Herf mit der späteren | |
| diplomatischen und militärischen Unterstützung der arabischen Feinde | |
| Israels sowie mit dem den stalinistischen Säuberungsprozessen inhärenten | |
| Antisemitismus. Im berühmten Slánský-Prozess in Prag legte man dem früheren | |
| Außenminister auch die Waffenlieferung an Israel zur Last. Mit zehn | |
| weiteren Angeklagten wurde Vladimir Clementis wegen seiner angeblichen | |
| Mitgliedschaft in einer „Titoistisch-trotzkistisch-zionistischen | |
| Verschwörung“ zum Tod verurteilt und erhängt. | |
| ## Unterstützung aus dem Ostblock | |
| Herf weist immer wieder darauf hin, dass die Unterstützung Israels durch | |
| die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, Polen und auch die Ukraine im Kern | |
| Teil der strategischen Machtpolitik vor dem Hintergrund des aufziehenden | |
| Kalten Kriegs war. So bezeichnet er etwa Gromykos UN-Rede voller Verweise | |
| auf die Shoah und die miserable Situation der jüdischen Displaced Persons | |
| in Europa als ein „cleveres und zynisches Unterfangen, die Erinnerung an | |
| den Holocaust für die sowjetische Expansion im Nahen Osten in den Dienst zu | |
| nehmen“. | |
| Insgesamt aber geraten in „Israel’s Moment“ nationale Eigendynamiken | |
| innerhalb des Sowjetimperiums zu wenig in den Blick. Zudem verschwimmt | |
| immer wieder der Unterschied zwischen diplomatischer Rhetorik und | |
| Handlungsmotivation. Dabei macht Herf selbst deutlich: Mit einer | |
| beträchtlichen Summe von 302 Millionen heutiger US-Dollar brachten die für | |
| Israel überlebenswichtigen Lieferungen der Tschechoslowakei immerhin auch | |
| dringend benötigte Devisenreserven. | |
| ## Die Nazi-Kollaboration von Amin al-Husseini | |
| Wie in den USA Kongress-Abgeordnete und JournalistInnen für Israel Partei | |
| ergriffen, arbeitet Herf in einer detaillierten Analyse heraus. Freda | |
| Kirchwey, Redakteurin des linksliberalen Magazins The Nation, spielte eine | |
| Schlüsselrolle bei der Publikation von Material über die Nazi-Kollaboration | |
| von Haj Amin al-Husseini und anderen Mitgliedern des Arab Higher Committee, | |
| als diese – letztlich erfolgreich – versuchten, bei der UN als offizielle | |
| Vertretung der Palästinenser anerkannt zu werden. Andere Journalisten | |
| setzten sich sogar für eine Anklage von al-Husseini als Kriegsverbrecher in | |
| Nürnberg ein – vergeblich. | |
| Eine zentrale Rolle in Herfs Buch spielt der Journalist I. F. Stone. In The | |
| Nation und PM (Picture Magazine) arbeitete er sich wortgewandt und | |
| leidenschaftlich an den britischen Immigrationsrestriktionen und am | |
| Einfluss der Ölindustrie auf die US-Nahostpolitik ab. Auch die Darstellung | |
| jüdischer Immigration als sowjetische Unterwanderung durch das | |
| US-Außenministerium, das Waffenembargo sowie die für Israel inakzeptablen | |
| UN-Waffenstillstandsresolutionen und der Friedensplan des UN-Vermittlers | |
| Bernadotte, der vorsah, dass Israel die Negev-Wüste und den für Wirtschaft, | |
| Immigration und Sicherheit enorm wichtigen Hafen von Haifa abtritt, | |
| beschäftigten ihn. | |
| Gerade bei I. F. Stone wäre es interessant gewesen, mehr über seine | |
| späteren Positionierungen zu Israel und den Konflikten der Region zu | |
| erfahren. Zudem fehlt ein Blick auf das Kräfteverhältnis zwischen den | |
| Positionen in der US-Presse und jenen im Kongress. Deutlich wird in jedem | |
| Fall, wie sehr Herf – der sich selbst regelmäßig als leidenschaftlicher, | |
| politisch liberaler Publizist zu Wort meldet – die Arbeit der Journalisten | |
| als Teil der vierten Gewalt und als notwendiges öffentliches Korrektiv der | |
| Regierung begreift. | |
| ## Eine Geschichte voller Widersprüche | |
| In Bezug auf Frankreich arbeitet Herf die disparaten Politiken des Außen- | |
| und des Innenministeriums heraus. Er argumentiert: Um Verbündete im Nahen | |
| Osten zu gewinnen, wurde Amin al-Husseini auch von Frankreich nicht wegen | |
| Kriegsverbrechen angeklagt und ihm schließlich sogar die Rückkehr in die | |
| Region gewährt. Kontrastiert wurde dies von der Ermöglichung jüdischer | |
| Auswanderung über Frankreich nach Palästina, wo die Briten ihre scharfen | |
| Einwanderungsrestriktionen rigoros umsetzten, wie etwa die Exodus-Affäre | |
| zeigt. Offen bleibt in Herfs Darstellung, wie sich damals die französischen | |
| Medien und das Parlament positionierten. | |
| Durch Herfs Buch zieht sich eine Faszination für die im aufziehenden Kalten | |
| Krieg zum Teil noch anders gelagerten politischen Koordinaten. Das ist | |
| nachvollziehbar vor dem Hintergrund jahrzehntelanger | |
| antizionistisch-antiimperialistischer Propaganda, die auch in der heutigen | |
| Israel-Feindschaft nachwirkt. Indes: Ob dies alles ein „Interregnum“ linker | |
| und liberaler Israel-Unterstützung darstellte, die sich auch aus | |
| „antifaschistischer Leidenschaft“ infolge des Zweiten Weltkriegs speiste, | |
| müsste noch systematischer analysiert werden. | |
| Insgesamt aber ist „Israel’s Moment“ ein faszinierendes Buch, das sich | |
| durch seine detaillierten Einzelanalysen auszeichnet. | |
| 15 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Till Schmidt | |
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