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# taz.de -- Jonathan Kwesi Aikins über „Tatort“: „Ich habe diese Power v…
> Am Sonntag spielt Jonathan Kwesi Aikins wieder im „Tatort“ aus
> Norddeutschland. Er meint, dass Diversität im Fernsehen eine
> aufklärerische Wirkung hat.
Bild: Jonathan Kwesi Aikens: „Ich mag, wenn Menschen Leidenschaften ausleben�…
taz: Herr Aikins, am Sonntag treten Sie im „Tatort“ auf, zum dritten Mal
[1][spielen Sie einen LKA-Beamten]. Können Sie in drei Sätzen den Plot
erzählen?
Jonathan Kwesi Aikins: Es geht um Undercover-Einsätze in der linken Szene,
wo ein paar kriminelle Dinge passieren. Als die untersucht werden, stellt
sich heraus, dass auch auf der Seite der Polizei Dinge nicht so gelaufen
sind, wie sie hätten laufen sollen. Es gibt zudem eine Verwobenheit mit der
Vergangenheit der Hauptkommissarin Julia Grosz – und es geht um die Frage
des Kodex der Polizei.
Was für einen Kodex?
Ich meine den Verhaltenskodex, wie Polizisten ihre Arbeit machen und wie
sie den Menschen, der Zivilgesellschaft gegenüber auftreten. Es geht darum,
dass ich als Polizist kritisch sein muss gegenüber meiner eigenen Arbeit
und auch mal kritisch sein muss gegenüber den Kollegen, wenn sie unrecht
tun zum Beispiel.
Sind Sie der Good Cop oder der Bad Cop?
Der Polizist meiner Rolle, Thomas Okonjo, ist überzeugt, dass er gute
Arbeit macht, indem er versucht, Menschen zu helfen und kriminelle Fälle
aufzuklären. Sein Problem sind die Kollegen und Kolleginnen, die kriminelle
Dinge tun. Er weiß das, möchte aber gleichzeitig den Fall aufklären.
Der NDR hat ja für diesen „Tatort“ erstmals einen „Inclusion Rider“
genutzt, also bei der Besetzung auf Diversität geachtet. Es wurden mehr
nichtweiße Menschen eingestellt und besonders viele Frauen. Eine gute Idee,
oder?
Ich finde es sogar sehr wichtig, den Facettenreichtum der Gesellschaft mehr
widergespiegelt zu sehen am Set. Es ging ja nicht nur um die Besetzung vor
der Kamera, sondern auch um die Jobs dahinter: wer die Geschichte schreibt,
wer Ton macht et cetera. Das ist eine Chance, verschiedene Geschichten,
Perspektiven, Erfahrungswelten zu vermitteln – und natürlich Zugänge zu
ermöglichen für Menschen, die bis jetzt marginalisiert sind in der Branche.
Das Schöne am „Tatort“ ist, da gibt es sehr viel Potenzial, die
Gesellschaft etwas näher zusammenrücken zu lassen. Die Distanz wird
überbrückt, wenn Menschen durch Schauspiel, durch Geschichten berührt
werden und merken, wow, da ist ein Mensch hinter der „Fassade“, hinter
diesem „Äußeren“, das ich bislang immer nur mit bestimmten Eigenschaften
assoziiert habe.
Viele Schauspieler*innen, die nicht wie die typisch deutsche Kartoffel
aussehen, erzählen, dass sie bei Rollenbesetzungen auf bestimmte Typen
reduziert werden – wie Taxifahrer, Dealer, Mafioso. Erleben Sie das auch?
Ja, immer mal wieder. Aber ich merke auch, dass es eine langsame
Veränderung gibt. Ich hoffe einfach, dass Menschen und ihre Geschichten
vielfältig dargestellt werden.
Was für eine Veränderung spüren Sie denn?
Ich denke, dass Sendungen mit einem Edutainment-Ansatz viele Menschen
erreichen können. „Tatort“ kann das weiter ausbauen. Es gab zum Beispiel
mal eine Folge über den [2][Oury-Jalloh-Fall] …
… ein junger Schwarzer, der in einer Polizeizelle in Dessau verbrannt ist –
angeblich, so die Polizei, nach Selbstentzündung.
Nach der „Tatort“-Folge hat die Oury-Jalloh-Initiative, die den Tod für
einen Polizisten-Mord hält, viele Mitteilungen von Leuten bekommen, dass
sie sich, nachdem sie den „Tatort“ über den Fall gesehen haben, doch
vorstellen können, dass es anders gelaufen sein kann, als die Polizei
sagte. Das zeigt, wie viel Einfluss ein „Tatort“ haben kann.
Springen wir ein wenig zurück: Warum sind Sie eigentlich Schauspieler
geworden?
Ich war auf der Suche, wollte etwas finden, was mir Spaß macht. Denn in der
Schule habe ich mich nicht wohlgefühlt und gesehen, dass da einige Sachen
ungesund sind für mich, für die Gesellschaft. Dann auf einmal habe ich
diese Power verspürt, als ich mit einer Gruppe von Schwarzen Jugendlichen,
wir waren Freunde und Freundinnen, ein Wochenende mit dem Theaterpädagogen
Sebastian Fleary verbracht habe.
Wie alt waren Sie da?
Ungefähr 17. Der Theaterpädagoge hat mit uns unter anderem biografisch
gearbeitet, aber auch körperlich. Es ging darum, seinen Körper wahrzunehmen
in verschiedenen Situationen, in denen man sich ohnmächtig fühlt. Für die
Mädchen zum Beispiel eine unangenehme Situation in einem Club, für die
Jungs etwa eine Begegnung mit der Polizei. Oder Situationen in der Schule
oder auch in den Medien. Wie fühlt sich der Körper an und wie möchten wir
uns fühlen? Wie kann man versuchen damit umzugehen, wie kann man zur
Balance kommen, wie sich befreien? Das ging so in Richtung
[3][Forumtheater/Theater der Unterdrückten] von Augusto Boal.
Und was passierte nach dem Wochenende?
Es hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir uns regelmäßig getroffen und ein
Theaterstück zusammen entwickelt haben. Es hat ein paar Jahre gedauert,
weil wir aus unterschiedlichen Orten Deutschlands kamen und der
Theaterpädagoge tatsächlich etwa 28 Anträge schreiben musste, um Geld für
uns zu bekommen.
Das hat er gemacht?
Ja! Damals wurden Empowerment-Projekte wie dieses noch nicht so unterstützt
von der Politik, und er hat sich echt ins Zeug gelegt, damit wir uns weiter
treffen konnten. Mit dem Stück, es hieß „real life: Deutschland“, hatten
wir eine Deutschlandtournee. Und weil wir kein Geld hatten, hat uns die
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland unterstützt und unter anderem
überall Schlafplätze besorgt. Diese Erfahrung hat mich verändert.
Warum genau?
Ich habe die Wirkungsweise von Theater erlebt – in mir, aber auch in den
Zuschauer*innen. Diese Berührung, diese Transformation, wenn wir merken,
wir haben alle bestimmte Sehnsüchte, nicht nur Schwarze Menschen oder so.
Es geht um Peace, Love, Unity, safely having fun: Diese Elemente sind das,
wonach ich die ganze Zeit Sehnsucht hatte und die ich im Schauspiel
gefunden habe. Das gibt mir Energie und ich gebe Energie. Es ist immer ein
Geben und Nehmen: Ich gebe und nehme gleichzeitig.
Was genau war in der Schule eigentlich falsch gelaufen?
Dort herrschte für die meisten Menschen dieser Druck, nicht genug zu sein.
Schule könnte aber ein Ort sein, um Leidenschaften zu leben und Potenziale
auszuschöpfen, Fehlerfreundlichkeit zu lernen, in Human Skills zu wachsen.
Lernen, wie man die Gesellschaft nachhaltig für alle verbessern kann. Für
mich hat es keinen Sinn gemacht hinzugehen, wenn das nicht beigebracht
wird. Ich mag lachen, Comedy – Schule wirkte immer so ernst. Ich mag, wenn
Menschen Leidenschaften ausleben – in der Schule wurden die meisten
gedeckelt. Es geht in der Schule nicht immer um Wertschätzung, sondern mehr
um Produktivität. Und dann kommen noch Machtverhältnisse wie Rassismus und
Klassismus dazu, die die Schulerfahrung beeinflussen. Und mit der Zeit
merkst du, das hat einen negativen Effekt auf dich und deinen Alltag, wie
du wahrgenommen wirst. Wenn ich um die Ecke komme, haben einige Menschen
Assoziationen, die problematisch sind. Das ist übrigens das Schöne am
Fernsehen.
Was jetzt?
Dass man mit den Bildern positive Assoziationen erschaffen kann. In dem
„Tatort“ zum Beispiel trage ich die Haare nicht wie jetzt offen, sondern
ich habe Cornrows/Braids – diese am Kopf geflochtenen Zöpfe. Ich habe schon
vor längerer Zeit kapiert, dass viele Menschen negative Assoziationen damit
haben – obwohl das eine jahrhundertealte Tradition ist von meinen
Vorfahren, obwohl es Kunst ist und die Haare auch schön pflegt. „Protective
Hairstyle“ sagt man auch dazu. Und das passt zu der Figur Thomas Okonjo.
Deswegen wollte ich diesen Haarstil im „Tatort“ drinhaben.
Wie fanden das Ihre Eltern, als Sie nach dem ersten Workshop gesagt haben,
ich mache das mit dem Theater weiter?
Das war sehr problematisch, weil ich angefangen hatte die Schule zu
schwänzen. Ich war sowieso auf sechs verschiedenen Schulen, habe sehr viel
durchgemacht – als „das Problemkind“. Ich habe noch einen älteren Bruder,
neun Jahre älter, der ist eine ganz andere Richtung gegangen, akademisch.
Als meine Mutter mitbekam, dass ich die Schule schwänzte und währenddessen
Theaterproben machte, hat sie gesagt, das geht nicht.
Und dann?
Als sie mich einmal auf der Bühne gesehen hatte, hat sie es sofort
verstanden. Sie sagte hinterher: Ich habe diese Energie gespürt, die du auf
der Bühne hast und ich sehe, wie du angekommen bist und dich wohlfühlst.
Aber sie hatte halt trotzdem Angst um mich. Deshalb bin ich später noch mal
zurück zur Schule, in die elfte und zwölfte Klasse – aber am Ende habe ich
trotzdem abgebrochen. Funfact: In den letzten zwei Jahren habe ich nebenbei
Fortbildungen für Lehrer*innen gegeben.
Fortbildungen in was?
Es geht darum, Schule für alle besser zu machen und die Schulerfahrungen
und Zugänge fairer zu gestalten. Es geht darum zu reflektieren und selbst
zu erkennen: Wo trage ich bestimmte Vorurteilsmuster in mir und wie kann
ich die Pädagogik bereichern mit diversitätsorientiertem Wissen? Wie kann
ich mich mit anderen Menschen connecten, um Veränderungen systematisch zu
erzeugen?
Wie kam es dazu, dass Sie solche Kurse geben?
Mund-zu-Mund-Propaganda. Ich hatte schon vorher angefangen,
Empowerment-Workshops mit Kindern und Jugendlichen zu machen. Eigentlich so
ähnlich wie mein erster Theater-Workshop. Es geht darum, Gefühle
auszudrücken, über schwierige Themen zu reden, aber auch um
Menschenrechtskenntnis.
Wie ging es weiter nach der ersten Erfahrung mit dem Jugendtheater? Haben
Sie damals beschlossen, Schauspieler zu werden?
Ich habe gar nicht gesagt, dass ich Schauspieler werden möchte, weil ich
konnte mit dem Begriff in Verbindung mit mir selbst nichts anfangen. Ich
musste diesen Begriff für mich selbst erst mal entdecken und ihm eine
Bedeutung aus mir heraus geben. Ich war nicht klassisch auf einer
Schauspielschule, aber wollte immer lernen. Learning by doing, KollegInnen
beobachten – ich habe einfach nur gemacht. Genauso wie diese Workshops für
die Kinder. Ich habe Theater gespielt und Workshops gegeben, aber ich habe
dem keinen Titel gegeben. Ich habe immer gesagt, ich bin „supporter of good
things“, ich mache, was ich als gut empfinde.
Und irgendwann hat das erste „richtige“ Theater angeklopft.
Ja, genau, das war das Staatstheater Mainz. Ich war damals in der 12.
Klasse und meine Lehrerin hatte mir gerade gesagt, dass sie will, dass ich
noch mal wiederhole, das wäre besser für mein „Potenzial“. Da bin ich
aufgestanden und zu dem Casting gegangen – und sie haben mich genommen.
Danach haben sie auch in Berlin Theater gespielt, oder?
Ja, am Gorki Theater unter anderem. Wir hatten auch eine eigene
Theatergruppe namens „Liberation Noir“. [4][Aicha Diallo], die Gründerin,
hat damals gesagt, wir brauchen einen Ort, wo wir uns beschäftigen können
mit Themen, die uns als Schwarze und Künstler*innen interessieren. Das
fand ich sehr, sehr wertvoll. Ich denke, es gilt, insgesamt
Selbstorganisationen zu unterstützen, mit Geld, mit Räumen: Da stecken
Schätze für die Gesellschaft, da sind Themen, die raus müssen.
Gab es irgendwann einen Punkt, wo Sie gesagt haben, jetzt bin ich
Schauspieler?
Das kam eher so schleichend. Mit den Jahren. Als ich am Maxim Gorki Theater
gespielt habe, fragte mich [5][Cavo Kernich], ein Regisseur von der UdK,
der Universität der Künste, der seinen Abschlussfilm machen wollte, ob ich
die Hauptrolle spielen möchte. Ich hatte das noch nie gemacht und natürlich
voll Bock, es auszuprobieren. [6][Der Film „Mikel“] wurde bei der Berlinale
eingereicht, ich wurde für den Götz-George-Schauspiel-Nachwuchs-Preis
nominiert. In dieser Zeit fiel der Begriff Schauspieler immer öfter, ich
kam in eine Agentur. Seither ist für mich nach und nach eine neue Welt
aufgegangen
Dann kam der Glamour?
Das nicht. Aber in der Filmwelt dabei zu sein, war eine neue und schöne
Erfahrung. Denn diese Welt war für mich vorher immer weit entfernt. Ich
komme ja nicht aus einer Familie, die irgendwas mit der Filmbranche zu tun
hat. Aber jetzt bin ich mittendrin. Ich bin einfach happy, Schauspieler zu
sein und freue mich auf das, was kommt.
Was kommt denn als Nächstes und was würden Sie gerne mal machen?
Vor Kurzem durfte ich das erste Mal in einer Soko-Reihe mitspielen, das
wird im August ausgestrahlt. Die Vorbereitung dafür war für mich
außergewöhnlich schön, denn meine Tochter, die neun Jahre alt ist, hatte
von sich aus angeboten, dabei zu helfen. Und dann ist sie mit mir nicht nur
den Text immer und immer wieder durchgegangen. Sie hat richtig mitgespielt,
war voll in den anderen Rollen drin und hat angefangen, ein Set zu
designen. Nach dem zweiten Tag meinte sie: „Beim nächsten Mal, wenn du Text
lernen musst, muss ich dir wieder helfen, denn es macht so viel Spaß!“
Ansonsten habe ich Lust auf verschiedenste Genres: Comedy, Action, Drama.
Einen Vampir würde ich sehr gerne mal spielen – im Comedy-Genre wär das
doch lustig.
12 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/tatort-hamburg-umgebung-d…
[2] /Oury-Jalloh/!t5024194
[3] https://www.zutp.de/forumtheater/
[4] https://independent.academia.edu/AichaDiallo
[5] https://www.filmportal.de/person/cavo-kernich_6beefb8cdb714cd6910a99e545a0f…
[6] https://www.crew-united.com/de/Mikel__211776.html
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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