# taz.de -- Freiräume in Berlin: Der Spielplatz hat Geburtstag | |
> Das urbane Dorf Holzmarkt feiert Zehnjähriges. Seine Krisen gehören der | |
> Vergangenheit an. Man ist erwachsener geworden, aber nicht langweiliger. | |
Bild: Partystimmung auf dem Holzmarktgelände am Sonntag | |
BERLIN taz | Sie haben sie tatsächlich noch einmal aufgebaut. Mitten im | |
Sälchen, dem größten Veranstaltungsraum auf dem Gelände des Holzmarkts, | |
steht sie: die legendäre Bar25, mit der hier alles seinen Anfang nahm. „Wir | |
haben damals jedes Brett nummeriert, bevor es in den Container kam“, | |
berichtet [1][Christoph Klenzendorf,] eine*r der Mitbegründer*innen | |
der Bar, mit maximal verklärtem Lächeln. | |
Er erinnert sich voller Nostalgie und Liebe an die Zeit, als die Bar nach | |
sieben Jahren und einer fünftägigen rauschenden Abschiedsparty 2010 | |
geschlossen wurde – die Berliner Stadtreinigung BSR, Eigentümerin des | |
Geländes, wollte verkaufen. | |
Doch Klenzendorf konnte seinen Frieden mit dem Ende der Bar machen. Nur | |
zwei Jahre später gelang es seinen Mitstreiter*innen, mithilfe einer | |
Schweizer Stiftung das ehemalige Gelände der Bar zu kaufen. Alternative | |
Projektentwickler gewinnen ein Bieterverfahren gegen Immobilienhaie, und | |
das in bester Lage: Schöne Schlagzeilen waren das. Berlin, die Hauptstadt | |
der Kreativen, hatte sein Hippie-Image wieder einmal unter Beweis gestellt. | |
Was danach folgte, wurde von vielen Beobachter*innen der Stadt als | |
wagemutige Angelegenheit bewertet: Mitten in einer Gegend, in der die | |
Freiräume immer knapper wurden, gründeten die Partyleute eine | |
Genossenschaft und schufen einen würdigen Nachfolger der Bar. Im urbanen | |
Dorf Holzmarkt kann man bis heute rund um die Uhr ans Ufer, es wird gut | |
gegessen und lang gefeiert, in den kunterbunten, in- und übereinander | |
verschachtelten Holzhütten gibt es Club, Restaurant, Café und Weinladen, | |
aber auch Ateliers und Artisten, Filmproduktion und Kindergarten, | |
öffentliche Wege und den Mörchenpark. | |
## Der Geist der Nachwendejahre | |
Wie nur noch ganz wenige Orte dieser Stadt atmet der Holzmarkt auf | |
zeitgemäße Art den freien Geist der Nachwendejahre, in der ganz Berlin | |
manchen eine einzige Spielwiese war, auf der weder hohe Mieten noch Stress | |
durch geregelte Arbeitszeiten oder ähnliche Zumutungen eine übermäßig große | |
Rolle spielten. | |
[2][Seit Samstag und bis zum Pfingstmontag feiert der Holzmarkt | |
beziehungsweise die Genossenschaft hinter dem Holzmarkt 10. Geburtstag] – | |
und auch, wenn manche*r ältere*r Besucher*in an diesem schönen | |
Sonntagnachmittag, dem Kinderpiratentag, ins Sälchen stolpert und beim | |
Anblick der Bar ein Tränchen verdrücken mag: Die meisten machen nach kurzer | |
Andacht auf dem Absatz kehrt und wollen wieder raus ins Getümmel. Die | |
Stimmung auf dem Kinderpiratentag ist einfach zu ausgelassen. | |
Auch, wenn der Holzmarkt viele Kämpfe zu bestehen hatte, wirken derzeit | |
einfach alle nur entspannt bis euphorisch. Viele, die mit ihren Kindern | |
gekommen sind, haben sich wie in alten Zeiten in der Bar mit den Kostümen | |
mehr Mühe gegeben als der Nachwuchs: An der Bar steht einer, der aussieht | |
wie Kapitän Efraim Langstrumpf persönlich, ein anderer geht im | |
Ganzkörperanzug als überdimensionierter Ara, eine wirkt wie eine verwegene | |
Neuinterpretation des haarigen Vetters bei der Addam’s Family. | |
## Plausch nach der Geisterbahn | |
„Als würde der ganze Holzmarkt in all seinen Facetten endlich mal wieder | |
zusammen spielen“, sagt Mario Husten beschwingt und führt raschen Schrittes | |
zum kurzen Plausch durch eine Geisterbahn zum Katerschmaus, dem Restaurant | |
mit Spreeblick. | |
An einem Tag wie diesem hat Mario Husten, der sich seit 2011 vor allem um | |
die Holzmarkt Genossenschaft kümmert, wenig Lust, über all die | |
Anstrengungen und Misserfolge zu sprechen. [3][Der lange Streit zwischen | |
Holzmarkt und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg] um einen spektakulär | |
luftiges Holzhaus zum Arbeiten und Leben, das der Holzmarkt auf der anderen | |
Seite der Gleise hatte bauen wollen und schließlich unterlag? „Vorbei“, | |
sagt Husten. Corona? „Nicht vorbei, aber gut überstanden“, lächelt er. | |
Und die Lärmbeschwerden, mit denen der Holzmarkt im sich verändernden | |
Umfeld immer wieder konfrontiert ist? Mario Husten lässt sich nicht in die | |
Suppe spucken. „Ach, das schaffen wir auch noch“, sagt er und beginnt | |
ausschweifend über all das zu reden, was sie sich erarbeitet haben in den | |
vergangenen Jahren, was sie alles noch erreichen wollen in den nächsten. | |
## Letzte Insel | |
Wie also ein Projekt, das eigentlich provisorisch angelegt war und nun über | |
200 Angestellte verfügt, beweglich bleiben kann – und wie da gerade eine | |
neue Generation heranwächst, die auf dem Holzmarkt eines Tages das Ruder | |
übernehmen könnte. Da sind zum Beispiel [4][ein Gäste- und ein Hochhaus], | |
die irgendwann einmal auf dem Gelände entstehen sollen. Da ist aber auch, | |
dass der Holzmarkt, wie er heute ist, zunehmend wie eine der letzten Inseln | |
der Glückseligen an der Spree wirkt – und schon allein deshalb keine Lust | |
mehr habe, sich noch immer selbst zu erklären. | |
Mario Husten hat recht, denn vom S-Bahnhof Jannowitzbrücke bis zur | |
Rummelsburger Bucht wächst in letzter Zeit immer mehr stählerne | |
Investorenarchitektur in den Himmel. Es ist eine Stadt in der Stadt, die da | |
entsteht – und zwar keine, in der Kategorien wie die berühmte Berliner | |
Mischung, Nachbarschaftlichkeit und Aufenthaltsqualität eine Rolle spielen. | |
Berlin habe 20 Jahre nach dem Mauerfall – als die Genossenschaft den | |
Zuschlag für das Gelände bekam – noch immer geschlafen, so erklärt es der | |
grüne Ex-Justizsenator und Langzeitparlamentarier Wolfgang Wieland der taz. | |
Wieland, der übrigens am heutigen Dienstag um 17.45 Uhr anlässlich der | |
großen Sause am Holzmarkt mit Filmemacher Florian Opitz über „Drei | |
Jahrzehnte Berlin“ sprechen wird, hatte lang versucht, zwischen Holzmarkt | |
und Bezirk zu vermitteln. Er verbringt, wie er sagt, privat immer wieder | |
gern Zeit auf dem Gelände. „Die Stadt hat auch dann noch alle | |
Liegenschaften verkauft, die sie verkaufen konnte; alle Baugenehmigungen | |
erteilt und Auflagen geopfert, als sie das längst nicht mehr nötig hatte“, | |
so Wieland. | |
## Es wird voller | |
Seine größte Sorge ist deshalb eine, die auch Mario Husten umtreibt – | |
obwohl im Augenblick weder der eine noch der andere darüber sprechen will: | |
Was, wenn rund um den Holzmarkt alle schnöden Nutzbauten fertig sind, wenn | |
tausende neue Anwohner*innen sich abends auch mal auf ein Bier unter | |
einen Baum setzen wollen? Dann droht dem Holzmarkt Übernutzung. | |
Doch an diesem Sonntag ist es einfach nur wild und lustig im Dorf. Viele | |
Leute sind gekommen, sehr viele Leute sogar. Kinder fahren in einem | |
Piratenboot die Spree rauf und runter, die Sängerin einer Band rülpst mit | |
dem Publikum um die Wette, an einem Stand dürfen junge Menschen | |
Mitarbeiter*innen des Holzmarkts mit Schokoküssen bewerfen. Auf dem | |
höchsten Gebäude weht der Schriftzug „Danke“. „Heißa Holzmarkt“, sagt | |
Wolfgang Wieland. | |
In ein paar Tagen wird die Bar25 im Säälchen wieder abgebaut. Aber niemand | |
ist ernsthaft traurig darüber. | |
31 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Montagsinterview/!5180915 | |
[2] https://10jahre.holzmarkt.com/ | |
[3] /Probleme-beim-Bauprojekt-Holzmarkt/!5499261 | |
[4] /Platz-an-der-Spree-in-Berlin-wird-knapp/!5805690 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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