# taz.de -- Wiederbelebung alter Luftschutzbunker: Decke übern Kopf | |
> Die deutschen Weltkriegsbunker wurden vor 15 Jahren aufgegeben. | |
> Angesichts des Ukrainekrieges könnte das wieder rückgängig gemacht | |
> werden. | |
Bild: Begehrte Zuflucht: Eingang des ABC-Bunkers unter dem Hauptbahnhof in Nür… | |
BREMEN taz | Überm Tor zur Vergangenheit prangt ein blaues Dreieck auf | |
einem orangen Kreis: das internationale Symbol für Zivilschutz. Wolfgang | |
Schwabe schließt mit zwei Schlüsseln eine Gittertür auf, hinter der ein | |
paar Stufen ins Dunkle führen. Es ist der Eingang zum Hochbunker in der | |
Bremer Admiralstraße – ein Bauwerk der Nazis, das im [1][Kalten Krieg] zu | |
neuen Ehren kam und von dem man sich jetzt fragen kann, ob es vielleicht | |
vorschnell aufgegeben wurde. | |
Schwabe ist ein älterer Herr in Jeans und trägt eine Umhängetasche mit der | |
Aufschrift „Stattreisen“. Für dieses Unternehmen führt der Rentner | |
Touristen durch die Bremer Unterwelten, zu denen der Hochbunker zwar nicht | |
faktisch, aber umso mehr atmosphärisch gehört. Schwabe ist selbst ein Kind | |
der 1950er Jahre. Der Bunker wurde seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr | |
gebraucht, ist seit 15 Jahren außer Betrieb. „Ich bin glücklich, dass ich | |
in dieser Zeit in diesem Land aufgewachsen bin“, sagt der Stadtführer. | |
Doch seit Russland die Ukraine überfallen hat, ist die Zeit eine andere | |
geworden. Plötzlich dringt durch, dass in russischen Talkshows schon seit | |
ein paar Jahren darüber diskutiert wurde, wie das Baltikum annektiert oder | |
ein Atomkrieg geführt werden könnte, wie [2][Publizistin Marina Weisband | |
berichtete]. Erinnerungen an den Kalten Krieg kommen hoch: Atomkriegsfilme, | |
Friedensdemos, Nato-Herbstmanöver. | |
Der Hochbunker in der Bremer Admiralstraße wurde wie viele seiner Art in | |
den Jahren 1941 bis 1943 erbaut, nachdem sich der zunächst begonnene Bau | |
von Tiefbunkern als zu aufwendig erwiesen hatte. Wie heute noch in Bremen, | |
Hamburg und Berlin zu sehen ist, füllten diese Bunker Baulücken. Sie | |
sollten nicht weiter auffallen und sich in die Häuserzeile einfügen. | |
Während des Krieges wurden sie mit optischen Täuschungen bemalt. | |
Diese „Luftschutzhäuser“, wie die NS-Regierung sie nannte, sind in der | |
Regel nicht nur Betonklötze. Ihre Fassaden sind häufig durch Gesimse oder | |
Lüftungslöcher gegliedert. Ursprünglich sollten sie der Umgebung | |
entsprechend verkleidet werden, was aber 1941 wegen Arbeitskräftemangels | |
verboten wurde. Die Nazi-Planer griffen gerne auf Formen der Vergangenheit | |
zurück. So entstanden runde, tatsächlich verklinkerte Türme nach dem | |
Vorbild mittelalterlicher Stadttore. | |
Solche Türme des patentierten Typs „Zombeck“ hatten im Inneren eine | |
spiralförmige Rampe, die es ermöglichte, sehr schnell Hunderte von Personen | |
aufzunehmen. Dazu kamen wenige aufwendige überdeckelte Betongräben, Röhren- | |
und flache Rundbunker, die zwar keinen direkten Treffer abkonnten, aber vor | |
Bombensplittern schützten, deren Einschlag an mancher Wand zu sehen ist. | |
Auch die Fassade des Bunkers Admiralstraße ist im archaisierenden Nazi-Stil | |
verkleidet, mit ausbetonierten Ecksteinen, Mauerbändern und Toren mit | |
angedeuteten Sturzbögen. Der unvollendete Bunker bekam im August 1944 einen | |
Treffer auf das eingeschalte Dach, wurde von den verzweifelten Menschen | |
aber trotzdem weiterhin aufgesucht. | |
In den Jahren 1972 bis 1975 setzte der Bremer Senat den Bau im Auftrag des | |
Bundes instand und baute ihn mit Blick auf einen möglichen Atomkrieg aus. | |
Knapp 2.600 Bremer sollten dort 14 Tage ausharren können – so lange, bis | |
die schlimmste Radioaktivität draußen abgeklungen wäre. In einer | |
Schaltzentrale hat einer der beiden privaten Besitzer die Kopie der | |
Schlussrechnung aufgehängt: 3,3 Millionen Mark, darunter 2,6 Millionen für | |
den Rohbau und 600.000 für Technik wie die Be- und Entlüftung sowie die | |
Netzersatzanlage. | |
Dass so eine Anlage Ernst macht, zeigt sich gleich am Eingang, einer | |
Schleuse mit zwei konkaven druckfesten Stahltüren. Eine der beiden Türen an | |
den Enden eines L-förmigen Gangs musste stets verschlossen sein, um eine | |
mögliche Druckwelle abfangen und auch den Zustrom an Schutzsuchenden | |
kontrollieren zu können. Der Schwenkbereich der maschinell betriebenen | |
Türen ist mit schwarz-gelben Bögen markiert. | |
Neben der inneren Tür befindet sich eine Art mit Panzerglas geschützter | |
Schießscharte im 30 Zentimeter starken Beton, darüber ein Kasten mit | |
Steuerungsknöpfen, daneben ein schwarzes Telefon. Von hier aus konnte der | |
Torwächter beobachten, was sich in der drangvollen Enge der Schleuse | |
abspielte; ein Spiegel ermöglichte sogar den Blick um die Ecke. Neben der | |
inneren Tür hing Werkzeug an der Wand: Säge, Beile, mehr als faustgroße | |
Ladestationen für Handlampen. Vorgehalten wurden auch Vordrucke wie | |
„Suchmeldung“ und „Aufenthaltsermächtigung“. | |
Die Generation, die den Bunker eingerichtet hat, wusste aus Erfahrung, | |
worauf es ankommt. „Alle Aggregate sind hier federnd gelagert“, sagt | |
Schwabe und klopft gegen ein mannsdickes graues Rohr. Gläserne Lampen sind | |
mit Gummipuffern an die Wand geschraubt worden, Leitungen schwingend | |
aufgehängt, um ihr Reißen zu verhindern. | |
Den Anstoß, Weltkriegsbunker zu ertüchtigen oder neue Zivilschutzanlagen zu | |
bauen, gaben der Koreakrieg 1950 bis 1953 und die Kubakrise 1962, bei der | |
die Welt tagelang am Rande eines Atomkrieges stand. Laut den Zahlen des | |
Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gab es | |
Anfang der 1990er Jahre beim Auslaufen des Programms in der alten | |
Bundesrepublik rund 2.000 öffentliche Schutzräume. Routinemäßig wurden | |
dafür Tiefgaragen und Bahnhöfe so geplant, dass sie im Verteidigungsfall | |
die Bevölkerung schützen konnten. | |
Dazu kamen rund 9.000 Hausschutzräume, deren Bau zwischen 1968 und 1996 mit | |
55 Millionen Euro gefördert wurde. Wie heute eine umweltfreundliche Heizung | |
konnte sich der Bürger damals den Keller vom Staat mitfinanzieren lassen. | |
## Stehenlassen für den Ernstfall | |
Obwohl der Kalte Krieg zu Ende war, hielt der Bund die Schutzräume weiter | |
vor, beschränkte sich aber darauf, sie instand zu halten. Im | |
Zivilschutzneuordnungsgesetz von 1996 hieß es, sie hätten nach wie vor die | |
Aufgabe, „den Schutz der Zivilbevölkerung in einem nicht völlig | |
auszuschließenden Verteidigungsfall zu gewährleisten“. – Allerdings | |
übernahm das damalige Bundesamt für Zivilschutz die Anlagen der ehemaligen | |
DDR erst gar nicht. | |
Nach den Terroranschlägen vom 9. September 2001 rückten der Bund und die | |
Länder vollends vom alten Konzept ab. Im Frühjahr 2002 verständigten sich | |
die Länderinnenminister auf eine „[3][neue Strategie zum Schutz der | |
Bevölkerung in Deutschland]“. Diese erklärte einen klassischen Krieg in | |
Europa für „höchst unwahrscheinlich“. | |
Stattdessen müsse Deutschland – auch in Zusammenhang mit seinem zunehmenden | |
weltweiten Engagement – mit Angriffen im Stile von 9/11 rechnen. Solche | |
überraschenden Angriffe hätten „im Gegensatz zu klassischen Kriegs- oder | |
Angriffsszenarien unter den Aspekten der nicht vorhandenen Vorwarnzeiten, | |
dem potenziellen lokalen Einsatz von Massenvernichtungsmitteln und der | |
Missachtung aller völkerrechtlichen Regularien eine neue Dimension“. | |
Dann [4][wurde der Bevölkerungsschutz neu organisiert]. Die | |
Zivilschutzbunker wurden 2007 aufgegeben, sukzessive aus der rechtlich | |
fixierten Nutzung entlassen und es wurde mit dem Verkauf begonnen. Marco | |
Haase, der damalige Sprecher der Hamburger Innenbehörde, brachte das so auf | |
den Punkt: „Jahrzehntealte Bunker aus dem Kalten Krieg helfen im Kampf | |
gegen islamistische Terroristen nicht sehr viel weiter.“ | |
## Die nächste Krise kommt bestimmt | |
Nun hat sich der Wind ein weiteres Mal gedreht. Auf eine Anfrage der | |
FDP-Abgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein teilte der Hamburger Senat | |
Anfang März mit: „In Hamburg stehen dem Zivilschutz derzeit keine Objekte | |
zur Verfügung.“ Der Bund wolle das Rückbaukonzept jetzt allerdings prüfen. | |
Dazu solle zügig der Bestand erfasst werden. „Wir entwickeln derzeit | |
Konzepte, wie künftig ein effektiver baulicher Bevölkerungsschutz aussehen | |
kann“, sagt BBK-Präsident Armin Schuster. Eine Umsetzung wird jedoch Zeit | |
und viel Geld kosten. | |
Klar ist, dass ein solcher Schutz nur einem Bruchteil der Bevölkerung | |
zugute kommen würde, wie leicht auszurechnen ist, wenn die modernsten | |
Mehrzweckanlagen auf 5.000 Menschen ausgelegt sind. Im Zweiten Weltkrieg | |
waren die Schutzbauten allerdings stark überbelegt. | |
Laut einer Monografie von Helga Schmal und Tobias Selke zum Luftschutz in | |
Hamburg standen den 1,7 Millionen Bewohnern während des Feuersturms im Juli | |
1943 knapp 170.000 Plätze zur Verfügung, die von 400.000 Schutzsuchenden | |
genutzt wurden. Dazu kamen fast 380.000 Plätze im Selbstschutz, also in | |
ausgebauten Kellern. | |
In manchem neu gebauten Mietshaus aus den 1930er Jahren ist die Kombination | |
aus gasdichten Bunkertüren, Schleuse und Splitterschutz vor den | |
Kellerfenstern noch intakt. In älteren Häusern wurden die Kellerwände | |
verstärkt, Decken abgesteift, Gasdichtungen eingebaut und Durchbrüche zu | |
den Nachbarkellern vorbereitet. Angesichts der zusammengestürzten und | |
brennenden Häuser und Straßenzüge war das manchmal die einzige Chance zu | |
entkommen; zugleich konnte die Verbindung zur tödlichen Falle werden, wenn | |
sich Kohlenmonoxid von schwelenden Brandherden in den Kellern ausbreitete. | |
Stadtführer Schwabe erzählt, er habe fast nie alte Menschen bei seiner | |
Führung. Einmal habe er seine Schwiegermutter, Jahrgang 1935, gefragt: Ob | |
sie nicht einmal mitkommen wolle? Doch die habe abgewunken: Sie habe genug | |
in den Kellern gesessen in Lodz, für sie damals Litzmannstadt. Das wecke in | |
ihr nur böse Erinnerungen. | |
14 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Joschka-Fischer-ueber-den-Ukrainekrieg/!5846190 | |
[2] https://www.n-tv.de/politik/In-Talkshows-wird-diskutiert-wie-ein-Atomkrieg-… | |
[3] https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Mediathek/Publikationen/WF/… | |
[4] /Katastrophenschutz-in-Deutschland/!5844687 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Bremen | |
Bunker | |
Kalter Krieg | |
Krieg | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Graphic Novel | |
Bunker | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Druck auf Kyjiws Bürgermeister Klitschko: Schutzräume ohne Schlüsselwart | |
Nach dem Tod dreier Menschen steht Kyjiws Bürgermeister unter Druck. | |
Kontrollen zeigen: Zu wenige Schutzräume sind dauerhaft geöffnet. | |
Graphic Novel zur Zwangsarbeit in Bremen: Die Toten von Farge | |
Im Comic „Valentin“ beleuchtet Jens Genehr die NS-Zwangsarbeit beim Bau des | |
U-Boot-Bunkers Farge. Wo der Autor Abstand nimmt, klappt das am besten. | |
Publikation „Re:Bunker“: Sicherheit, die Angst macht | |
Die Bremer Hochschule für Künste und die École Européenne Supérieure d’A… | |
de Bretagne haben sich gemeinsam mit dem Thema Bunker befasst. | |
Demo für Kulturräume: Tanzen für den Bunker | |
Bremens Subkultur hat Probleme, freie Flächen für Partys, Ateliers und | |
Probenräume zu finden. Jetzt reicht es den unabhängigen Veranstaltern und | |
sie gehen auf die Straße. |