# taz.de -- Landtag beendet Kieler Rocker-Affäre: Jede Menge Fehler | |
> Polizeiskandal, Politikskandal, Medienskandal: Die Kieler Rocker-Affäre | |
> hat viele Facetten – jetzt hat der Kieler Landtag einen Schlussstrich | |
> gezogen. | |
Bild: 15 Regalmeter Akten kamen zusammen, aber einen Hauptschuldigen präsentie… | |
NEUMÜNSTER taz | Es endete undramatisch: Ohne lange Debatte nahm der | |
Landtag in Kiel den Abschlussbericht zur „Rocker-Affäre“ zur Kenntnis. Auf | |
über 1.000 Seiten kommt der Parlamentarische Untersuchungsausschusses (PUA) | |
zu dem Ergebnis, dass zwar Fehler gemacht wurden, es aber kein | |
Systemversagen gab. Die Affäre selbst, deren Wurzeln ins Jahr 2010 reichen, | |
hat über lange Zeit das politische Klima in Schleswig-Holstein geprägt. | |
Nach der Wahl im Mai scheiden viele Beteiligte aus der aktiven Politik aus. | |
Geht die Landespolizei sauber mit V-Leuten und deren Informationen um, und | |
gibt es Mobbing in der Behörde? Diese beiden parlamentarischen Anfragen | |
stellte Patrick Breyer, damals Landtagsabgeordneter für die Piratenpartei, | |
im Frühjahr 2017. Er bezog sich auf den [1][„Subway-Überfall“], eine | |
Messerstecherei zwischen den Rockergruppen Bandidos und Red Devils in einem | |
Lokal in Neumünster im Januar 2010 und den Umgang der Polizei mit Aussagen | |
der Beteiligten. | |
Die Medien berichteten, vor allem die Kieler Nachrichten (KN) stiegen | |
ausführlich ein – die Rocker-Affäre entwickelte sich rasch auch zu einer | |
Medien-Affäre, bei der die Zeitungen im Land selbst zu Akteurinnen wurden. | |
Einen Höhepunkt gab es im Juli 2017, als die KN schrieb, [2][die Polizei | |
würde Redaktionsmitglieder bespitzeln] und überwachen – „ein | |
ungeheuerlicher Vorwurf, dem wir nachgehen mussten“, sagte Tim Brockmann | |
(CDU), der im Landtag an die Anfänge des Ausschusses erinnerte. | |
Der Bespitzelungsvorwurf stellte sich als falsch heraus, die KN musste | |
zurückrudern. Im Abschlussbericht, dem alle Landtagsfraktionen zugestimmt | |
haben, ist von „haltlosen öffentlichen Anschuldigungen“ die Rede, die die | |
Aufklärung der „tatsächlichen Fehler“ erschwert hätten. | |
## 97 Sitzungen mit 58 Zeugen | |
Wie groß oder klein diese Fehler waren, darüber herrschte während der | |
vierjährigen Laufzeit der parlamentarischen Untersuchung Streit zwischen | |
den Fraktionen. 2020 wollte die CDU den Ausschuss am liebsten einstellen, | |
unter anderem wegen der Kosten – nach rund zwei Jahren hatten die Sitzungen | |
bereits 7,6 Millionen Euro verschlungen. Die Riesensummen kamen durch die | |
große Zahl von Beteiligten, Zeugen und Beschuldigten zusammen, die | |
teilweise in jeder Sitzung durch eigene Rechtsbeistände vertreten waren. | |
Auch Gutachten und aufwendige Sicherheitsverfahren kosteten Geld. Der | |
Ausschuss wurde auf Wunsch der SPD und der an der Regierung beteiligten | |
Grünen fortgesetzt. 97 Sitzungen absolvierten die Ausschussmitglieder, in | |
denen sie 58 Zeugen und drei Beschuldigte befragten. 15 Regalmeter Akten | |
kamen letztlich zusammen. | |
Es habe einen „rechtsstaatlich bedenklichen Umgang mit Quellen“ gegeben, | |
zitierte Kai Dolgner (SPD) im Landtag aus dem Abschlussbericht. Der | |
Ausschuss stellte fest, dass ein hochrangiger Bandido am Tag des Kampfes im | |
„Subway“ mit der Polizei zusammenarbeitete – offiziell zum V-Mann wurde d… | |
Rocker aber erst später. Damit hätte seine Aussage eigentlich wie die aller | |
anderen Zeugen und Verdächtigen behandelt werden müssen. Das passierte aber | |
nicht, und zwei Polizisten, die dagegen protestierten, wurden versetzt. | |
„Von zufälligem,Bockmist’ kann hier nicht die Rede sein“, sagte | |
Grünen-Obmann Burkhard Peters. Er störte sich an einer „Fehlerkultur des | |
letzten Jahrhunderts“, die sich in den Reaktionen der Polizei auf Kritik | |
zeigte. Der PUA zeige erste Erfolge: Im Land seien „enge Leitplanken zur | |
Regelung des VP-Einsatzes geschaffen“ worden. Auf Bundesebene solle unter | |
der Ampel-Koalition eine vergleichbare Regelung in der Strafprozessordnung | |
folgen. | |
## Hochrangige Beamte entlassen | |
Auch wenn der Ausschuss Fehler feststellte, präsentierte er keinen | |
Hauptschuldigen. Opfer gab es im Lauf der Zeit dennoch, unter anderem durch | |
das Misstrauen zwischen den Beteiligten. Von einem „Klima der Angst“ in der | |
Polizei war die Rede, und Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) sah sich | |
einer Polizeiführung gegenüber, „die sich im Auftreten gegenüber dem | |
Ministerium sehr einig war“. Er [3][entließ mehrere hochrangige Beamte] und | |
wurde daher vom Lager derer, die an eine Polizeiverschwörung glaubten, als | |
Aufklärer gefeiert. | |
[4][2020 verlor Grote sein Amt] – es ging um einen Chat zwischen einem | |
KN-Journalisten und einem Polizei-Gewerkschafter, in dem unter anderem das | |
Wort „Pimmelnase“ fiel. Die Staatsanwaltschaft Kiel, selbst eine Akteurin | |
in der Rocker-Affäre, brachte Grote damit in Verbindung, der | |
Ministerpräsident entließ seinen Parteifreund. Ermittlungen wegen Untreue | |
gegen Grote wurden im November 2021 eingestellt. | |
Patrick Breyer, dessen Verdacht 2017 die Aufklärung der Affäre in Gang | |
setzte, sieht sich „in zentralen Punkten bestätigt“. Er glaubt, dass „die | |
Zusammenarbeit des Rockers mit der Polizei wohl auch deshalb geheim | |
gehalten werden sollte, weil das Innenministerium gleichzeitig ein | |
Vereinsverbot gegen die Bandidos in Neumünster betrieb“. Auf Breyer kommt | |
ein juristisches Nachspiel zu: Der V-Mann-Führer klagt dagegen, dass sein | |
Name auf Breyers Homepage genannt wird. | |
30 Mar 2022 | |
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