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# taz.de -- Hannovers Oberbürgermeister im Interview: „Kein Hexenwerk“
> Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) kritisiert überflüssige
> Bürokratie im Umgang mit ukrainischen Geflüchteten.
Bild: Oberbürgermeister im Dauer-Ausnahmezustand: Belit Onay trat sein Amt kur…
taz: Herr Onay, Hannover wird gerade [1][zum Drehkreuz für ukrainische
Geflüchtete.] Ab wann war Ihnen klar, dass hier einiges auf die Stadt
zukommt?
Belit Onay: Eigentlich bei den ersten Kriegshandlungen. Wir kennen ja die
Wege und auch die Größe der Community hier. Wir haben auch sofort
angefangen, Aufnahmekapazitäten zu schaffen. Zunächst in zwei Feuerwachen,
dann in den Messehallen. Jetzt schauen wir nach weiteren städtischen
Liegenschaften, die wir nutzen können und mieten Hotels an.
Damit ist es aber nicht getan.
Nein, das war schnell klar: Es geht um mehr als bloß ein Dach über dem
Kopf. Es sind ja überwiegend Frauen und Kinder, die kommen. Wir hatten
schon in den ersten Gruppen, die angekommen ist, Kinder. Die mussten 65
Stunden zu Fuß zur Grenze zurücklegen, weil die Fahrzeuge nicht mehr
nutzbar waren. Da müssen dann nicht nur die geschwollenen und wunden Füße
versorgt werden, die brauchen auch noch eine ganz andere Ansprache und
Zuwendung. Wir haben sofort angefangen, pädagogische Angebote zu
organisieren, weil diese Kinder Struktur und Beschäftigung brauchen, um
anzukommen.
Es gab Klagen, dass es vor allem bei der Koordination der privaten
Hilfsangebote noch ziemlich knirscht.
Das ist auch keine ganz leichte Aufgabe. Wir sind natürlich dankbar für
[2][dieses Engagement – das sind ja zum Teil die gleichen Menschen,] die
das auch 2015/2016 getan haben, die sind jetzt sofort wieder da gewesen.
Gleichzeitig erhalten wir unzählige Hilfsangebote aller Art. Wir haben
extra Personal abgestellt, um das zu koordinieren. Aber gerade im Hinblick
auf die Vermittlung von privaten Unterkünften können wir oft auch nur an
andere Strukturen verweisen – wie zum Beispiel die Plattform
[3][„Unterkunft Ukraine“] – weil uns selbst die Kapazitäten fehlen, um d…
Angebote zu überprüfen. Und wir wollen natürlich nicht riskieren, Menschen
in prekäre oder gar illegale Verhältnisse zu vermitteln.
An welchen Stellen hakt es noch?
Ich hätte mir gewünscht, dass man bei den bürokratischen Anforderungen an
unsere Ausländerbehörde die ein oder andere Lektion aus 2015/16 gelernt
hätte. Es ist ja gut, dass wir jetzt mit der [4][Aktivierung der
Massenzustrom-Richtlinie weniger Hürden haben]: Die Menschen können sich
frei bewegen, haben Zugang zum Arbeitsmarkt, alles super. Im Detail ist es
dann aber immer noch so, dass sich die Leute bei uns melden müssen,
erkennungsdienstlich behandelt werden und dann einen elektronischen
Aufenthaltstitel beantragen müssen. Der wird in der Bundesdruckerei
gefertigt, für die Zwischenzeit stellen wir eine Fiktions- oder
Übergangsbescheinigung aus.
Und wo ist das Problem?
Dann muss diese Person wieder einen Termin machen, um diesen
Aufenthaltstitel abzuholen. Da werden oft mehrere Termine fällig – für eine
einzelne Person! Da würde ich mir einfach wünschen, wir könnten
Arbeitsschritte einsparen. 2016 haben wir es ja auch so gemacht, dass wir
die Aufenthaltstitel in die Pässe geklebt haben. Das Gleiche gilt für die
Befristungen: Warum können diese Aufenthaltstitel jetzt nicht gleich für
ein oder zwei Jahre gelten? Damit wären die Menschen auch als Arbeitnehmer
viel attraktiver und wir müssten nicht in sechs Monaten schon wieder diesen
Apparat anwerfen.
Jetzt geraten Sie in Fahrt …
Ja, weil es so überflüssig ist. Integrationskurse sind ein weiteres
Beispiel: Gerade hat das Bundesinnenministerium verkündet, es gibt mehr
Integrationskurse. Das ist gut. Aber: auf Antrag. Und wer soll diese
Anträge bearbeiten? Viel wichtiger wäre es doch, jetzt erst einmal zu
schauen, dass wir die Kapazitäten überhaupt aufbauen. Wir brauchen ja
dieses Mal auch viel mehr Kurse mit Kinderbetreuung. Oder der
Leistungsbezug…
Geflüchtete aus der Ukraine bekommen Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz.
An denen es zu Recht viel Kritik gibt, weil sie noch unter dem
Existenzminimum liegen. Warum können wir diese Menschen jetzt nicht sofort
in den SGBII-Bezug übernehmen, wo es eine bessere Absicherung, bessere
Krankenversicherung und bessere Beratungsmöglichkeiten gibt, zum Beispiel
durch die Jobcenter? Dann wäre auch [5][die Finanzierung durch den Bund
gesichert, während die Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz]
zunächst einmal die kommunalen und die Landeshaushalte belasten.
Dann hat man hier endgültig ein System von Flüchtlingen erster und zweiter
Klasse.
Das ist unbestreitbar so. Das entsteht aber schon durch die
EU-Flüchtlingspolitik und die Diskussionen auf dieser Ebene. Ich hätte mir
schon länger einen liberaleren Ansatz gewünscht. Auch 2015 schon. Das ist
doch alles kein Hexenwerk, wir wissen doch, was es braucht, damit
Integration und Teilhabe gelingen – Zugang zur Sprache und Zugang zum
Arbeitsmarkt und zwar möglichst früh und möglichst umfassend.
Wären Sie für eine Wohnsitzauflage, die jetzt von manchen überlasteten
Städten gefordert wird?
Ich halte die nur für begrenzt sinnvoll. Natürlich kann sie am Anfang
helfen, die Ankommenden besser zu verteilen. Aber dann wird sie auch
schnell zum integrationspolitischen Klotz am Bein. Und unsere
Ausländerbehörde muss sich wiederum mit den Anträgen auf Aufhebung
befassen, weil einzelne Personen einen Job in einem anderen Landkreis oder
einer anderen Stadt gefunden haben.
Sie regieren hier in Hannover praktisch von Anfang an im Ausnahmezustand,
was bedeutet das für Sie?
Es stimmt, die Pandemie begann anderthalb Monate, nachdem ich das Amt
angetreten hatte und jetzt geht eine Krise nahtlos in die nächste über. Das
ist natürlich herausfordernd. Aber ich bin immer davon ausgegangen, dass
dieses Jahrzehnt das entscheidende Transformationsjahrzehnt wird – daran
ändern auch die Pandemie oder der Angriffskrieg nichts. In dieser
Einschätzung fühle ich mich bestätigt. Die gravierenden Krisen wirken jetzt
als Katalysatoren und beschleunigen den Wandel noch einmal. Bestimmte
Weichen müssen jetzt eben gestellt werden – oder sie werden nicht mehr
gestellt. Ich bin mit genau diesen Themen angetreten: der Kampf gegen die
Klimakrise und für eine gerechte Gesellschaft. Daran werden wir
weiterarbeiten.
1 Apr 2022
## LINKS
[1] /Ankunft-der-ukrainischer-Gefluechteter/!5840683
[2] /Hilfe-fuer-Fluechtende-aus-der-Ukraine/!5838099
[3] https://www.unterkunft-ukraine.de/
[4] /Ukrainische-Fluechtlinge-in-Berlin/!5835387
[5] /Kriegsfluechtlinge-und-Kosten/!5842483
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Belit Onay
Hannover
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Hamburg
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