# taz.de -- Medizinische Hilfe für die Ukraine: Mit grimmiger Entschlossenheit | |
> Kaltenkirchen bei Hamburg wird zum Umschlagplatz für medizinische | |
> Hilfsgüter. Zu verdanken ist das auch dem großen Einsatz der | |
> Exil-Ukrainer*innen. | |
Bild: Eine Helferin sortiert Krücken und anderes Hilfsmaterial | |
HANNOVER taz | Es waren schon ein paar sehr glückliche Fügungen, die hier | |
zusammengekommen sind. Doch jetzt ist Kaltenkirchen vor den Toren Hamburgs | |
ein wichtiges Drehkreuz für medizinische Produkte für die Ukraine. | |
Es begann mit einem privaten Spendenaufruf. Oksana Ulan ist Hausärztin in | |
Henstedt-Ulzburg, sie kam als junge Frau aus der Ukraine, um in Deutschland | |
Medizin zu studieren. Sie blieb. [1][Nach dem Einmarsch Russlands in ihre | |
Heimat] ging es ihr wie den meisten Ukrainer*innen in Deutschland: Sie | |
will irgendetwas tun, um zu helfen. | |
Oksana Ulan ist im Vorstand der [2][ukrainischen Ärztevereinigung]. Die | |
wiederum schließt sich schnell dem in Hamburg ansässigen [3][ukrainischen | |
Hilfsstab] an, der versucht, in Abstimmung mit dem Generalkonsulat, die | |
Hilfsangebote und Initiativen der ukrainischen Vereine in Norddeutschland | |
zu bündeln und zu koordinieren. | |
Der Hilfsstab beauftragt die 46-jährige Ärztin, sich um medizinische Hilfe | |
zu kümmern. Schon vorher hatte sie über ihre Netzwerke einen Spendenaufruf | |
abgesetzt. Nun wird sie förmlich überrannt, weil ihr Aufruf in der | |
Ärzt*innenschaft und von weiterem medizinischem Personal immer weiter | |
herumgereicht wird. | |
„Ich hatte zwischendurch jemanden, der neben mir herlief und mir half, | |
Telefonate entgegenzunehmen“, sagt sie der taz am Telefon. „Bei mir zu | |
Hause sitzen jetzt zwei Frauen, die den ganzen Tag nichts anderes machen, | |
als E-Mails zu beantworten.“ | |
## Helfer mit einschlägiger Erfahrung | |
Ziemlich schnell kam Ulan da auch logistisch an ihre Grenzen. Auf der Suche | |
nach Hilfe stieß sie bei Andreas Moll und Florian Gottschalk auf offene | |
Ohren und einschlägige Erfahrung. Mit der MedX Project GmbH betreiben die | |
beiden eine kleine hochspezialisierte Fachfirma, die medizinisches Personal | |
für Kriseneinsätze ausbildet. | |
Gottschalk war jahrelang für das THW in verschiedenen Auslandseinsätzen und | |
ist unter anderem Fachmann für Logistik bei Hilfseinsätzen. Im benachbarten | |
Kaltenkirchen hatte die Firma ein kleines Impfzentrum in einem ehemaligen | |
Aldi im Einkaufszentrum Ohlandpark aufgezogen. | |
„Das haben wir jetzt verkleinert, um Platz für die Lagerung und | |
Neuverpackung der Spenden zu schaffen“, sagt Gottschalk. Geholfen hat dabei | |
sein guter Draht zur Stadt und zur Leitung des Einkaufszentrums. | |
Außerdem gibt es hier auch noch ein Team von Medizintechnikern, die jedes | |
gespendete Gerät sorgfältig prüfen, bevor es rausgeht. Neben Spenden von | |
Privatpersonen und Arztpraxen trudeln hier mittlerweile beachtliche | |
Großspenden aus dem ganzen Land ein. „Wir haben Geräte von aufgelösten | |
Klinikstandorten und Großspenden von Pharmaherstellern bekommen.“ | |
## Tragen, blutstillende Verbände und Leichensäcke | |
Die Waren werden dann neu verpackt und mit ukrainischen Fahrer*innen in | |
die Ukraine geschickt, zurzeit hauptsächlich nach Lwiw, wo sich ein großes | |
Umschlaglager des ukrainischen Gesundheitsministeriums befindet. Zum Teil | |
werden die Waren aber auch über das Logistikcluster der Vereinten Nationen | |
weiterverteilt. | |
„Wir haben den Vorteil, dass wir über den ukrainischen Hilfsstab einen | |
Draht zur Generalkonsulin haben und deshalb mit offiziellen Papieren fahren | |
können“, erklärt Gottschalk. „Wir bekommen mittlerweile auch gezielte | |
Anfragen und Hilferufe aus einzelnen Städten, die zum Teil eigene Lkw | |
losschicken“, ergänzt Oksana Ulan. | |
Gebraucht werden derzeit vor allem Tragbahren, blutstillende Verbände und | |
Medikamente, Antibiotika, Schmerzmittel, aber auch Leichensäcke, zählt sie | |
mit bitterer Routine auf. Gleichzeitig sind auch viele chronisch Kranke von | |
ihrer üblichen Medikamentenzufuhr abgeschnitten, also werden auch | |
Alltagsmedikamente wie Blutdrucksenker, Insulin und anderes gebraucht. | |
## Ukrainische Community organisiert Callcenter | |
Die medizinische Versorgung ist nicht das Einzige, was die ukrainische | |
Community in Norddeutschland jetzt mit hohem persönlichen Einsatz und | |
grimmiger Entschlossenheit organisiert. „Wir versorgen die Verteidiger der | |
Ukraine und halten ihren Rücken frei“, ist die Parole, die der | |
[4][ukrainische Hilfsstab] ausgegeben hat. | |
Er hat unter anderem ein Callcenter eingerichtet – mit einer Nummer, unter | |
der sich Geflüchtete melden können, und einer anderen, unter der | |
Hilfsangebote abgegeben werden können. Außerdem gibt es Koordinatoren für | |
alle möglichen Bereiche: von der Öffentlichkeitsarbeit über die | |
Spendensammlung bis zur Organisation von Demonstrationen und der Aufnahme | |
von Geflüchteten. | |
Auf der Website finden sich auch ein zu Tränen rührendes Video mit | |
Durchhalteparolen und detaillierte Anleitungen für Menschen, die als | |
freiwillige Kämpfer in die Ukraine reisen möchten. | |
Was es noch gibt, ist eine harsche Pressemitteilung an die deutschen | |
Medien, aus der viel Wut und Verzweiflung spricht: Der Krieg ist nicht am | |
24. Februar ausgebrochen, sondern schon vor acht Jahren, heißt es darin. | |
Es sei auch kein „Ukraine-Krieg“, wie es in vielen Live-Tickern heißt, | |
sondern allenfalls ein „Russland-Ukraine-Krieg“, besser noch ein | |
„Angriffskrieg“ oder eine „Invasion Russlands“. Und man möge doch bitt… | |
korrekte, ukrainische Bezeichnung der umkämpften Städte nutzen und nicht | |
die Transkription aus dem Russischen: Es muss Kyjiw, Odesa und Dnipro | |
heißen. | |
21 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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