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# taz.de -- Behindertenwerkstatt wird verdrängt: Ungewisse Zukunft für Mosaik
> Dem ältesten Mosaik-Standort Berlins droht nach 36 Jahren die
> Verdrängung. Die Hilfe aus der Politik kommt für die Behindertenwerkstatt
> zu spät.
Bild: Die Tischlerei ist einer von 16 Förder- und Ausbildungsbereichen in der …
Berlin taz | Mitten in Spandau, im Erdgeschoss eines Backsteingebäudes,
gibt es einen Ort, den die Menschen dort „Little Amazon“ nennen. Hier
arbeiten Picker, die Regalreihen nach den richtigen Produkten absuchen, und
Packer, die sie danach versandfertig machen. Eine Mitarbeiterin druckt
Etiketten aus, vor dem Rolltor in der Einfahrt wartet ein Mann auf den
Wareneingang, im Hintergrund quietscht das Paketband. Etwa 700 bis 1.000
Pakete werden hier täglich verschickt, an Spitzentagen können es schon mal
2.000 sein.
„Little Amazon“ funktioniert wie sein Namensgeber, nur eine Nummer kleiner,
mit mehr Pausen und einem Betreuungsschlüssel von eins zu zwölf. Die
Versandhalle ist Teil der [1][Spandauer Mosaik-Werkstatt], in der 270
Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung in 16 Arbeits- und
Förderbereichen lernen und arbeiten: In der Hauswirtschaft oder der
Tischlerei, als Paketpackerinnen oder Künstler, unterstützt von
Betreuer*innen und lehrenden Handwerker*innen. 1986 hat der damalige
Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Werkstatt am Askanierring 155/56
eingeweiht. Heute, knapp 36 Jahre später, soll das Gebäude verkauft werden.
Die Spandauer Behindertenwerkstatt ist nicht der erste Sozialraum Berlins,
dem die Verdrängung droht. Einem ähnlichen Schicksal konnte zum Beispiel
[2][die Kreuzberger Lause nur knapp entgehen.] Für den Askanierring 155/56
scheint eine sozialverträgliche Lösung zumindest auf den ersten Blick
jedoch gar nicht so utopisch: Schließlich will das Gelände kein
profitgeleiteter Investor verkaufen, sondern der Bund. Kann es da wirklich
so schwierig sein, sich zu einigen?
## Auch eine Kita und eine Tanzschule sind bedroht
Das Gelände am Askanierring 155/56 mit seinen drei Arealen A, B und C
gehört der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Die veräußert
Eigentum, das der Bund nicht mehr braucht. „Im Herbst habe ich zum ersten
Mal davon gehört, dass die BImA damit schwanger geht zu verkaufen“, sagt
Frank Jeromin. Er ist Geschäftsführer von Mosaik, in der Immobilie auf dem
Geländeteil A ist die Werkstatt der größte Mieter. Außerdem befinden sich
dort eine Kita mit 195 Plätzen und eine Tanzschule mit sechs Sälen. Bei den
Grundstücken B und C handelt es sich um Brachland und eine
Kleingartenanlage.
Die Geländeteile B und C will das Land Berlin kaufen, das Areal A mit dem
alten Kasernengebäude jedoch nicht. Dabei hatte die Sozialverwaltung noch
vor zwei Jahren die Absicht, die Behindertenwerkstatt durch einen Kauf der
Immobilie dauerhaft zu sichern. Das hätte ein Verwaltungsbeamter ihm
mitgeteilt, will sich Jeromin erinnern.
Laut dem Sprecher der Finanzverwaltung, die in solchen Fällen berät, habe
die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales den Kauf von
Areal A tatsächlich geprüft, sich dann jedoch wegen wirtschaftlicher
Bedenken dagegen entschieden. Der Preis, den die BImA forderte, sei
angesichts des Investitionsrückstaus der Immobilie zu hoch gewesen, heißt
es.
## Mosaik hat mitgeboten – vergeblich
Also ging das Angebot auf den offenen Immobilienmarkt. Auch Mosaik hat
mitgeboten, als die BImA das Areal A ausgeschrieben hat: 9,6 Millionen Euro
– der Preis, den die BImA verlangt hatte. Wenig später kam die Absage,
„aufgrund einer großen Anzahl deutlich höherer Angebote“, so die Begründ…
der zuständigen Sachbearbeiterin. Was „deutlich höher“ heißen soll, blei…
unklar. Die BImA will sich wegen des laufenden Verfahrens nicht dazu
äußern, wer welche Summen geboten hat.
Ein paar Jahre darf die Spandauer Werkstatt noch bleiben, erst im
vergangenen Jahr hat Mosaik [3][eine Mietverlängerung bis 2031 verhandelt].
Dass der Standort darüber hinaus eine Zukunft haben könnte, bezweifelt
Jeromin jedoch: „Wenn jetzt jemand 20 bis 30 Millionen zahlt, dann muss er
damit Rendite erwirtschaften, die Mieten erforderlich machen, die kein
sozialer Träger mehr zahlen kann.“ Quadratmeterpreise von 30 bis 40 Euro
würde der Kostenträger nicht erstatten: „Der würde dann sagen: Jetzt ist
Schluss, sucht euch was Neues.“
Im Fall von Mosaik geht es jedoch um mehr als um die Schwierigkeit, einen
neuen, finanzierbaren Standort dieser Größe zu finden. Über die Jahre ist
hier ein Ökosystem gewachsen, in keiner anderen Mosaik-Betriebsstätte gibt
es so viele Förder- und Arbeitsbereiche unter einem Dach. „Hier würde
wahnsinnig viel verlorengehen“, sagt Agnes Lichtenberg. Sie hat den
Spandauer Mosaik-Standort mit aufgebaut, heute leitet sie die
Lebensmittelkonfektion. Auf jedem der Arbeitsplätze hinter ihr steht eine
Waage, daneben ein Korb mit silbernen Schaufeln. Zuletzt wurde hier Popcorn
für einen bekannten Berliner Hersteller abgewogen und verpackt.
## Kann ein Erbpachtvertrag die Lösung sein?
„Das Tolle an so einem großen Haus ist, dass es für jeden den geeigneten
Arbeitsplatz gibt“, erklärt Lichtenberg. Überleitungen zwischen den
einzelnen Förder- und Arbeitsbereichen bedeuten häufig nur einen
Etagenwechsel, so könne man auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der
Mitarbeitenden eingehen, ohne sie aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen.
„Viele der Beschäftigten arbeiten 20 bis 30 Jahre hier, die meisten wohnen
in der Nähe“, erzählt Lichtenberg, „das hier ist ihr zweites Zuhause, hier
sind ihre Bezugspersonen.“ Nicht wenige Mitarbeiter*innen seien wegen
ihrer Behinderungen auf kurze Arbeitswege angewiesen. Auch deswegen könne
man die Werkstatt nicht einfach schließen und woanders wieder eröffnen.
Auf bezirkspolitischer Ebene scheint das Thema Fahrt aufzunehmen, wenn auch
etwas zu spät: Am 11. März stellte die CDU in der Spandauer
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einen [4][Dringlichkeitsantrag mit dem
Titel „Mosaik erhalten – Askanierring 154/155 kaufen“]. Die Mehrheit der
Verordneten stimmte dem Antrag zu. Auch Carola Brückner (SPD), die
Bezirksbürgermeisterin von Spandau, will verhindern, dass die
Behindertenwerkstatt verdrängt wird. Sie fordert, dass das Land Berlin auch
das Areal A kauft und der Mosaik GmbH als Erbpacht überlässt: „Das wäre das
richtige politische Signal, um diesen sozialpolitisch wichtigen Standort
für die Mosaik-Werkstatt zu halten. Wir können auf eine Verbesserung des
inklusiven Arbeitsmarktes nicht verzichten“, sagt Brückner.
Ein Erbpachtvertrag zwischen dem Land und Mosaik ist keine neue Idee, Frank
Jeromin hat der Sozialverwaltung nach eigenen Angaben vor Monaten schon ein
solches Modell vorgeschlagen. Mosaik hätte sich dann selbst um Verwaltung
und Sanierung des Gebäudes kümmern müssen, ein Investitionsrückstau wäre
für das Land kein Grund mehr gewesen, nicht zu kaufen.
## Die Hilfe aus der Politik kommt zu spät
Der Zug sei abgefahren, heißt es bei der Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben. „Wir hatten wirklich viel Geduld und haben das Areal
dem Land mehrfach auf dem Tablett serviert“, sagt Stephan Regeler,
Hauptstellenleiter der BImA für den Verkauf in Berlin und Brandenburg. 2015
habe die BImA den Askanierring 155/56 zum ersten Mal zum Gutachtenwert
angeboten. Berlin hatte Erstzugriffsrecht, das gelte normalerweise nur für
zwei Jahre. Das Land habe dann ganze fünf Jahre lang geprüft, ob es das
Grundstück kaufen will, ohne jedoch ein Nutzungskonzept vorzulegen. Auch
der Bezirk Spandau habe den Kauf in Erwägung gezogen.
„2020 hieß es dann: Wir bedauern, dass wir vom Kauf absehen müssen“,
erinnert sich Regeler. Erst, als das Inserat schon öffentlich war, habe das
Land sich entschieden, doch noch die Freifläche auf den Arealen B und C zu
erwerben. Dass auch das Teilgrundstück A und die zugehörige Immobilie in
öffentlicher Hand bleiben, hält Regeler für unwahrscheinlich. Der
Verkehrswert der Liegenschaft sei durch das fortgeschrittene
Bieterverfahren jetzt deutlich höher, es sei schlicht nicht mehr möglich,
das Inserat zurückzuziehen und dem Land Berlin die Immobilie doch zum
Gutachtenpreis zu verkaufen.
## Die Zukunft für Mosaik bleibt ungewiss
In der Hauswirtschaft im Erdgeschoss der Spandauer Behindertenwerkstatt
riecht es nach Vanille und Butter. Im Ofen liegt der Hefezopf, den die
Auszubildenden gerade gebacken haben. Der Ausbildungsbereich soll für die
Arbeit in den Werkstätten vorbereiten, „aber auch fürs Leben, für den
Alltag“, erklärt eine Betreuerin. Wo sie danach arbeiten, wissen die
Auszubildenden noch nicht. Für die nächsten neun Jahre ist die Spandauer
Werkstatt noch gesichert, was dann kommt, bleibt ungewiss.
Die BImA will nach dem Bieterverfahren mit dem Käufer über die Zukunft von
Mosaik sprechen. Man hoffe auf eine Zusicherung, dass man nach
Mietvertragsende bleiben kann: „Das machen wir zum Verhandlungsgegenstand“,
sagt Regeler.
24 Mar 2022
## LINKS
[1] /Kuenstler_innen-mit-Behinderung/!5788550
[2] /Linker-Freiraum-vor-der-Rettung/!5827442
[3] https://www.berliner-woche.de/spandau/c-soziales/haengepartie-ist-vorbei_a1…
[4] https://www.morgenpost.de/bezirke/spandau/article234811689/Bezirk-soll-sich…
## AUTOREN
Johanna Jürgens
## TAGS
Verdrängung
Leben mit Behinderung
Spandau
Kolumne La dolce Vita
Leben mit Behinderung
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Kunst
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