# taz.de -- Gennadij Fish über Schach und Ukraine: „Es gibt so viele Verbind… | |
> Gennadij Fish, Schachgroßmeister, macht sich Sorgen um drei | |
> Mannschaftskollegen aus der Ukraine, die in Werder Bremens Schachteam | |
> spielen. | |
Bild: Sitzt in der Ukraine fest: Werder- Schachspieler Alexander Areshchenko | |
Herr Fish, beim Bundesligaauftakt von Werder Bremen sind die Stühle Ihrer | |
ukrainischen Teamkollegen Alexander Areshchenko, Zahar Efimenko und Kirill | |
Shevchenko leer geblieben. Wie ging es Ihnen an diesem Tag? | |
Gennadij Fish: An dem Tag wusste ich ja schon, dass sie nicht kommen | |
werden. Der Tag, der mich bewegt hat, war der, an dem der Krieg begann. Ich | |
konnte gar nicht glauben, was gerade passiert. Ich dachte, ich bin in einer | |
verkehrten Welt. Beim ersten Bundesliga-Wochenende hatte ich schon | |
akzeptiert, dass die Geschichte schon in vollem Gange ist und man damit | |
weiterleben muss. | |
Ihre Teamkollegen durften das Land nicht verlassen, weil sie wehrpflichtig | |
sind. | |
Stimmt, aber letzte Woche haben mir zwei von ihnen geschrieben, dass sie | |
doch ausreisen dürfen. | |
Warum? | |
Kirill und Alexander haben als Leistungssportler eine Sondererlaubnis | |
bekommen, um bei der Europaeinzelmeisterschaft in Slowenien zu spielen. Wir | |
haben uns aber zuerst Sorgen gemacht, ob sie wirklich über die Grenze | |
kommen, denn im Endeffekt ist ein Blatt Papier mit einer Unterschrift egal. | |
Was zählt, ist, wie sich die Beamten an der Grenze verhalten. | |
Hat ihre Ausreise denn dann funktioniert? | |
Alexander ist jetzt in Slowenien. Ich kann aber leider keine Details über | |
seine Reise sagen. Das möchte er nicht. Ob Kirill das Land schon verlassen | |
konnte, weiß ich nicht. | |
Und was ist mit Zahar Efimenko – ist er in der Ukraine an der Waffe? | |
Nein. Ich glaube, es ist so, dass das Militärkommissariat ein Schreiben | |
schickt, in dem es mitteilt, wo du kämpfen sollst. Und er hat so ein | |
Schreiben noch nicht bekommen. Zahar lebt auch in einem Gebiet, wo aktuell | |
kein [1][großes Kriegsgeschehen] ist. | |
Sie kommen auch aus der Ukraine. Warum sind Sie nicht wehrpflichtig? | |
Ich bin deutscher Staatsbürger und die Ukraine erlaubt keine doppelte | |
Staatsangehörigkeit. Ich bin vor 25 Jahren nach Deutschland gezogen. | |
Außerdem komme ich von der Krim und die ist für die Ukrainer schon längst | |
abgeschrieben, seit sie vor acht Jahren von Russland besetzt worden ist. | |
Wie haben Sie diese Besetzung damals erlebt? | |
Der russische Einmarsch 2014 hat dazu geführt, dass Feindschaften zwischen | |
den Menschen entstanden sind. Es ist wirklich schlimm. Auch der | |
[2][russische Angriffskrieg] jetzt fühlt sich für mich an, als würde zum | |
Beispiel Niedersachsen einen Krieg gegen Nordrhein-Westfalen führen. Es | |
gibt so viele Verbindungen, auch Familien, die teilweise in Russland, | |
teilweise in der Ukraine leben. | |
Hat Sie der Angriff Russlands Ende Februar überrascht? | |
Ja, ich konnte es nicht glauben. Ich arbeite als Schulassistent und war | |
gerade bei der Arbeit. Meine Kollegen haben mir von den Angriffen erzählt. | |
Zuerst habe ich gesagt: „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.“ Es hat | |
mich schockiert. | |
Was erzählt Ihr Kollege Zahar, der jetzt noch in der Ukraine ist, über | |
seine Situation? | |
Er ist sehr besorgt. Ich schreibe ihm auch nicht jeden Tag, weil ich nicht | |
genau weiß, was gerade los ist. Manchmal sehe ich, dass meine Nachricht | |
mehrere Stunden nicht gelesen wird, das macht mich dann nervös. Manchmal | |
sprechen wir über Schach oder schicken uns Videos dazu. Aber natürlich | |
schickt er mir auch Videos und Fotos, wie es bei ihm aussieht. Neulich zum | |
Beispiel von einem zerbombten Wohnhaus. | |
Was bedeutet es für Werder Bremen, dass die drei erst mal nicht mehr da | |
sind? | |
Das ist nicht gut. Die drei sind Leistungsträger für unseren Verein. Sie | |
gehören zu den besten fünf Spielern. Drei der besten fünf sind jetzt also | |
weg, und die anderen zwei können auch nicht immer spielen. | |
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie für Werder spielen? | |
Ich bin 1997 [3][als Kontingentflüchtling nach Deutschland gekommen]. | |
Damals waren wir für ein Jahr an ein bestimmtes Bundesland gebunden. Und | |
meines war Niedersachsen. In Bremen gab es eine Bundesligamannschaft. Also | |
habe ich da angefangen. Zuerst habe ich für die Bremer Schachgesellschaft | |
von 1877 gespielt, 2004 bin ich zu Werder Bremen gewechselt. | |
Und wie war das bei Ihren ukrainischen Kollegen? | |
Zahar war schon vor mir bei Werder, er wurde bei einem Turnier vom Verein | |
entdeckt. Alexander wurde auf meine Empfehlung nach Bremen geholt, Kirill | |
habe ich selbst geholt. | |
Sind sie dann für jedes Spiel nach Deutschland gekommen? | |
Ja. Normalerweise, ohne Corona, geht eine Saison etwa von Oktober bis | |
Anfang Mai. In dieser Zeitspanne wird dann an sieben Wochenenden gespielt. | |
Für die Turniere sind die Großmeister jeweils angereist | |
Ist die deutsche Schachliga eine begehrte Adresse unter Schachspielern? | |
Ja, es ist qualitativ eine der besten Ligen der Welt. Die Honorare sind | |
auch nicht schlecht. | |
2 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marie Gogoll | |
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