Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Welt“-Reporter und Querdenken: Streit um „Coronaleugner“
> Dem „Welt“-Chefreporter Tim Röhn wird vorgeworfen, er verteidige Demos
> von Verschwörungsideologen. Gegen die Kritik geht er nun juristisch vor.
Bild: Im Januar eskaliert ein „Spaziergang“ von Rechtsextremen und Coronale…
Stigmatisierung ist ein Lieblingswort von Tim Röhn, Chefreporter der Welt.
„Jeder, der gegen eine staatliche Corona-Impfpflicht und massive
Grundrechtseingriffe demonstriert, muss ein Coronaleugner und/oder
Impfgegner sein“, [1][twitterte er empört im November] – es gebe
„mittlerweile wenige Menschen, bei denen diese billige Stigmatisierung noch
zieht“. Im Dezember erklärte er nach Corona-Protesten in Deutschland,
Österreich und Spanien: „Es muss anerkannt werden, dass auch friedliche
Bürger protestieren. Pauschale Stigmatisierung als Querdenker/Extremisten
geht nicht (mehr).“
Im Januar ging er den Autor dieses Textes auf Twitter an, nachdem der über
einen ungenehmigten Coronaleugner-Aufmarsch in Bautzen berichtet hatte, bei
dem Hunderte, angeführt von Rechtsradikalen, ohne Masken unterwegs waren
und „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ skandierten. Röhn fragte dazu:
[2][„Darf ich fragen, warum Sie die Leute pauschal als,Coronaleugner'
bezeichnen?“] Und wieder fiel der Begriff der „Stigmatisierung“.
Aber wer sind dann diese Leute, die in Bautzen, Wien und vielen anderen
Städten bei Demonstrationen, die als „Spaziergang“ heruntergespielt werden,
den Volksaufstand proben, sich den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der
Pandemie widersetzen, wissenschaftliche Fakten leugnen?
Michael Ballweg, der Anführer der Querdenken-Bewegung, betrachtet den
Begriff „Coronaleugner“ schon seit 2020 als ehrenrührig und als
Kampfbegriff. Wortmeldungen wie die von Röhn unterstützen sein Anliegen.
Der Welt-Mann hat in den vergangenen Wochen Widersprüche und Fehler in der
Coronapolitik von Bund und Ländern aufgedeckt – und unterstellte etwa
Hamburg und Bayern, bei der Ausweisung der Inzidenzen von Ungeimpften mit
„unbrauchbaren Zahlen“ zu operieren.
Mit dem Nebeneffekt, dass er damit inzwischen zur Ikone einer rechten
Bubble geworden ist, von Boris Reitschuster bis Erika Steinbach, mit
AfD-Politiker:innen und, ja, auch Coronaleugner:innen. In den sozialen
Medien spenden sie Beifall für den Journalisten. Die Protestierenden sehen
sich als „Freiheitskämpfer“, als „Andersdenkende“. Der Streit, ob sie
„Coronaleugner“ genannt werden dürfen, bekam Dynamik durch zwei jetzt
bekannt gewordene Beschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt vom Januar
(Az. 16 W 41/21 und 16 W 16/21), laut denen der Begriff als
Tatsachenbehauptung einzustufen sei und nicht als Meinungsäußerung.
## Verschwörungsideologen stellen Musterschreiben ins Netz
Der Rechtsanwalt Ivan Künnemann aus Tangstedt bei Hamburg, der für die
„Anwälte für Aufklärung“ auftritt, konnte erstreiten, dass er vom Hambur…
Abendblatt nicht so genannt werden darf. Die „Anwälte für Aufklärung“
wiederum schon – sie sprechen auf ihrer Homepage von einer „angeblichen
Pandemie“. Zitiert wird in dem OLG-Beschluss aus dem Duden, laut dem ein
„Coronaleugner“ eine Person ist, die „die Existenz oder Gefahren der
Covid-19-Pandemie leugnet“.
Die Szene trägt die Beschlüsse aus Frankfurt wie eine Monstranz vor sich
her. Die „Klagepaten“ haben Musterschreiben ins Netz gestellt:
„Bezeichnung,Coronaleugner' jetzt abmahnbar!“ Der Würzburger Anwalt Chan-jo
Jun, der sich seit 2020 mit juristischen Fragen rund um die Coronapolitik
befasst, ordnet ein: „Ein bisschen was muss man in der Hand haben, um
jemand als,Coronaleugner' zu bezeichnen“, sagt er der taz. „Aber die
Anforderungen sind extrem niedrig.
Es könnte schon reichen,,Pandemie' in Anführungszeichen zu setzen. Oder
eine Abweichung von der wissenschaftlichen Tatsachenbasis hinsichtlich der
Gefahren.“ Die Existenz des Virus muss nicht in Gänze bestritten werden, um
als „Coronaleugner“ zu gelten – es geht auch um die Relativierung.
Welt-Reporter Röhn wollte nicht auf sich sitzen lassen, dass der
SPD-Politiker Igor Matviyets aus Halle/Saale in einem (inzwischen
gelöschten) Tweet forderte: „Irgendjemand muss bitte einen Bericht darüber
schreiben“, dass Tim Röhn angefangen habe, gewalttätige Demos von rechten
Verschwörungstheoretikern zu verteidigen.
Röhn ging juristisch dagegen vor, nahm sich einen Anwalt, der selbst
Maßnahmenkritiker ist – dieser schickte in seinem Auftrag ein
Abmahnschreiben an Matviyets. Matviyets bemühte sich um ein Telefonat mit
dem Reporter, Röhn aber verwies an seinen Anwalt.
Vor dem Landgericht Hamburg (Az. 324 O 24/22) hatte er im Februar mit einem
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Erfolg. Das Gericht
entschied, für die Meinungsäußerung von Matviyets fehle es „an
hinreichenden Anknüpfungstatsachen“.
Der Anwalt von Matviyets, Alexander Hoffmann, sagt: „Diejenigen, die am
lautesten,Meinungsfreiheit' schreien, verklagen die anderen. Es ist einfach
widerlich.“
Hinweis der Redaktion / Richtigstellung: In einer früheren Version des
Textes hieß es: ,,Röhn (…) nahm sich einen Anwalt, (…) dieser schickte (�…
ein Abmahnschreiben an Matviyets. Eine außergerichtliche Einigung lehnte
Röhn ab.“ Das möchten wir hiermit richtigstellen: Welt-Chefreporter Tim
Röhn lehnte eine außergerichtliche Einigung nicht ab. Das Abmahnschreiben
enthielt ein Angebot für eine außergerichtliche Einigung, das Matviyets
nicht annahm. (taz)
31 Mar 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/Tim_Roehn/status/1462039923700207620?s=20&t=-b-4k99…
[2] https://twitter.com/Tim_Roehn/status/1478716658151825411?s=20&t=Vpvi_xY…
## AUTOREN
Matthias Meisner
## TAGS
Verschwörungsmythen und Corona
"Querdenken"-Bewegung
Coronaleugner
Welt
Twitter / X
GNS
Gerhard Schröder
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Deutsche Debattenkultur: Antimilitaristen im Abseits
Wer nicht konsenskonform denkt und trotzdem seine Meinung laut sagt, gerät
rasch unter Beschuss. Eine offene Debattenkultur sieht anders aus.
15 Jahre Haft für Tankstellenmörder: Gerechte Strafe für den Terroristen
Der verurteilte Rechtsextremist Mario N. betrachtet den Mord bis heute als
gerechtfertigt. Das Gericht hätte das klarer benennen müssen.
Nachrichten in der Coronapandemie: „Gipfel der Welle erreicht“
Laut RKI-Chef ist der Höhepunkt der aktuellen Welle mittlerweile
überschritten. Die Zahl der Neuinfektionen sinkt weiter. Die Schweiz
streicht alle Maßnahmen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.