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# taz.de -- 3sat-Doku über Wechseljahre: Eierstöcke in Pension
> Frauen in der Menopause? Gelten oft als nicht mehr attraktiv. Ein
> Dokumentarfilm räumt nun mit Klischee und Tabus der Wechseljahre auf.
Bild: Die 85-jährige Künstlerin Margit Pliz will der Menopause mit ihren Foto…
Sie können nachts nicht mehr schlafen, schwitzen aus heiterem Himmel und
frieren danach fürchterlich? Sie haben Gedächtnisschwierigkeiten, nehmen
zu, obwohl sie eine Diät nach der anderen machen? Sie fühlen sich manchmal
wie ausgelaugt und werden von einer Unruhe getrieben, die Ihnen bis dahin
vollkommen unbekannt war? Herzlich willkommen in den Wechseljahren. Oder
Klimakterium. Oder Menopause. Egal, wie Sie die hormonelle Umstellung Ihres
Körpers nennen möchten: Sie erfasst jede Frau ab etwa Mitte 40. Auf der
ganzen Welt. Bis 2025 werden [1][global über eine Milliarde Frauen] in die
Wechseljahre kommen.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Auch Männer kommen in die Wechseljahre. Aber
sie erfahren die Alterung ihres Körpers auf andere Weise – und die ist
gesellschaftlich keineswegs so tabuisiert wie das weibliche Altern. Denn
Frauen erleben – so wie Männer auch – nicht nur eine geringere Libido,
sondern vor allem das Ende ihrer Fruchtbarkeit. Damit treten Frauen nicht
nur in eine Phase, die viele als Erleichterung empfinden: Sex [2][ohne
lästige Verhütung]. Vor allem aber endet damit ein Abschnitt in ihrem
Leben, der suggeriert: Du bist raus aus dem Spiel, meine Liebe.
Fuckibility, das ist was für Jüngere. Oder um es mit den Worten der
Künstlerin Margot Pilz zu sagen: „Man wird eindeutig unsichtbar, ab 40.“
Als die Fotografin und Perfomancerin noch im Berufsleben stand, erzählt
Pilz in der Dokumentation „Sichtbar, stark und selbstbewusst – Die
Revolution der Frauen über 50“ der Filmemacherinnen Constanze Grießler und
Franziska Mayr-Keber, waren „Frauen mit 50 alt. Und Männer mit 50 gerade
richtig.“
Viele Frauen kennen das: Sie stehen an irgendeiner Theke – im Supermarkt,
am Bahnschalter, in der Bar – und wollen dem jungen Mann auf der anderen
Seite gerade sagen, was sie brauchen, da stellt sich eine junge Frau neben
sie. Und schon wendet sich der junge Mann mit einem Lächeln der jungen Frau
zu. Die Ältere ist abgeschrieben, in Nullkommanichts. Und denkt vielleicht:
Bin ich wirklich so scheiße, dass man durch mich hindurchsehen, einfach
über mich hinwegblicken kann? Im schlimmsten Fall sackt sie in sich
zusammen oder zieht sich in die innere Immigration zurück: Dann eben nicht.
Ein eklatanter Widerspruch: Frauen in den 50ern sind so kraftvoll,
unabhängig und umtriebig wie in keinem anderen Alter, werden aber genau in
dieser Lebensphase vielfach abgeschrieben. Und wie war das noch mal mit dem
alten 50, das jetzt das neue 40 sein soll?
## Bei Frauen geht noch was im Bett, bei Männern nicht
Margot Pilz ist mittlerweile 85 Jahre alt. Und sie hat noch viel sexuelle
Energie. Aber ihr Partner, den sie mit 75 kennengelernt hat, „kann nicht
mehr“. Das ist die Kehrseite der männlichen gesellschaftlich weitaus
weniger tabuisierten Alterung: Bei Frauen geht im Bett noch, was bei nicht
wenigen Männern unwiderruflich vorbei ist.
Und doch wird vor allem das [3][weibliche Älterwerden] meist in einem
Atemzug genannt mit einer nachlassenden Attraktivität: Die Haut wird
dünner, die Haare werden weniger, zur Trockenheit in der Scheide kommt
Unkonzentriertheit im Kopf. Und dann diese widerliche Cellulitis.
Diese „Erklärungen des Mangels“ will die Journalistin, Autorin und
langjährige taz-Kolumnistin Silke Burmester nicht gelten lassen: Es stimme
nicht, dass Frauen in den Wechseljahren nach nichts mehr aussehen, zu
nichts mehr taugen und nicht mehr leistungsfähig sind. „Im Gegenteil, wir
werden immer interessanter“, sagt sie im Film. Als ihr Sohn aus der
Mutterhöhle ausgezogen war, tauschte Burmester ihr altes Leben mit einem
neuen. Sie verabschiedete sich vom aktuellen Journalismus und betreibt nun
das [4][Online-Magazin PalaisFluxx] – ein heiteres, lustvolles und
liebevoll gestaltetes Portal für Frauen ab 47.
Auch Adrineh Simonian hat ihren Beruf als Opernsängerin an den Nagel
gehängt und produziert jetzt feministische Pornos. Die Kinder sind aus dem
Haus und ihre „Eierstöcke in Pension“ gegangen, wie sie im Film sagt. Mit
der Fruchtbarkeit verlieren Frauen aber nicht ihre Weiblichkeit. Simonian
sagt: „Es ist genau andersherum: Ich kann meine Sexualität neu entdecken.“
Wem das nicht gelingt, kann sich an Sonja Schiff wenden. Die ausgebildete
Gerontologin aus Salzburg in Österreich arbeitet als Wechseljahreberaterin.
In ihren Online-Beratungen wollen Frauen vor allem wissen, wie sie diese
unsäglichen Hitzewallungen loswerden können. Am liebsten wollen die Frauen
eine Pille oder einen Tee und sofort von den Beschwerden kuriert sein,
erzählt sie. Aber so einfach ist das alles nicht.
## Ältere Frauen wollen nicht „funktionieren“, sie wollen machen
Denn mit dem Alter verlieren Frauen nicht nur Collagen und
Körperfestigkeit, sondern vor allem Geduld und Geschmeidigkeit, wenn es um
ihr eigenes Ansehen in der Gesellschaft geht. Sie wollen nicht einfach nur
„funktionieren“, sie wollen machen, entscheiden, bewegen. Wer als Frau in
den Wechseljahren allerdings [5][den Job verliert], findet so rasch keinen
neuen. Sobald Frauen die 50er-Grenze erreichen, haben sie auf dem
Arbeitsmarkt kaum mehr Chancen – in nahezu allen Bereichen: Medizin,
Ingenieurswesen, Finanzbranche, Kultur, Medien, Tech-Branche. Während
Männer mit Mitte 50 noch locker den Job wechseln können, wandern die
Bewerbungen von älteren Frauen umgehend in den Ordner „ablehnen“. Wer mit
älteren arbeitslosen Frauen spricht, hört ähnliche Geschichten: 40, 50, 60
Bewerbungen geschrieben, fast nie zum Gespräch eingeladen. Selbst bei
Stellen unterhalb ihrer Qualifikation werden „die Alten“ aussortiert.
Das ist ein Skandal, eine Abwertung von Frauen in und nach den
Wechseljahren. Die britische Labour-Abgeordnete Carolyn Harris fordert
daher eine „Menopause Revolution“. Das erste Mal hörte Harris von „chang…
(Wechsel) durch ihre Mutter. Die Mutter sprach mit anderen Frauen in ihrem
Alter darüber und schickte die Tochter aus dem Zimmer. Die ließ sich aber
nicht verscheuchen, sie wollte wissen, worum es geht. Zu dem Zeitpunkt war
sie selbst schon 36.
„Wir wollen das Denken, Handeln und den Umgang mit dem Thema Menopause
komplett verändern“, sagt die studierte Sozialhistorikerin und
-politikerin, unter anderem mit einer Kampagne, die unter dem Hashtag
#menopauserevolution läuft. Die erinnert unter anderem an den jährlichen
Tag der Menopause am 18. Oktober. Er wurde 1984 von der International
Menopause Society (IMS) in Zusammenarbeit mit der
Weltgesundheitsorganisation ausgerufen. Unter anderem durch Harris’
Aktivismus sind die weiblichen Wechseljahre auf der Insel schon länger kein
Tabuthema mehr.
## Je älter, desto reiner mit sich selbst
„Das Älterwerden rockt“, sagt Sonja Schiff. Die Wechseljahreberaterin
beschloss eines Tages, „bewusst ins Grau zu gehen“. Das mag ihren Typ
äußerlich verändern, auch innerlich scheint einiges passiert zu sein. Sie
sagt: „Je älter Frauen werden, um so reiner werden sie mit sich selbst.“
Ähnliche Aussagen treffen alle Protagonistinnen in der Dokumentation. Sie
geben so bereitwillig und fröhlich Auskunft über die Zeit, die Frauen
gesellschaftlich nicht selten auf ein Abstellgleis schiebt, die sie selbst
aber – nach der Hitzewellenzeit – als überaus produktiv und bereichernd
beschreiben.
Bei alldem sehen die porträtierten Frauen auch noch wahnsinnig gut,
glücklich und frei aus. Und wenn die Kamera auf die farbenfrohen Cocktails
hält, die Silke Burmester und andere Frauen in einer Hamburger Bar serviert
bekommen, will man sofort dabei sein. Sagt eine: „Werd du mal so alt wie
ich. Also Prost.“
15 Mar 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Wechseljahre
Dokumentarfilm
3sat
Feminismus
Weiblichkeit
Frauen
Frauen
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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