| # taz.de -- Krieg in der Ukraine: Freiheit und Würde | |
| > Was für ein Wochentag ist eigentlich und welches Datum? Nur eins ist | |
| > klar: es ist der neunte Kriegstag. | |
| Bild: Eine ältere Frau tröstet ein Kind in einem unterirdischen Schutzraum in… | |
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| Київ taz | Fast scheint es, als ob am neunten Tag des russischen | |
| Großangriffs auf die Ukraine der Schock darüber erstmals das eigene | |
| Bewusstsein erreicht. Paradoxerweise fühlt man keine Angst mehr, obwohl die | |
| Explosionen und Raketeneinschläge Tag für Tag näher an das Haus | |
| herankommen, in dem man sich versteckt. Dafür werden mit jeder neuen | |
| Explosion und jedem neuen Bild aus den zerstörten Städten der Ukraine die | |
| Wut und der Hass größer. | |
| Die Nächte in Kiew werden jetzt zunehmend unruhiger. Die Vororte im | |
| Nordwesten, Irpen, Butscha und Hostomel, sind unter massivem Beschuss. | |
| Entgegen den Aussagen des russischen Präsidenten Wladimir Putin zerstören | |
| russische Truppen nicht nur Infrastruktur, sondern schießen auch gezielt | |
| auf Wohngebiete. Alle Bilder dieser Kriegsverbrechen tauchen umgehend im | |
| Internet auf. Ungeachtet dessen, dass es den ukrainischen Soldaten bislang | |
| gelingt, die Angriffe abzuwehren und den Vormarsch auf Kiew aufzuhalten, | |
| verlassen die friedlichen Einwohner dieser zerstörten Orte in Scharen ihre | |
| Häuser. | |
| Gleichzeitig bleiben aber viele Menschen in Kiew, darunter auch Frauen und | |
| Kinder. Der 16-jähriger Zachar hat in der vergangenen Woche nur eine | |
| einzige Nacht in seinem eigenen Bett geschlafen. Die restlichen Nächte hat | |
| er in einer Tiefgarage verbracht, die jetzt als Luftschutzraum dient. Der | |
| Junge erzählt, dass jede Familie dort schon ihren eigenen Platz hat. Sie | |
| haben sich dort mit Teppichen eingerichtet, es gibt Licht und Heizung, | |
| sogar das Internet funktioniert. Er sagt, dass es ihm in der Regel nicht | |
| gelingt, dort zu schlafen. Diesen Schlaf holt er dann zu Hause nach, wenn | |
| er morgens zurück in die Familienwohnung kommt. „Schulunterricht gibt es | |
| jetzt natürlich nicht. Wir haben wieder Ferien, sozusagen. Viele meiner | |
| Mitschüler sind in der Stadt geblieben. Sie planen auch nicht wegzugehen, | |
| sondern glauben an unseren baldigen Sieg“, erzählt der Kiewer Teenager. | |
| Tatsächlich sind noch sehr viele Kinder in der Stadt. Am Donnerstag haben | |
| wir zum ersten Mal in diesen Kriegstagen das Geschrei von Kindern gehört, | |
| die im Hof Fußball spielten. Ein merkwürdig-surrealistisches Gefühl, weil | |
| im gleichen Augenblick aus der Ferne die dumpfen Geräusche von Kämpfen und | |
| Beschuss zu hören waren. Gleichzeitig kam auch ein älteres Ehepaar vorbei, | |
| das auf einem Fahrrad einen Sack mit Kartoffeln transportierte – was | |
| bedeutet, das im Geschäft nebenan eine Lebensmittellieferung eingetroffen | |
| war. Wenn es nicht [2][dieses dumpfe Echo gäbe], könnte man meinen, alles | |
| sei wie immer, wie vor dem Krieg. | |
| Politiker wenden sich direkt ans Volk – das beruhigt | |
| Der Bürgermeister von Kiew, Witali Klitschko, wendet sich jeden Tag an die | |
| Kiewer und berichtet darüber, wie die Nacht in der Stadt verlaufen ist und | |
| wie die Infrastruktur funktioniert. „Alles ist schwierig, aber unter | |
| Kontrolle“, sagt er immer. Es gibt noch Telefonverbindungen und städtischen | |
| Nahverkehr, Lebensmittel und Medikamente werden noch in geringerem Umfang | |
| geliefert. Die Müllabfuhr hat wieder ihren Dienst aufgenommen. Lustig, dass | |
| vor ein paar Tagen jemand auf einen Müllcontainer „Putin, du sollst in der | |
| Hölle schmoren“ gesprayt hat. Ob russische Soldaten, wenn sie hier zufällig | |
| vorbeikommen, wohl denken, sie seien willkommen? | |
| Am Donnerstag sprach Präsident Wolodymyr Selenskyj mit ausländischen | |
| Pressevertretern. In Kiew, in seinem Büro. Er ist präsent. Obwohl die | |
| russische Propaganda davon überzeugt ist, dass er schon lange die Ukraine | |
| verlassen hat. Er sieht erschöpft aus, der ukrainische Präsident, aber er | |
| bleibt standhaft. Jetzt ist er ein Nationalheld. Noch kurz vor Kriegsbeginn | |
| hatte er viele Kritiker und Gegner. Jetzt stehen alle geschlossen hinter | |
| ihm – sowohl Politiker als auch das Volk. | |
| Es vergeht kein Tag, an dem die Menschen nicht seine Botschaften hören. | |
| Selbst in den Brotschlangen, von denen es in Kiew noch immer eher wenige | |
| gibt, hören sich die Menschen auf ihren Handys seine Appelle an. Sie loben | |
| ihn dafür, dass er die richtigen Worte findet, richtig agiert. Das beruhigt | |
| das ohnehin schon geeinte Volk. | |
| [3][In einer seiner Videoansprachen wandte er sich an den Kreml]: „Wir | |
| haben nichts zu verlieren, außer unserer Freiheit und unserer Würde“. Und | |
| so denken mittlerweile alle, nicht nur in Kiew, sondern auch in den anderen | |
| Städten der Ukraine. Sollte es zu einer Blockade der ukrainischen | |
| Hauptstadt kommen, dann wird niemand aufgeben, denn bis dahin haben die | |
| Ukrainer schon einen viel zu hohen Preis für ihren Wunsch nach Freiheit und | |
| Unabhängigkeit gezahlt. | |
| Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
| 5 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anastasia Magasowa | |
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