# taz.de -- Ambivalente Prioritäten in Kriegszeiten: Es ist zu viel | |
> In der Ukraine ist Krieg und die Welt schaut zu. Das Zuschauen macht | |
> wütend, ermüdet aber auch. Über ein Gefühl der Zerrissenheit. | |
Bild: Aleksander, 41, verabschiedet sich von seiner Tochter Anna am Bahnhof von… | |
Normalerweise schreibe ich an dieser Stelle über Medizin, Wissenschaft und | |
alles, was damit zu tun hat. Heute werde ich ausnahmsweise damit brechen. | |
Stattdessen möchte ich über die Emotionen schreiben, die ich bei mir und | |
anderen beobachte, seit Russland vor zwei Wochen einen [1][Krieg gegen die | |
Ukraine] begonnen hat. Was ich von allen Seiten höre, und selbst immer | |
wieder denke? Es ist zu viel. | |
Es sind zu viele Themen, die auf uns einstürzen, und eine Flut an Gefühlen, | |
die sie mitbringen. Da sind die [2][täglichen Nachrichten] und Bilder aus | |
der Ukraine, die Tränen in die Augen treiben, und an manchen Tagen denke | |
ich: heute werde ich weniger Nachrichten lesen, ich packe das nicht, noch | |
ein Bild von einem Vater, der am Bahnsteig steht und weinend seiner Frau | |
und seinen Kindern nachschaut, die sich in Sicherheit bringen müssen. | |
Noch ein Bild von Menschen, deren ganze Existenz durch einen einzigen | |
Bombeneinschlag vernichtet wird. Und dann denke ich, wie egoistisch bist du | |
eigentlich, glaubst du, die Menschen im Krieg können einfach mal so weniger | |
Nachrichten gucken? | |
Dann sind da die Berichte [3][von Schwarzen Flüchtenden], die an Grenzen | |
abgewiesen werden, obwohl sie wie andere Ukrainer*innen vor dem Krieg | |
flüchten, ich sehe Länder, die die Grenzen für Ukrainer*innen öffnen, | |
von denen sie Menschen aus dem Nahen Osten weggeprügelt haben, ich lese von | |
„guten“ und „schlechten“ Geflüchteten. | |
## Spinnst du? | |
Ich habe das Gefühl, es zerreißt mich, die Monstrosität an Ungerechtigkeit | |
und an Rassismus, und denke, aber darüber kann ich nicht reden, denn was | |
würde ich denken, wenn ich gerade aus der Ukraine fliehen würde, würde ich | |
denken, spinnst du, jetzt über Rassismus zu reden, während ein ganzes Volk | |
weggebombt wird? | |
Würde ich das denken, denken das Menschen? Darf ich wütend sein angesichts | |
dieses Unrechts, während gleichzeitig Menschen sterben, während sie ihre | |
Männer, Brüder und Väter zurücklassen? Aber was ist mit anderen | |
Geflüchteten, leiden sie nicht genauso? | |
Dann ist da noch der Alltag, der ja nicht aufhört, weil Krieg ist, | |
Traurigkeiten, Überforderungen, Deadlines, Herausforderungen, Streit, alles | |
da, alles noch intensiver. Und dann sind da die vielen Themen, die | |
scheinbar nur nebenbei laufen, die massive Aufrüstung Deutschlands, die so | |
verstörend ist, dass man gar nicht weiß, bei welchen Emotionen man da | |
anfangen soll. | |
## Der Krieg muss enden | |
Dass plötzlich ernsthaft über Atomkraft debattiert wird, wo man denkt, nach | |
dem Fast-Super-GAU in der Ukraine müsste der Atomausstieg beschlossen | |
werden, wenn er nicht schon beschlossen wäre. Die Pandemie, die immer noch | |
wütet, in der immer noch jeden Tag Menschen sterben, Familien unter der | |
Last brechen, Kita auf, Kita zu, und alles nochmal von vorne. Es ist zu | |
viel. | |
Darf man aber sagen, dass es zu viel ist, während Menschen im Krieg | |
sterben? Ich weiß es nicht. Ich habe keine Antworten. Nur viele Gefühle. Es | |
fällt schwer, sie auseinanderzuhalten. Nur eines weiß ich sicher: Dieser | |
Scheißkrieg muss enden. | |
7 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
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