| # taz.de -- Literaturzeitschrift zum Hören: Drück „Play“ für Literatur | |
| > Mit „Stoff aus Luft“ legen die Berliner Dichterinnen Tanasgol Sabbagh und | |
| > Josefine Berkholz ein Literaturmagazin im Podcastformat vor. | |
| Bild: Poesie als sinnliche Erfahrung: Josefine Berkholz und Tanasgol Sabbagh | |
| Du drückst auf „Play“, und plötzlich raunt dir eine Stimme etwas zu, das | |
| dir das Gefühl gibt, du würdest über den Kopf gestreichelt, während alles | |
| irgendwie nach Zimt riecht und ein Kamin vor sich hinknistert. Bevor du | |
| dich wundern kannst, was passiert, sagt sie: „Hörst du? Ich erkläre, ich | |
| komme vom Geräusch.“ | |
| Mit diesen Worten eröffnen die beiden Dichterinnen Tanasgol Sabbagh und | |
| Josefine Berkholz nicht nur ihre neue gemeinsame Literaturzeitschrift Stoff | |
| aus Luft, sondern stellen sich selbst vor: Seit mehr als zehn Jahren treten | |
| die beiden mit ihren Texten bei Poetry-Slam- und Spoken-Word-Bühnen auf und | |
| arbeiten konkret mit gesprochener Poesie. | |
| Mit dem Projekt [1][Stoff aus Luft] widmen sie diesem Genre gemeinsam mit | |
| dem Komponisten Fabian Saul ein eigenes Magazin, das seit Kurzem bei | |
| Streamingdiensten wie Apple Music verfügbar ist. Eine Literaturzeitschrift | |
| über gesprochene Poesie – zum Anhören. Aber wie funktioniert das? | |
| Was sind Texte abseits der Schriftlichkeit? Wie sind sie gebaut? Wie hält | |
| man sie fest? Und was spricht? | |
| ## Gespräche mit Gästen | |
| Genau diese Fragen bilden zugleich Kern und Gesprächsebene des Magazins, | |
| die von den beiden Moderatorinnen und fortan monatlich jeweils einem | |
| „Featured Artist“, einem Gast, betreten wird. So erzählt in der ersten | |
| Folge „A-wie Anfänge“ der Berliner Bühnenpoet Temye Tesfu von | |
| künstlerischer Inspiration und dem Unterschied zwischen „Papierlyrik“ und | |
| „Bühnenpoesie“– dem Sujet der beiden Moderatorinnen. | |
| Unterfüttert wird all das mit einer gemeinsamen Diskussion über eine eigene | |
| Poetik für gesprochene Poesie, bei der Temye Tesfu ebenso locker eloquent | |
| über Marx wie über Poetry Slam und kulturelle Ästhetik spricht. Das ist | |
| spannend, nur stellt sich spätestens hier die nervöse | |
| Kulturkonsumentenfrage, was Stoff aus Luft denn nun zu einem tatsächlichen | |
| Magazin macht, das sich von einem „gewöhnlichen“ (Literatur)-Podcast | |
| abgrenzen kann? | |
| Podcasts von Künstlern schwappten gerade am Anfang der Pandamie durch | |
| ausfallende Auftritte und Social Distancing wie eine Welle über die | |
| Streamingdienste. Das ließ erst einmal viel glitzerndes Strandgut zurück, | |
| entpuppte sich aber nicht selten als reine Zeugnisse der | |
| Beschäftigungstherapie in Form von Laberpodcasts. | |
| Das Konzept von Stoff aus Luft ermöglicht jedoch etwas, für das in | |
| eingeführten Literaturmagazinen und Podcasts kaum Raum vorhanden ist: Mal | |
| abgesehen vom theoretischen Inhalt wird hier nicht nur von gesprochener | |
| Poesie geredet, sie wird auch tatsächlich vorgestellt – durch Einspieler | |
| und eingesendete Werke. | |
| Und zwar mit dem Anspruch, mit dem sich Bühnenpoet:innen spätestens | |
| seit den neunziger Jahren von den Wasserglaslesungen der Literaturhäuser | |
| abzugrenzen wissen: durch performte, gelebte Poesie. Wenn auf der Bühne die | |
| Kraft der Bewegung Atmosphäre schafft, erzeugen hier eingebaute | |
| Soundelemente einen ähnlichen Effekt. | |
| ## Maschinelle Sounds | |
| Es knackt, rauscht und summt um die Texte der Künstler:innen Temye | |
| Tesfu, okkandice, Esther Kondo und Lydia Daher, wenn diese in monoton | |
| maschinellem Sound oder roboterähnlichen Stimmen ihre Interpretationen vom | |
| gemeinsamen Thema „Anfang“ etwa mit Texten über Stimmfindung (okkandice) | |
| oder das Backen von Brot (Temye Tesfu) darbieten. | |
| Und es ratscht und schmatzt, als die in Zürich lebende Bühnenpoetin und | |
| Kolumnistin Fatima Moumouni das Gefühl des „In die Welt Geworfenseins“ | |
| vermittelt, wenn sie gleichzeitig über eine Geburt „auf einem Stein“ | |
| spricht und dann ganz plötzlich von einem Körper erzählt, der küchenfertig | |
| in Fleischstücke zerlegt wird. | |
| Stoff aus Luft lebt von Poesie, die so klingt, als hätten Else | |
| Lasker-Schüler und Allen Ginsberg bei ein paar Absinth beschlossen, | |
| gemeinsam Cut-up-Gedichte zu erstellen. Das mag neusachlichen Nostalgikern | |
| aufstoßen und – zugegeben – mit den ambitionierten Diskussionsthemen | |
| tatsächlich manchmal etwas nerdig wirken – nur das scheint keinesfalls | |
| aufgesetzt. | |
| Das merkt man spätestens dadurch, dass die beiden Moderatorinnen die | |
| Wortverliebtheit aus den von ihnen kuratierten Gedichten auch in ihre | |
| Moderation übernehmen. So braucht es manchmal etwas Zeit, um zu verstehen, | |
| ob im Laufe der Folge bereits ein Text gelesen, ein Jingle eingespielt, | |
| eine Anmoderation verlesen oder ob schon weiterdiskutiert wird. | |
| ## Beiträge werden in Poesie zusammengebunden | |
| Darin liegt die Besonderheit von Stoff aus Luft und das Rezept, um aus | |
| einem Podcast eine Alternative zu einer herkömmlichen Zeitschrift zu | |
| bieten: Die Beiträge treffen aufeinander, bieten Kontraste und werden doch | |
| in Poesie zusammengebunden. Und sie alle kehren im Zusammenspiel aus Klang, | |
| Rhythmus und Sprache wieder zur Ausgangsfrage zurück: „Was sind Texte | |
| abseits der Schriftlichkeit?“ | |
| Nach den ersten 30 Minuten wird klar, dass man, um diese Frage beantworten | |
| zu können, auf die Metaebene von Stoff aus Luft gezogen wird. Eine, auf der | |
| man eigene Gefühle und Empfindungen nur über das Hören entwickeln kann. | |
| Hier findet man keinen Ersatz zum Literaturmagazin oder zu einem | |
| aufgeschriebenen Gedicht, sondern ein eigenes zauberhaftes Sinneserlebnis. | |
| 14 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.stoffausluft.de | |
| ## AUTOREN | |
| Aron Boks | |
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