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# taz.de -- Berliner Literaturmagazin Delfi: Welt spielen
> Die neue, vierte Ausgabe des Literaturmagazins „Delfi“ nimmt
> sprachgewaltig die Wirklichkeit in den Blick. Viele Texte behandeln
> Grenzerfahrungen.
Bild: Ausschnitt des Covers. Gestaltung: Omar Nicolas, das Cover-Motiv ist von …
Nach „Tempel“, „Fleisch“ und „Gift“ verspricht „Spiel“, so der …
vierten Ausgabe von Delfi, dem Magazin für neue Literatur, etwas mehr
Heiterkeit. Der Eindruck täuscht. Mit der Prämisse „Wer erzählt, spielt
Welt“ setzen die Herausgeber:innen Fatma Aydemir, Enrico Ippolito,
Miryam Schellbach und [1][Hengameh Yaghoobifarah] im Editorial einen
bedrohlichen Ton. Literatur ist manipulativ, jeder Text immer auch Spiel
mit der Wirklichkeit.
Gäbe es dafür einen Musterbeitrag, lieferte ihn Raphaëlle Red. In „Das
längste Spiel“ tritt eine schwarze Frau einer Reality-Show bei. Die Macht
von Autor:innen entlarvt Red durch eine Erzählung, die sich selbst
permanent aufhebt oder anzweifelt.
Nach jedem Satz bietet sie mindestens eine Alternative an, inspiriert von
„Choose Your Own Adventure“-Geschichten. Damit spielt sie der Leserin den
Ball zurück: Sie muss sich für eine Realität entscheiden. Oder kann sie
sich selbst dem entziehen? Die Protagonistin jedenfalls scheitert immer
wieder, aus vorgelegten Narrativen über ihre Geschichte auszubrechen.
## Resilienz oder psychische Instabilität
Zwischen Resilienz oder psychischer Instabilität kann sie wählen, Gewinnen
scheint keine Option zu sein. Vorerst. Red gelingt eine beeindruckende
Jonglage mit Form und Inhalt, Kritik und Witz. Eindringlich ist die Analyse
von Rassismus und Sexismus, der, eingewickelt in Quoten-Awareness, neue,
perfide Formen annimmt. Gleichzeitig entlockt die sassy Einstellung
gegenüber der Wirklichkeit Lacher – mit einem weinenden Auge.
Die Wirklichkeit bleibt auf Kipp, die Sehnsucht nach Alternativen
sprachgewaltig und die Leserin gefordert bei Stefanie de Velasco, Melissa
Broder und [2][Jayrôme C. Robinet.] Manche Stücke nehmen aber vor lauter
Experimentierfreude Verwirrung zu leichtfertig in Kauf. Ein zwischen
Telefonat und Regieanweisung schwankender Dialog von Mazlum Nergiz zwischen
Stiefmutter und -tochter will einen halb verschwiegenen Tod aufarbeiten und
damit zu viel.
Die Illustration von Gina Wynbrandt lässt zu viel weg, wenn sie weiße
Flächen an die Stelle von Köpfen setzt. Wirkungsvoll hingegen kreuzt
Comiczeichnerin Marijpol in „Glamgun“ Kriegsmotive mit Herz-Emojis und der
Cancel-Culture-Debatte. Dasselbe gelingt Miedya Mahmod in der Gedichtreihe
„Anything not saved will be lost“ mit „Webcore“-Ästhetik und Kinderlyr…
Wenngleich unter dem „Stream of Consciousness“ verkopftere Projekte
durchscheinen, die nicht immer ankommen.
## Zerfressende Mehrstimmigkeit
Insgesamt ist die thematische Spielwiese eher grau als bunt. Im
Notizenformat fächert Sandra Gugić anhand von verschiedenen
Protagonist:innen einen vermutlich autobiografischen Israel-Aufenthalt
auf. Sie alle setzen ein neues Puzzleteil in das Bild vom Gaza-Konflikt.
Nur dass das Puzzle schon im Titel nicht aufgeht: „Es gibt keine
Chronologie, nur die Unvollständigkeit der in Arbeit befindlichen
Gedanken.“ Unter der zerfressenden Mehrstimmigkeit leidet das Schweigen der
Erzählerin, das auch im Text droht zu laut zu werden und trotzdem real ist.
Aus der Reihe kopfzerbrecherischer Spiele tanzen die Liebesgeschichte von
Chris Kraus, die nicht Liebesgeschichte sein will, und die kaffeesippende
Meditation über Bügeln als Hobby von [3][David Wagner.] Theresia
Enzensberger liefert eine interessante, nüchterne Untersuchung über den
indigenen Stamm der Seminolen, die in Florida erfolgreich Casinos führen.
Mit einem Drama über Medea erweitert [4][Nino Haratischwili] die
Genrevielfalt. Ihre Ode an das Pathos ist eindrücklicher zu hören als zu
lesen. Der US-amerikanischen Schriftstellerin Claudia Rankine begegnet man
leider nur im Interview. Immerhin erfährt man etwas über ihre
Schreibroutine, die um 3.30 Uhr morgens startet, was nicht so lustig
klingt. Aber das Schreiben ist ja auch kein Kinderspiel.
14 Mar 2025
## LINKS
[1] /Neuer-Roman-von-Hengameh-Yaghoobifarah/!6036571
[2] /Debuetroman-von-Jayrme-C-Robinet/!6049682
[3] /Neuer-Roman-von-David-Wagner/!6028055
[4] /Autorin-Nino-Haratischwili-ueber-Georgien/!6041746
## AUTOREN
Yi Ling Pan
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