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# taz.de -- Kinoempfehlungen für Berlin: Filme mit Haptik
> Die Internationalen Stummfilmtage Bonn sind zu Gast in Potsdam. Und „An
> Impossible Project“ erzählt von der Rettung der letzten Polaroid-Fabrik.
Bild: „An Impossible Project“ (D/AT 2020, Regie: Jens Meurer)
Denkt man an Kino aus der Sowjetunion zu Zeiten Lenins und Stalins, dann
fallen einem wohl in erster Linie Dramen um heldenhafte Traktoristinnen im
Stil des sozialistischen Realismus ein. Doch das ist natürlich ein
Klischee.
In den 1920er Jahren, als die sowjetische Kulturpolitik gelegentlich noch
kleine Experimente zuließ, entstand etwa eine Reihe von ziemlich amüsanten
und überzeugenden Komödien. [1][Insbesondere der Regisseur Boris Barnet ]
erwies sich in dieser Hinsicht als großes Talent, sein Film „Das Mädchen
mit der Hutschachtel“ (1927) ist ein echter Favorit.
Als Schauspieler ist Barnet in der Groteske „Die seltsamen Abenteuer des
Mr. West im Lande der Bolschewiki“ (1924) zu sehen, die Lew Kuleschow
(berühmt für seine Experimente zur Filmmontage) als eine an amerikanische
Slapstick-Komödien angelehnte Satire auf Klischees über die Sowjetunion
inszenierte. Barnet spielt den schießfreudigen Begleiter des Amerikaners
John West, der bei einer Reise in die Sowjetunion erwartet, ein Land in
Trümmern und eine Bevölkerung von unzivilisierten Barbaren vorzufinden.
Tatsächlich fallen die beiden im Wortsinn unter die Räuber, können aber am
Ende von der Modernität und Fortschrittlichkeit des Sowjetstaates überzeugt
werden. Das Filmmuseum Potsdam zeigt den Film als eine Zusammenarbeit mit
den Internationalen Stummfilmtagen Bonn, die musikalische Begleitung
übernimmt Sabine Zimmer live am Klavier (19. 2., 19.30 Uhr, [2][Filmmuseum
Potsdam]).
Wer hätte vor fünfzehn Jahren schon wirklich voraussagen können, wie
allumfassend die Digitalisierung der Arbeits- und Freizeitwelten unser
aller Leben verändern würde? Zweifellos hat die Digitalisierung viele
Abläufe bedeutend einfacher und schneller gemacht, doch mit den ebenfalls
erkennbaren Schattenseiten zeigen sich auch bereits erkennbare
Gegenbewegungen: Die Lust am Analogen, an Dingen, die man anfassen und
ansehen kann, nimmt stetig zu.
Davon handelt auch [3][der Dokumentarfilm] „An Impossible Project“ von Jens
Meurer, der darin den österreichischen Entrepreneur Florian „Doc“ Kaps
porträtiert, der 2008 die letzte, kurz vor der Schließung stehende
Polaroid-Fabrik in Enschede kaufte, um weiterhin Filme für die vor allem in
den 70er- und 80er-Jahren beliebten Sofortbildkameras zu produzieren.
Die Probleme bei der Herstellung erwiesen sich als enorm, aber um es kurz
zu machen: Heute vertreibt die Firma wieder erfolgreich ihre Filme, nur
Kaps als Geschäftsführer blieb dabei irgendwann auf der Strecke.
Der Film lebt von seinem sympathischen und humorvollen Protagonisten, zollt
dessen Ideen aber auch in der Gestaltung – mit 35mm-Film und einer
direct-to-disc aufgenommenen Musik der Jazzsängerin Haley Reinhart plus
Orchester – seinen Tribut.
Im Übrigen sollte man die Lust am Analogen nicht mit purer Nostalgie
verwechseln: Die Konsumenten nutzen mit der gleichen Selbstverständlichkeit
digitale Angebote, treffen aber gelegentlich eine bewusste Entscheidung für
ein wertiges – auch nicht ganz preiswertes – analoges Produkt, welches dem
analogen Wesen Mensch in seiner Haptik eher entgegenkommt als ein paar Bits
und Bytes (17. 2., 12.45 Uhr, 23. 2., 14.20 Uhr, [4][B-ware!] Ladenkino,
18. & 21. 2., 18 Uhr, [5][Acud Kino], 19.–20. 2., 16 Uhr, [6][Zukunft], 20.
2., 11 Uhr, [7][Filmtheater am Friedrichshain], 20. 2., 11.45 Uhr,
[8][Delphi Lux], 21. 2., 17 Uhr, [9][Sputnik Kino]).
Hmm, wie komme ich jetzt elegant zur Mainstream-Komödie „Ghostbusters:
Legacy“, deren Geister und Dämonen garantiert nur aus Bits und Bytes
bestehen, und nicht bloß aus ein paar? Da werden ganze Säle voller
Computer, ganze Rendering-Farmen mit der Berechnung der CGI-Spezialeffekte
beschäftigt gewesen sein.
Dem Effekt-Overkill (nimmt im Lauf der Handlung stetig zu) zum Trotz
bekommt der Film von Jason Reitman seine Geschichte um die Enkelin eines
der Original-Ghostbusters, die als einzige eine gewaltige Geister-Bedrohung
der Welt erkennt, eigentlich ganz sympathisch und lustig-gruselig hin: „I
Was a Teenage Ghostbuster“ könnte der Film auch gut heißen (17. & 18. 2.,
14.30 Uhr, 19. 2., 12.50 Uhr, 20. 2., 13.20 Uhr, 21.-23. 2., 14.40 Uhr,
[10][UCI Luxe Kino Mercedes-Platz]).
17 Feb 2022
## LINKS
[1] /!1776507/
[2] https://www.filmmuseum-potsdam.de/index.php?id=b6e2f09003bb161e2450001d907f…
[3] /Dokumentarfilm-An-Impossible-Project/!5826046
[4] https://ladenkino.de/
[5] https://acudkino.de/Programm/an_impossible_project/19505
[6] https://zukunft-ostkreuz.de/kino.html
[7] https://yorck.de/kinos/filmtheater-am-friedrichshain
[8] https://yorck.de/kinos/delphi-lux
[9] https://www.sputnik-kino.com/program/movie/2323
[10] https://www.uci-kinowelt.de/kinoprogramm/berlin-mercedes-platz/82
## AUTOREN
Lars Penning
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