# taz.de -- Angriff auf die Ukraine: Schlacht um Kiew beginnt | |
> Russische Truppen rücken am Freitag in Richtung der ukrainischen | |
> Hauptstadt vor. Dort mobilisiert die Bevölkerung zum Straßenkampf. | |
Bild: Nationalgarde in Kiew, 25. Februar | |
BERLIN taz | Am zweiten Tag des Überfalls auf die Ukraine haben sich | |
Russlands Angriffe auf die Hauptstadt Kiew konzentriert. Nach Luftangriffen | |
in der Nacht wurden am Freitagmittag Kämpfe außerhalb von Kiew am | |
nördlichen Stadtrand mit russischen Einheiten gemeldet. Die ukrainischen | |
Streitkräfte sprengten eine wichtige Brücke, um den russischen Vormarsch | |
aufzuhalten. | |
„Heute wird der härteste Tag“, sagte am frühen Morgen Anton | |
Heraschtschenko, Berater des ukrainischen Innenministers. Die ukrainische | |
Regierung geht davon aus, dass Russland in Kiew eine Marionettenregierung | |
installieren will, mit der dann Friedensverhandlungen geführt werden | |
können. | |
[1][In der Nacht hatte es russische Luftangriffe auf Kiew gegeben], die | |
teils beträchtlichen Schaden in Wohngebieten anrichteten. Außenminister | |
Dmytro Kuleba schrieb am Morgen auf Twitter. „Das letzte Mal, dass unsere | |
Hauptstadt so etwas erlebt hat, war 1941, als sie von Nazi-Deutschland | |
angegriffen wurde.“ | |
Am Donnerstagabend war ein russischer Luftlandeversuch auf dem | |
Militärflughafen Hostomel westlich von Kiew durch ukrainische | |
Gegenangriffe vereitelt worden. Die Piste sei jetzt unbrauchbar, meldeten | |
ukrainische Journalisten. Russische Meldungen über erfolgreiche Landungen | |
dort dürften von vor dem Gegenangriff stammen. | |
## In Kiew werden Waffen verteilt | |
Am Freitag jedenfalls rückten russische Truppen beidseitig des Flusses | |
Dnjepr aus Belarus [2][auf dem Landweg 90 Kilometer nach Kiew vor, was sie | |
angreifbarer machte.] In Tschernihiw östlich des Dnjepr nahe der Grenze zu | |
Belarus wurde der russische Vorstoß in schweren Kämpfen aufgehalten. | |
Westlich des Dnjepr führt der einfachste Weg aus Belarus nach Kiew durch | |
das Sperrgebiet rund um das 1986 havarierte AKW Tschernobyl. Es soll sich | |
seit Donnerstagabend in russischen Händen befinden. Ukrainische Behörden | |
meldeten am Freitagmittag einen leicht erhöhten Austritt von Radioaktivität | |
aus der Ruine und machten Meldung an die Internationale Atomenergiebehörde | |
IAEA. Die erklärte, sie verfolge die Situation „mit großer Sorge“. | |
In Kiew selbst bereitete sich die Bevölkerung auf die Verteidigung der | |
Millionenstadt im Straßen- und Häuserkampf vor. Checkpoints wurden | |
eingerichtet und bis zum Nachmittag nach lokalen Berichten 18.000 Waffen | |
verteilt. Zur Waffe griffen vor der Kamera unter anderem Bürgermeister | |
Vitali Klitschko und Ex-Präsident Petro Poroschenko. | |
[3][Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski rief die Bevölkerung in | |
einer Ansprache am frühen Morgen zum Durchhalten und zur | |
Generalmobilmachung auf] und mahnte erneut mangelnde internationale | |
Unterstützung an. „An diesem Morgen verteidigen wir unser Land alleine“, | |
erklärte er. „So wie gestern.“ | |
## Probleme bei russischem Vormarsch? | |
In einer weiteren Videobotschaft rief er später alle Europäer mit | |
Kampferfahrung dazu auf, nach Kiew zu kommen, um Europa zu verteidigen. | |
Großbritannien und Estland kündigten militärischen Nachschub für die | |
Ukraine an. | |
[4][Russlands Vormarsch gestaltet sich allen Berichten zufolge deutlich | |
schwieriger als zunächst erwartet.] Der ukrainische Journalist und | |
Militärexperte Illia Ponomarenko spricht unter Berufung auf das | |
Verteidigungsministerium von 1.000 getöteten russischen Soldaten am Freitag | |
bis zum Nachmittag, nach 400 bis 800 am Donnerstag. Die russische Armee in | |
der Ukraine habe bis Freitag 15 Uhr 80 Panzer, 516 Panzerfahrzeuge und 10 | |
Flugzeuge oder Hubschrauber verloren und 2.800 Tote oder Verwundete zu | |
beklagen. | |
Aus mehreren am Donnerstag besetzten Orten mussten sich russische Truppen | |
wieder zurückziehen, nachdem sie unter schweren Beschuss kamen. | |
Kampfdrohnen, wie sie die Ukraine jüngst aus der Türkei erworben hat, | |
zerstörten an mindestens einem Ort im Süden des Landes eine komplette | |
russische Militärkolonne. | |
„Wegen starken ukrainischen Widerstandes hat Russland die Ziele seines | |
ersten Angriffstages nicht erreicht“, bilanzierte die britische | |
Militärfachzeitschrift UK Defence Journal am Freitag. Unter | |
US-amerikanischen und britischen Militärexperten wurde gemutmaßt, dass | |
entweder Russland noch nicht sein volles Angriffspotenzial entfaltet habe | |
oder dass das russische Militär schlechter aufgestellt sei, als man dachte. | |
Einem Bericht zufolge weigern sich Russlands Geheimdienste, ihre | |
hochmoderne Technologie zur elektronischen Kriegsführung der Armee zur | |
Verfügung zu stellen, da die Soldaten nicht zum Umgang damit ausgebildet | |
seien und sie kaputtmachen würden. | |
## Dubioses Gesprächsangebot Moskaus | |
Vor diesem Hintergrund erzeugten am Freitag Vorstöße zu möglichen | |
Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine zeitweise vorsichtigen | |
Optimismus. Moskau sei bereit, eine Delegation zu Gesprächen mit der | |
Ukraine in die belarussische Hauptstadt Minsk zu schicken, sagte | |
Kremlsprecher Dmitri Peskow und nannte eine Aufforderung des ukrainischen | |
Präsidenten Selenski an Putin zu Gesprächen einen Schritt in die richtige | |
Richtung. | |
Die Mitteilung werde analysiert, Selenski als Präsident der Ukraine | |
anerkannt, hieß es. „Natürlich, ja. (…) Er ist der Präsident der Ukraine… | |
Doch von höchster Stelle kamen danach andere Töne. Auf einem im Internet | |
übertragenen Treffen mit Mitgliedern des Sicherheitsrates in Moskau wandte | |
sich Putin direkt an die ukrainische Armee und sagte: „Nehmen Sie die Macht | |
in Ihre eigenen Hände, mit Ihnen werden wir uns leichter einigen als mit | |
dieser Bande von Drogenabhängigen und Neonazis, die sich in Kiew | |
niedergelassen und das gesamte ukrainische Volk als Geisel genommen haben“, | |
sagte Putin. | |
Zuvor hatte Außenminister Sergei Lawrow gesagt, man sei „jederzeit“ zu | |
Verhandlungen bereit, sobald die ukrainischen Streitkräfte „die Waffen | |
niederlegen“. | |
## Europarat suspendiert Russland | |
Am Freitagnachmittag suspendierte der Europarat Russland wegen des Angriffs | |
auf die Ukraine. Die Teilnahme russischer Diplomaten und Delegierter an den | |
wichtigsten Gremien der europäischen Organisation werde „mit sofortiger | |
Wirkung“ ausgesetzt. Dies betreffe aber nicht den Europäischen Gerichtshof | |
für Menschenrechte, damit dieser weiterhin von russischen Staatsbürgern | |
angerufen werden kann. | |
Der Europarat hatte den russischen Angriff auf die Ukraine bereits am | |
Donnerstag scharf verurteilt. Dem Rat gehören 47 Mitgliedstaaten an, | |
darunter Russland und die Ukraine. Der Europarat hatte bereits nach der | |
Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 Sanktionen gegen | |
Russland verhängt. Der russischen Delegation in der Parlamentarischen | |
Versammlung des Europarates wurde das Stimmrecht entzogen. Moskau reagierte | |
mit der Aussetzung seiner Zahlungen an den Rat. Nach fünf Jahren wurde der | |
Streit beigelegt. (mit rtr/ap) | |
25 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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