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# taz.de -- Klimaaktivisten über Autobahnblockaden: „Kein Vorbild für Recht…
> Autobahnblockaden gefährden nicht Mehrheiten für mehr Klimaschutz, sagt
> Tobias März von der „Letzten Generation“. Damit widerspricht er den
> Grünen.
Bild: Aktivist*innen vom „Aufstand der letzten Generation“ blockieren eine …
taz: Herr März, Ihre Initiative „[1][Letzte Generation]“ blockiert seit
einigen Wochen immer wieder Autobahnen und jetzt auch Zufahrtsstraßen von
See- und Flughäfen. So wollen Sie die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz
und einer Verpflichtung für Supermärkte zwingen, übrig gebliebene
Lebensmittel zu spenden. Müssen wir damit rechnen, dass auch Querdenker
oder Rechtsradikale bald Einrichtungen blockieren, die wenig mit ihrem
Anliegen zu tun haben?
Tobias März: Das ist unwahrscheinlich, weil wir sehr gewaltfrei vorgehen
und die Menschen, die sich daran beteiligen, viel auf sich nehmen. Die
werden ja von Autofahrern geschlagen oder von der Straße gezerrt. Oder sie
sitzen stundenlang in der Kälte oder im Regen auf dem Asphalt und kommen
dann in Polizeigewahrsam für Stunden. Da braucht man schon eine sehr große
Entschlossenheit. Das halte ich für unwahrscheinlich, dass das in großem
Stil übernommen wird.
Querdenker und Rechtsradikale sind allerdings auch sehr überzeugt von ihren
Zielen. In Kanada haben Impfgegner ebenfalls schon Straßen blockiert.
Aber wir grenzen uns ab von solchen Leuten: Wir respektieren
Rechtsstaatlichkeit. Wir wehren uns nicht gegen die Polizei, sondern lassen
uns wegtragen und einsperren. Wir fordern auch nicht irgendwas, das vom
Himmel gefallen ist. Wir berufen uns auf den Bürgerrat Klima, in dem 2021
zufällig ausgewählte Bürger unter Beratung von Experten demokratisch
Beschlüsse gefasst haben – nur diese fordern wir ein. Wir sagen nicht, dass
die Regierung abgeschafft werden oder eine Anarchie entstehen soll. Wir
sind kein Vorbild für Rechtsextreme.
Vielen erschließt sich nicht, was Blockaden auf Autobahnen mit
Lebensmittelverschwendung zu tun haben. Warum blockieren Sie nicht das
zuständige Agrarministerium oder Supermärkte?
Es gab ja eine Aktion auch im Landwirtschafts- und im Justizministerium. In
andern Aktionen retten wir auch Lebensmittel aus der Tonne bei Supermärkten
und verteilen sie dann. Aber damit bekommen wir nicht die nötige
Aufmerksamkeit. Das allein bringt nicht schnell genug eine neue
Klimapolitik, die wir jetzt brauchen. Wir haben nur 3 bis 4 Jahre, um den
schlimmsten Klimakollaps aufzuhalten. Sonst erwärmt sich die Erde stärker
als 2 Grad und wegen der Kipppunkte im Klimasystem sind wir schnell bei 3
und 4 Grad. Dann können wir die heutige Zahl Menschen gar nicht mehr
ernähren. Das zeigen wissenschaftliche Studien. Wegen dieser Dringlichkeit
halten wir diese Art von Protestform als Weckruf für angemessen.
Stimmt der Vorwurf von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne), Ihre Aktionen
würden es schwieriger machen, Mehrheiten für mehr Klimaschutz zu bekommen?
Das glaube ich nicht. Natürlich regen sich viele über die Aktionsform auf.
Aber das wird sie nicht langfristig gegen Klimaschutz aufbringen. Im
Gegenteil: Bei ihnen wird ankommen, dass Menschen so viel für diesen Kampf
in Kauf nehmen, und dann werden sich die Leute mehr damit beschäftigen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat kritisiert: „Mit der Blockade von Straßen und
Häfen werden unbeteiligte Bürger gefährdet. Krankenwagen müssen Umwege
fahren.“ Was ist an dem Vorwurf dran?
Wir schauen immer, dass wir eine Rettungsgasse freihalten. Es kommt immer
wieder vor, dass Krankenwagen im Stau stehen. Das kann man jetzt nicht auf
diese Blockaden zurückführen. Umgekehrt sagen wir halt: CSU und CDU sind
die, die uns die letzten Jahrzehnte in diese Situation geführt haben. Wenn
die eine anständige Klimapolitik gemacht hätten in den letzten drei
Legislaturperioden, dann bräuchten wir diese Aktion jetzt vielleicht gar
nicht.
Können Sie erklären, welchen Sinn es ergibt, bei einer Aktion gegen
Lebensmittelverschwendung große Mengen Brot und andere Lebensmittel auf den
Autobahnasphalt zu kippen?
Das waren ja Lebensmittel, die aus der Tonne gerettet worden waren. Das
heißt, sie waren sowieso schon im Müll, weil das momentan eben so Praxis
ist. Darauf wollten wir hinweisen und das bildlich machen.
Sie haben auch versucht, den Schiffsverkehr zu blockieren. Sind Sie
wirklich gegen Schiffe, die pro Tonne klimafreundlicher sind als Lastwagen?
Dabei geht es uns nicht per se um den Schiffsverkehr, sondern um das
System, wie es jetzt läuft. Also zum Beispiel, wie viele Güter derzeit von
China nach Europa verschifft werden. Das ist auf Dauer nicht tragbar.
Verkehr insgesamt muss sich ändern, nicht nur in Richtung E-Mobilität,
sondern der Verkehr und auch der Konsum muss reduziert werden. Jedenfalls,
wenn wir nicht wollen, dass unsere Kinder, Enkel oder vielleicht auch wir
selbst noch große Hungersnöte, Dürren, Unruhen und so weiter erleben.
Die durch Lebensmittelverluste verursachten Treibhausgasemissionen betragen
nach Angaben des Umweltbundesamts von 2017 nur etwa [2][4 Prozent] des
gesamten deutschen Ausstoßes. Warum fokussieren Sie sich auf dieses Detail?
Wir wollten eine Frage in den Mittelpunkt stellen, bei der die Regierung
direkt handeln kann. Die Energie- und die Verkehrswende sind super wichtig.
Aber da redet sich die Regierung raus, das sei so schwierig und dauere.
Deshalb haben wir Emissionen herausgegriffen, die halt von heute auf morgen
eingespart werden können, ohne dass es wirklich jemandem schadet. Der
Gesetzesentwurf liegt vor und kann direkt in den Bundestag eingebracht
werden.
Aber laut Bundesagrarministerium fallen in Deutschland nur [3][4 Prozent
der gesamten Lebensmittelabfälle] im Handel an. Vergeuden Sie da nicht
Ihre Energie für einen nachrangigen Teilaspekt?
Ich weiß nicht, wo Herr Özdemir diese 4 Prozent herhat. Es gibt eine sehr
umfassende und gute [4][Studie des Umweltverbands] WWF, die auf 14
Prozent kommt. So ganz wenig ist das nicht.
Hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
recht, wenn er sagt, Sie dürften keinen zivilen Ungehorsam ausüben, weil
Sie noch nicht alle legalen Mittel wie etwa Petitionen ausgeschöpft hätten?
Das kann ich anhand meiner Person erklären: Ich habe angefangen mit der
Klimathematik während meines Studiums Anfang der 2000er Jahre. Ich habe
Solarenergie studiert und arbeite seitdem in dem Bereich, weil ich dachte,
das bringt die Energiewende, mit der wir den Klimawandel in den Griff
kriegen. Gleichzeitig sind seitdem die Emissionen weltweit jährlich
gestiegen. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Wenn ich dann in 30
Jahren von meinen Kindern gefragt werde, was ich gemacht habe, soll ich
dann antworten: Ich habe eine Petition eingereicht?
Was sagen Sie zu der Kritik, Ihre Bewegung würde der Gewalt Vorschub
leisten, weil sie so radikal sei und das Bild einer angeblich drohenden
Apokalypse zeichne?
Ich kann mir vorstellen, dass Menschen irgendwann auch zu noch
drastischeren Mitteln greifen werden, wenn sie besonders verzweifelt sind.
Allerdings glaube ich nicht, dass das jetzt mit uns als Bewegung zu tun
hat. Wir haben uns Gewaltfreiheit auf die Fahnen geschrieben. Wir sind uns
einig, dass wir letztlich irgendwann die Mehrheit der Regierung, aber auch
der Bevölkerung erreichen müssen. Und das geht nicht mit Gewalt.
Julia Klöckner, die Agrarministerin der letzten Bundesregierung, die jetzt
wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion ist, sagt, „Deutschland
ist bereits Vorreiter beim Klimaschutz“ und „Wir müssen auch zukünftig
Wachstum und Klimaschutz zusammenbringen“. Was sagen Sie dazu?
Ich habe das Gefühl, die redet da an der wissenschaftlichen Realität
vorbei. Es mag sich so anfühlen heute im Alltag, dass wir alles im Griff
haben. Aber wenn wir uns die Studien anschauen und den Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern zuhören, die erforschen, wie die Welt in 30 oder 50
Jahren aussieht, kann ich so eine Aussage nicht nachvollziehen.
Sie suggerieren, in Deutschland würde bald großer Hunger ausbrechen, wenn
wir die Treibhausgasemissionen nicht noch stärker als geplant reduzieren.
Wie können Sie das belegen?
In südlichen Ländern gibt es schon längst Hungersnöte, die unter anderem
auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Wann wir in Deutschland in einer
vergleichbaren Situation sein werden, ist sehr schwer zu sagen, weil wir in
einer Klimazone sind, wo wir wahrscheinlich noch länger etwas anbauen
können. Und Deutschland ist ein sehr wohlhabendes Land. Das heißt, wir
werden uns wahrscheinlich freikaufen. Aber wie fühlt sich das dann an, in
Deutschland noch meinen Kindern etwas zu essen geben zu können, während ich
weiß, zum Beispiel die Mitglieder der Familie meines Schwagers, die im
westafrikanischen Togo lebt, die sterben gerade an Hunger, weil sie weniger
Geld haben und es dort zu wenig Nahrungsmittel gibt?
27 Feb 2022
## LINKS
[1] /Letzte-Generation/!t5833405
[2] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/dokumentation-fachforum-2017
[3] /Gruener-Agrarminister-zu-Klimaprotesten/!5831002
[4] http://www.nature.com/articles/d41586-021-02990-w%20%3C0x2022%3E%20Die%20We…
## AUTOREN
Jost Maurin
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