# taz.de -- Berlin-Blockaden der Letzten Generation: Mit Kleber gegen die Klima… | |
> Etwa 60 Aktivist*innen blockieren das Frankfurter Tor, sorgen für | |
> stundenlange Staus und erregte Diskussionen. Die Aktionen gehen weiter. | |
Bild: High Five | |
BERLIN taz | Donnerstagmorgen, halb zehn, am Frankfurter Tor in | |
Friedrichshain: Die Sonne knallt auf die Kreuzung von Warschauer Straße und | |
Karl-Marx-Allee – einer der Hauptverkehrsknoten der östlichen Innenstadt – | |
und heizt den Asphalt mit jeder Minute weiter auf. Schatten spendende Bäume | |
gibt es in dieser Betonwüste kaum, der Grünstreifen ist braun-gelb gefärbt. | |
Es ist geradezu ein symbolischer Ort für den Klimanotstand, der sich in | |
diesem Frühsommer mit Rekordtemperaturen und extremen Wetterereignissen so | |
besonders manifestiert. | |
Normalerweise gehen die meisten Menschen dennoch ihrem gewohnten Alltag | |
nach und pendeln zur Arbeit; trotz der Spritpreise an der Zwei-Euro-Marke | |
pro Liter sind die Straßen zu den Hauptverkehrszeiten verstopft. An diesem | |
Tag ist die Pkw-Lawine aber nicht ihr eigenes Hindernis, sondern es sind | |
etwa 60 Aktivist*innen der [1][Gruppe Aufstand der letzten Generation]. | |
In Warnwesten gekleidet haben sie sich um 7.45 Uhr auf alle Richtungen der | |
Kreuzung verteilt und ihre Handflächen mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn | |
fixiert. Auf Bannern präsentieren sie ihre Forderung „Öl sparen statt | |
Bohren“. Es ist der vierte Aktionstag infolge, seit am Montag mehrere | |
Zufahrten zur Autobahn A100 blockiert wurden. | |
Nach einiger Zeit hat die Polizei, die mit einem Großaufgebot angerückt | |
ist, alle Wege zur Kreuzung großflächig abgesperrt. Die Karl-Marx-Allee | |
bietet einen freien Blick bis zum Fernsehturm. Dass die Blockier*innen | |
nicht unter sich bleiben, liegt an den vielen Passant*innen, die sich auf | |
den Bürgersteigen versammelt haben. Viele filmen das Geschehen, andere | |
diskutieren angeregt, erläutern gegenseitig Für und Wider der Aktion. | |
## Arbeit gekündigt für den Aktivismus | |
Auf der Kreuzung in Richtung Petersburger Straße sitzt ein freundlich | |
dreinblickender Mann mit Strohhut. Seine linke Hand ist seit fast drei | |
Stunden auf dem Asphalt festgeklebt. Der Blockierer heißt Arne Springorum, | |
ist 48 Jahre alt und für die Protestwelle extra aus Prag angereist. Seinen | |
Job als Energieeffizienzberater hat der Geologe an den Nagel gehängt, um | |
sich voll auf den Aktivismus zu konzentrieren. Dies ist bereits seine | |
dritte Aktion in dieser Woche. Zwei halbe Tage verbrachte er danach jeweils | |
in der Gefangenensammelstelle der Polizei. | |
Er und die meisten seiner Mitstreiter*innen seien vorher bei Extinction | |
Rebellion gewesen, aber beim Aufstand der letzten Generation liefen die | |
Aktion viel „koordinierter“ ab. „Deshalb habe ich die Hoffnung, dass wir | |
wirklich etwas verändern können“, so Springorum. Anders als bei ihren | |
ersten großen Aktionen zum Jahresanfang fordern die Blockierer*innen | |
nicht mehr ein Lebensmittelrettungsgesetz, sondern den Verzicht auf | |
mögliche Ölbohrungen in der Nordsee – das steht auch auf einem Transparent, | |
das Springorum vor sich ausgebreitet hat. | |
Hervorgegangen ist die Aktionsgruppe Aufstand der letzten Generation – | |
deren Namen darauf anspielt, dass nur diese Generation noch verhindern | |
könne, dass die Erde unbewohnbar wird – aus einem Hungerstreik vor der | |
Bundestagswahl. Im Januar folgten dann die ersten Autobahnblockaden in | |
Berlin und später bundesweit, häufig nur mit einer Handvoll Leute. Nach | |
einer sich selbst auferlegten Pause zu Beginn des Krieges in der Ukraine | |
führt die Gruppe nun seit einigen Wochen ihre Aktionen fort. | |
## Immer mehr Aktionen | |
Ab Ende April hatten Aktivist*innen im gesamten Bundesgebiet zunächst | |
Gaspipelines abgedreht, seit Mitte Juni blockieren sie nun wieder verstärkt | |
Straßen. Ihre Zahl wächst. In dieser Woche sind es schon etwa 250 | |
Aktivist*innen, die aus dem ganzen Bundesgebiet in Berlin zusammengkommen | |
sind und jeden Tag aufs Neue die gewohnten Abläufe stören. Ein paar | |
symbolische Öl-Farbspritzer aufs Bundeskanzleramt am Mittwoch schafften es | |
sogar auf die Titelseite der B. Z. | |
Springorum spricht von einem notwendigen „Systemwechsel“. Die Blockaden des | |
Autoverkehrs seien für den Einzelnen zwar „nervig“, wie er einräumt, doch | |
dass jeden Morgen hunderttausende Autos mit nur einer Person unterwegs | |
seien und die 30.000-Euro-Gefährte 98 Prozent der Zeit stillstehen, sei | |
„widersinnig“. Mit ihren Blockaden bestünde zumindest die „Chance, dass | |
Autofahrer das erkennen“. Weil die Polizei aber das Frankfurter Tor | |
großflächig abgesperrt hat, kriegt Springorum nur die Reaktionen von | |
Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen mit. Das Spektrum reicht | |
von „Weitermachen“ bis „Arschloch“. | |
Fast zwei Stunden dauert der Polizeieinsatz, um die Protestierenden von der | |
Kreuzung loszulösen. Das alles geschieht friedlich. Die Beamt*innen | |
erklären ihr Vorgehen, die Aktivist*innen akzeptieren die Maßnahmen und | |
leisten keinen körperlichen Widerstand. Während seine Hand bearbeitet wird, | |
erklärt ein älterer Mann einer verständnislosen Schulklasse, warum er hier | |
sitzt: Aktionen wie diese seien für ihn das letzte Mittel gegen eine | |
Politik, die sich durch wissenschaftliche Tatsachen und sachliche Debatten | |
nicht zu mehr Klimaschutz bewegen lasse. | |
Um kurz vor halb elf ist dann auch Springorum an der Reihe: Ein Polizist | |
kniet sich zu dem Aktivisten, gießt ihm Sonnenblumenöl zwischen die Finger | |
und löst seine Hand vorsichtig mit einem Pinsel vom Asphalt. Nach guten | |
fünf Minuten ist Springorums Hand frei. Die nächsten Stunden wird er in | |
Polizeigewahrsam verbringen, aber schon bald wird er wieder irgendwo | |
sitzen. Wo, weiß er noch nicht. „Die Orte erfahren wir oft erst fünf | |
Minuten vorher“, sagt er. | |
Kritik an den Aktionen hatte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Dienstag | |
geübt: „Ich verurteile so etwas, und ich erwarte, dass die Justiz dann auch | |
zu Verurteilungen kommt.“ Dagegen zeigte sich die grüne | |
Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Clara Herrmann, die | |
sich am Frankfurter Tor ein Bild machte, solidarisch. Auf Twitter schrieb | |
sie: „Solidarität mit den Forderungen: Ja, wir brauchen Klimaschutz jetzt!“ | |
Der Ausblick scheint klar: Kommt dieser nicht, werden sich die Aktionen der | |
letzten Generation immer weiter intensivieren – so wie die Klimakrise. | |
23 Jun 2022 | |
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[1] /Klimaaktivisten-ueber-Autobahnblockaden/!5835112 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Josa Zeitlinger | |
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