| # taz.de -- Zwangsquarantäne in Japan: Sechs Tage kalter Reis | |
| > Unsere Autorin muss in Japan in Zwangsquarantäne. Sie hofft, dass es dort | |
| > schon ihre japanische Lieblingsspeisen gibt. Leider nein. | |
| Bild: Die Ästhetik stimmt – Geschmack, Konsistenz und Vitamingehalt lassen z… | |
| Es gibt eine Tradition in meiner Familie. Sobald man in Tokyo gelandet ist, | |
| führt der Weg über Passkontrolle und Gepäckband schnurstracks zu einem | |
| Flughafenimbiss – ein Ramen-Restaurant, eins, wo es Nudelsuppen gibt also. | |
| Für gewöhnlich ist es ein traditionell eingerichtetes Lokal, mit einem | |
| Noren, einem japanischen Türvorhang. Neben dem Eingang steht gleich ein | |
| Automat, wo bestellt wird. In meinem Fall: Tonkotsu Ramen. Diese Nudelsuppe | |
| ist eine Spezialität der Heimatregion meiner Familie im Süden Japans. Die | |
| Nudeln schwimmen mit gekochtem Ei und Lauchzwiebeln in einer Schweinebrühe. | |
| Am liebsten habe ich als Topping noch extra Mais und Nori, also getrocknete | |
| Meeresalgen. Dazu bestelle ich gebratene Gyoza, gefüllte Teigtaschen. Die | |
| Bons reiche ich dem Tenchō, meist Besitzer und Koch. Der sagt: „Haiyo!“ Und | |
| dann heißt es, sich hinzusetzen, zu warten und sich zu freuen. | |
| Diesmal dauert das Warten besonders lange. Sechs Tage Zwangsquarantäne. Der | |
| japanischen Regierung ist es egal, ob man geboostert ist und zwei negative | |
| PCR-Tests vorlegen kann. Ich bin verpflichtet, mich fast eine Woche in | |
| einem Hotel zu isolieren. Weil ich aus einem Land einreise, wo die Inzidenz | |
| gerade noch bei über 1.400 lag. | |
| Also komme ich am Flughafen nicht zum Imbiss, sondern werde von einer | |
| Kontrolle zur nächsten geschickt. Während ich darauf warte, dass meine | |
| Nummer aufgerufen wird, spendet mir der Getränkeautomat etwas Trost. | |
| Knallige Farben, eine unendliche Auswahl, heiß und kalt. Ich ziehe einen | |
| warmen Hōjicha, gerösteten grünen Tee. Etwas Essbares gibt es erst Stunden | |
| später, im Quarantänehotel in Yokohama. Beim Empfang bekomme ich eine | |
| Plastiktüte in die Hand. | |
| Ich öffne sie gleich auf dem Zimmer. Sie enthält eine Flasche Wasser, zwei | |
| Onigiris und ein Bentō. Die Onigiris – Reisbällchen – sind mit Thunfisch | |
| und Kombu gefüllt, salzigem Seetang. Der Reis ist leider hart und | |
| ungenießbar. Hoffentlich ist das Bentō besser. | |
| Bentōs sind Lunchboxes, sie haben für mich etwas Nostalgisches. Zu | |
| Kindergartenzeiten füllte mir meine Mutter täglich eine mit Pokémon | |
| verzierte Box. Ich beschwerte mich regelmäßig, wenn ich nach Hause kam. Ich | |
| wollte die Apfelstückchen in Häschenform und die Würstchen wie | |
| Mini-Oktopusse geschnitten haben, wie bei meiner Freundin. Meine Mutter | |
| ließ das kalt; sie habe genug andere Dinge zu tun. | |
| Trotzdem waren ihre Bentōs mit Liebe gefüllt. In meiner Box lagen immer | |
| zwei kleine Onigiris, gesalzen und in Seetang gewickelt, ohne Füllung. Auf | |
| dem Happen Kartoffelsalat lag eine Kirschtomate. Und auch ein Tamagoyaki | |
| musste sein, ein Stück gerolltes, leicht süßes Omelett. | |
| Die Liebe der japanischen Behörden sieht anders aus. Als ich den Bentō | |
| öffne, sehe ich frittiertes Schweinefleisch mit gebratener Paprika. Dazu | |
| ein Stückchen gegrillten weißen Fisch, der mit einer Yamswurzel geschmückt | |
| ist. Das Schweinefleisch ist viel zu fettig. Und der Fisch trocken und | |
| geschmacklos. Vielleicht hätte ich doch auf eine Veggie-Box bestehen | |
| sollen. | |
| Eigentlich ernähre ich mich vegetarisch. Nur in Japan nicht. Es ist kaum | |
| möglich, hier tierische Produkte zu vermeiden. Irgendwo stecken Fleisch | |
| oder Fisch immer drin, vor allem in Brühen und Saucen. Hier schmecken sie | |
| mir auch einfach besser. | |
| Wenigstens ist in der Bentō der Glasnudelsalat mit Judasohr und Algen gut | |
| gewürzt. Die Apfelstückchen haben – schade – keine Häschenohren. | |
| ## Der Alarm schrillt | |
| Am Abend schrillt kurz vor 18 Uhr der Alarm. Über Lautsprecher wird | |
| erklärt, das Abendessen hänge an der Türklinke. Ich öffne die neue | |
| Bentōbox, ein 20 mal 20 cm großer Karton. Das Essen sieht ansprechender | |
| aus. Auf Ästhetik wird in der japanischen Küche viel Wert gelegt. Drei | |
| Plastikkästchen sind mit Reis, eins mit Fisch, eins mit Fleisch, eins mit | |
| Dumpling, eins mit Nudeln, eins mit trockenem Salat und eins mit Nachtisch | |
| gefüllt. Dazu gibt es eine Tüte Suppe, die sich jede:r aufbrühen kann. | |
| Wasserkocher sind auf den Zimmern. Das Essen sieht zwar kunstvoll aus, aber | |
| vieles ist ölig und vor allem kalt. Wenigstens die Suppe wärmt. | |
| Am Morgen werde ich vom Alarm aus dem Tiefschlaf geholt. Voilà, das | |
| Frühstücksbentō. Ein Stückchen Karaage, paniertes Hühnchenfleisch, eine | |
| Packung Ketchup, Kroketten, ein Croissant, ein Milchbrötchen und zwei | |
| Pfannkuchen, alle in mini, dazu ein Obstsalat mit übersüßem Joghurt. Wer | |
| bitte soll so was frühmorgens essen wollen? Ich greife zum Obst, alles | |
| andere würde mir nur schwer im Magen liegen. In meinem acht Quadratmeter | |
| großen Zimmer ist an Bewegung eh kaum zu denken. | |
| Mittags hängt die nächste Tüte an der Tür. Ich fange an, frisches Obst und | |
| Gemüse zu vermissen. Das Essen besteht hauptsächlich aus Reis und Nudeln. | |
| Von knackigem Brokkoli und saftiger Pomelo keine Spur. | |
| ## Die Obstüte der Schwester | |
| Abends telefoniere ich mit meiner Schwester, die in Tokyo lebt. Wir reden | |
| auch über das Essen. Am nächsten Abend klopft es an der Tür und ich bekomme | |
| eine Überraschungstüte, gefüllt mit Mandarinen, Bananen, frischen Blumen | |
| und einer Schachtel Nama-Choco, weichen Schokoladen-Trüffeln. Meine | |
| Schwester ist für zwei Stunden nach Yokohama gefahren. Als ich ihr | |
| schreibe, antwortet sie: „Alles Liebe zum Valentinstag.“ | |
| Es bleibt nicht dabei. Am nächsten Tag überrascht mich eine große Packung | |
| Salat, Avocado, Lotuswurzeln, Okraschoten, Kürbis und sonstiges Gemüse. | |
| Dazu zwei verschiedene Dressings, Sesam-Mayonnaise und | |
| Zwiebel-Sojasauce-Olivenöl. Diesmal kommt das Essen von meiner Mutter. Ein | |
| Traum. | |
| Nach dem Salat schaue ich in die Quarantäne-Box. Ein Drittel kalter Reis, | |
| in der Mitte liegt ein Schnitzel. Und ein paar Nudeln. Ich stecke mir | |
| welche in den Mund, sie schmecken nach aufgerauchter Zigarette. | |
| Nach der Quarantäne wird es zuerst wieder zum Flughafen gehen. Ich habe | |
| schon meine Schwester und Mutter angeschrieben. Wir treffen uns im | |
| Ramen-Imbiss. Ich weiß schon, was ich bestelle. | |
| 25 Feb 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Shoko Bethke | |
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