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# taz.de -- Problematische Corona-Öffnungen: Keine Solidarität für Gefährde…
> Am 20. März soll ein Großteil der Corona-Maßnahmen wegfallen. Doch
> Risikogruppen sind auch weiterhin massiv gefährdet. Und nun?
Bild: Karl Lauterbach hat allen einen tollen Sommer versprochen
Ab dem 20. März sollen die [1][Lockerungen der Coronamaßnahmen erfolgen].
„Irgendwie haben wir das nach zwei langen Jahren verdient“, hat Olaf Scholz
gesagt, als ob es dieses Wir überhaupt noch gäbe. Doch die Maßnahmen, die
gelockert werden, sind Schutzmaßnahmen. Und es werden auch keine
Beschränkungen aufgehoben, sie werden umverteilt.
Denn es ist nach wie vor so, dass viele Menschen – man nennt sie
Risikogruppen – massiv vom Virus bedroht sind. Menschen, die sich selbst
nicht schützen können, weil sie beispielsweise immunsupprimiert sind oder
aus sonstigen Gründen einen schweren Verlauf fürchten müssen. Da eine
Ausrottung des Virus nie ernsthaft zur Debatte stand, werden diese Menschen
erst dann wieder ruhig schlafen können, wenn es eine ausgereifte Behandlung
gibt.
Das Wir, das Scholz meint, das sind die Normalen und jene, die sich dafür
halten. Das Ringen um die Maßnahmen war immer eines zwischen dem Wunsch
nach Normalität und dem Leiden des Restes. „Irgendwie haben wir uns das
verdient“ – Scholz tut so, als müssten sich die eigenen Bemühungen und
Verzichtsleistungen nicht auf eine Realität außerhalb beziehen.
Mehr Freiheit für alle bedeutet weniger Freiheiten für Gefährdete. Denen
sagt man mit der Aufhebung der Maßnahmen, dass sie noch mehr auf sich
allein gestellt sind als bisher schon; und auch, dass man es ihnen dabei so
schwer wie möglich machen wird: Sei es, dass man um jeden Preis die
Schulpflicht hat durchdrücken müssen und so nicht nur Kinder mit
vorerkrankten Angehörigen wissentlich zu Gefährder*innen gemacht hat.
## Der soziale Druck steigt
Selbst vorerkrankte Kinder hatten ihr Leben zu gefährden, nur damit
hinterher die Bildungsministerin aus Schleswig-Holstein und Präsidentin der
[2][Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU),] den Verstorbenen noch im
besten „Querdenker“-Sprech hinterherruft, man müsse da schon
differenzieren, ob die Toten an oder mit Corona verstorben seien. Kann
schon sein, dass die Bildungsministerin Leben gefährdet, aber da wird man
dann differenzieren müssen: Sie will es nicht, sie nimmt es nur hin.
Steigen wird für alle, die sich schützen wollen, auch der soziale Druck;
denn was erlaubt ist, wird freilich auch gemacht. Arbeitsmeetings,
Konferenzen, das Feierabendbier in der Kneipe: Wer die letzten zwei Jahre
nicht bei jedem gefährdenden Szenario beide Augen zu und die Maske
abgemacht hat, der ist jetzt isolierter als jemals zuvor. Und dazu keimt
jetzt auch die Gewissheit, dass es nie die erste Prämisse war, die
Gefährdeten möglichst unbeschadet mit durchzubekommen. Um eine Bekämpfung
der Pandemie geht es nicht, nur die Überlastung der Krankenhäuser sollte
vermieden werden.
Jene, die die letzten zwei Jahre über auf so viel verzichtet haben, um sich
eben nicht anzustecken, sehen mit jedem dieser „Haben wir uns verdient“
-Stoßseufzer deutlicher, dass ihre Ansteckung und all die Folgen, die damit
einhergehen, politisch eingeplant sind. Ihre Gesundheit darf den Rest nicht
beim Biergartenbesuch stören.
Karl Lauterbach hat allen einen tollen Sommer versprochen. Das glaubt nur,
wer es unbedingt glauben will; die eigentliche Chance dieser Krise lag
darin, dieser Gesellschaft ein Programm zu geben, dass sie tatsächlich auf
Vulnerable acht gibt. Aber das wurde lieber gelassen. Wäre halt unbequem.
Also ja, es wird ein toller Sommer für viele, bis sie sich das erste,
zweite, dritte Mal mit Corona anstecken und dann selbst auf Solidarität
angewiesen sind; Solidarität, die sie zuvor verwehrt haben; und dann werden
sie still leiden, im besten Fall sterben. Möglichst schnell, weil die
Intensivbetten sind eben begrenzt.
## Todeszahlen in Dänemark steigen an
Die bittere Lektion ist: Um das Recht auf eigene Unversehrtheit
durchzusetzen, hätten sich die sogenannten Risikogruppen viel schneller und
viel umfassender radikalisieren müssen. Dass jetzt eine Bildungsministerin
die Tropen von Querdenker*innen übernimmt, dass diese Bewegung mit
ihren Schlagworten immer wieder die Debatte hat, wenn nicht bestimmen, dann
doch beeinflussen können, ist auch dem geschuldet, dass ebenjene
Risikogruppen zu lange daran geglaubt haben, dass sie schon Gehör finden
würden und dass sie mitgemeint sind beim Scholz’schen „Wir“. Das sind sie
nicht. Und es gibt nur einen Weg, damit sie das wieder werden: Sie werden
es erzwingen müssen und die Angst, die sie jetzt verspüren, zurückgeben in
die Gesellschaft; in die Politik.
Diese Angst ist ihnen perfiderweise in jeder Debatte vorgehalten worden als
etwas Irrationales, Zerstörerisches. Sich liberal gerierende Kommentatoren
haben diese Angst bei jeder Forderung nach Schutz als eine Gefahr für die
Demokratie und den Zusammenhalt gebrandmarkt, und zwar von Beginn der
Pandemie an. Währenddessen steigen in Dänemark, das die Öffnungen seit
Anfang Februar umgesetzt hat, die Todeszahlen sprunghaft.
Die Vorstellung, dass die Pandemie jetzt beendet sei, weil „wir“ schon
genug gelitten hätten, ist magisches Denken. Eine Pandemie endet nicht,
weil irgendwer davon die Schnauze voll hat. Natürlich wird mal wieder erst
hinterher klar sein, wer ganz genau den höchsten Preis dafür gezahlt hat.
Denen wird man dann immer noch sagen können, sie hätten halt besser
aufpassen müssen. Mit einem wie auch immer gearteten „Wir“ hat das
allerdings nichts zu tun.
18 Feb 2022
## LINKS
[1] /Plaene-zum-Ende-der-Coronamassnahmen/!5831876
[2] /Ruecktrittsforderungen-gegen-Karin-Prien-auf-Twitter/!5835415
## AUTOREN
Frédéric Valin
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