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# taz.de -- Wissensort Bibliothek Wolfenbüttel: Die Schönheit des Forschens
> Die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel feiert 450jähriges Bestehen:
> Sie ist noch immer ein Forschungszentrum von Weltrang.
Bild: Blick in die Bibliothek: Ein Alchemisten-Traktat versprach 1618 Irrtümer…
WOLFENBÜTTEL taz | Oh ja, es gibt ihn, den Ort in Norddeutschland, an dem
die zweifelgetriebene Suche nach Wahrheit unzweifelhaft schön erscheint:
Forschung entfaltet in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, der HAB,
ihre ganz eigene Ästhetik.
Diese [1][Bibliothek atmet das Streben nach Wissenschaftlichkeit] – schon,
weil es sie seit 450 Jahren so kontinuierlich wie mäandernd prägt. Also
immer die Frage eingeschlossen, was sie denn sein könne, diese
Wissenschaft, und, wie sie in ihr Inneres hineinwuchert, fraktalförmig.
Weil ja jede Disziplin ihre eigene Geschichte miterzählen muss, wie sie
ihre eigenen Vorstellungen fortspinnt oder widerlegt.
Diesen [2][epistemischen Wandel] hat exemplarisch die Braunschweiger
Kulturwissenschaftlerin Ute Frietsch für den Fall der „Wissenschafts- und
Kulturgeschichte der Alchemie“ an Dokumenten aus dem Bestand der HAB
erkundet, ein mittlerweile abgeschlossenes Projekt.
Das war eben auch der Frage nachgegangen, wie Institutionalisierung,
Destituierung und Nachleben von Wissenschafts-Branchen abläuft: Nachzulesen
ist das im Fachjournal Ambix und dem im Herbst erschienenen [3][166. Band
der Reihe „Wolfenbütteler Forschungen“].
## In Sachen Digitalisierung spitze
Weil man diese alten Bestände hat, ist man andererseits auch gleichsam
gezwungen gewesen, besonders früh und besonders konsequent deren Erfassung
voranzutreiben. In Sachen Katalogisierung und Digitalisierung
mittelalterlicher Corpora und wertvoller neuzeitlicher Drucke ist man in
Wolfenbüttel führend. Unter anderem für die Göttinger und die Bremer
Unibüchereien hat man das erledigt, man könnte ins Aufzählen verfallen, für
wen noch alles, aber das wäre langweilig.
Mit den sowohl medien- als auch bibliothekswissenschaftlichen Forschungen
zum Buch setzt die HAB eine Tradition fort, die älter ist als sie selbst:
Einer der ersten Vorsteher ihrer Vorläufersammlung war der innovative
Buchbinder Lukas Weischner. Angestellt war er bei Herzog Julius, ein
bedeutender Hexenverfolger und ein irgendwie onkeliger Vorfahr des späteren
Namensgebers, der auch die – kurioserweise nicht digitalisiert
veröffentlichte – „Liberey Ordnung“ am 4. April 1572 herausgab. Sie gilt
als Gründungsdokument der HAB.
In ihm wurden sowohl Prinzipien der Sammlung definiert als auch
Kleidervorschriften für ihre Nutzer erlassen, wie das Verbot von Messern
und langärmeligen Hemden, weil einige Humanisten im Nebenjob Bücherdiebe
waren und sich gelegentlich schöne Seiten aus Folianten rausschnitten.
Etliche HAB-Bibliothekare sind berühmt geworden, Paul Raabe, Erhart
Kästner, Gotthold Ephraim Lessing und Gottfried Wilhelm Leibniz: Dessen
Idee war es, einen eigenen Prachtbau, die Rotunde, für den Bücherschatz zu
errichten – als ersten profanen Bibliotheksbau Europas.
Und doch, mehr als die Tatsache, dass dieser oder jener hier genial gewirkt
hat, fasziniert an der HAB ihre eigene Substanz und der Umgang mit diesem
Epochenfetisch Buch: Ein schöner Ausdruck davon sind Accessoires wie die
grauen Leseständer, die an jedem Arbeitsplatz stehen, und gewährleisten,
dass der Rücken des konsultierten Werks nicht zu sehr strapaziert wird.
Oder die [4][Ramelli-Maschine] aus dem 17. Jahrhundert: Auch das ist eine
Halterung für Bücher oder Bibliothekskataloge. Sie ähnelt einem Mühlrad: In
dessen sechs Gefachen können, aufgeschlagen, jeweils ein bis zwei Folianten
liegen, sodass man bei Querverweisen zwischen ihnen von einem zum anderen
surfen kann, als wären sie per Hyperlink miteinander verbunden.
## Umwerfende Schätze
Zum Jubiläum gibt's einen Festakt mit dem amtierenden Bundespräsidenten.
Danach wird's wieder schön: So kann ab 6. April eine Ausstellung besichtigt
werden. In der sollen umwerfende Buchschätze wie das Evangeliar Heinrichs
des Löwen – des unterlegenen Konkurrenten von Analphabet Friedrich I. um
den Kaiserthron – gezeigt werden.
Und die Räume: Denn lange war der museale Bereich der Bibliothek, den die
Besucher*innen gerne durchstaunen, gesperrt – wegen baulicher Maßnahmen
plus Corona. Der Forschungsbetrieb aber, geistes- und
geschichtswissenschaftlich fokussiert, lief ungebremst fort.
Denn an wertvollen Handschriften und längst historisch gewordenen
Originalausgaben untersuchen, neben der Stammbelegschaft, jährlich auch
rund 250 Gastwissenschaftler*innen aus aller Welt sehr
unterschiedliche Gegenstände. Das Spektrum reicht von der Frage nach der
genauen Bedeutung des Cordonsteins im Festungsbau, über die Klassifizierung
botanischer Klassifizierungsideen vor Linné bis zur Untersuchung nach dem
Wandel des Wal-Bildes zwischen 16. und 18. Jahrhundert.
3 Apr 2022
## LINKS
[1] /Bibliotheken/!5082493
[2] /Afrikanischer-Aufklaerer/!5674617
[3] https://www.hab.de/alchemie-genealogie-und-terminologie-bilder-techniken-un…
[4] https://brill.com/view/journals/erl/1/4/article-p381_1.xml
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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