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# taz.de -- Geschichtsrevisionismus bei Twitter: Kündigung nach Tweet
> Anna Dobler verliert ihren Job beim österreichischen „Exxpress“. Sie
> hatte zur Wannseekonferenz Nazis als „Sozialisten“ bezeichnet.
Bild: Geschäftsführerin Eva Schütz und Chefredakteur Richard Schmitt untersc…
Wien taz | Österreich hat eine neue Geschichtserklärerin. „Das waren nicht
nur Mörder, sondern auch durch und durch Sozialisten.“ Mehr fiel Anna
Dobler zu dem am Montag im ZDF und ORF ausgestrahlten [1][Film über die
Wannseekonferenz] offenbar nicht ein. Auf Twitter regnete es sofort
zustimmende Kommentare von rechts außen – und viel Kritik von allen anderen
Seiten. Auf der Wannseekonferenz vom Januar 1942 planten die Nazis die
systematische Vernichtung von elf Millionen Juden in ganz Europa.
Weniger Zustimmung gab es auch von Herausgeberin und Chefredakteur des
[2][ÖVP-nahen Online-Boulevardmediums Exxpress], wo Dobler bis Dienstag
Kolumnistin und stellvertretende Chefredakteurin war. „Aus aktuellem Anlass
möchte das Exxpress-Medienhaus betonen, dass die von Anna Dobler auf
Twitter zum TV-Film ‚Wannseekonferenz‘ geäußerte Meinung keinesfalls jener
der Redaktion entspricht.“ Redaktion und Team wollen nicht „auch nur mit
dem geringsten Verdacht einer möglichen Relativierung des
Nationalsozialismus belastet“ werden. Man wolle auch nicht, „dass gute
Freunde aus der Sozialdemokratie per Tweet gekränkt werden“. Die
Konsequenz: „Der Exxpress trennt sich hiermit von Anna Dobler.“ Gezeichnet:
Eva Schütz, Herausgeberin, und Richard Schmitt, Chefredakteur.
Mit rechtem Gedankengut hatte Schmitt in seinen früheren Funktionen keine
Probleme. Als Blattmacher der Kronen Zeitung pflegte Schmitt ein ungesundes
Naheverhältnis zum damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Dessen
inzwischen [3][berühmten Worte aus dem Ibiza-Video], bei der Krone müsse
man bestimmte Leute „pushen“ und andere „zack, zack, zack abservieren“,
waren auf ihn gemünzt und brachten ihm den Rauswurf ein. Beim Exxpress
findet er für seine Art von skandalisierendem Journalismus ein breites
Betätigungsfeld.
Die gefeuerte Dobler verwahrt sich auf Twitter ausdrücklich gegen den
Vorwurf des Geschichtsrevisionismus: „Ich habe den Tweet gelöscht, weil es
umstritten ist, ob die Nazis ‚durch und durch‘ Sozialisten waren, aber es
gibt ausreichend Belege für sozialistische Tendenzen innerhalb des
Nationalsozialismus. Lernt ihr erst mal Geschichte.“ Sie lehne den
Sozialismus ab und meine „damit nicht die Sozialdemokratie“. Außerdem habe
sie mehrere Morddrohungen bekommen und verweist darauf, dass sie den
Unterschied zwischen „Sozialismus und Sozialdemokratie“ nie bezweifelt
habe.
## Verständnis von Fleischhauer
Anna Dobler beruft sich für ihr Diktum auf die Säulenheiligen der
Liberalen, nämlich die österreichischen Nationalökonomen August von Hayek
und Ludwig von Mises: „Beide haben in ihren Werken sehr gut die
sozialistischen Elemente im Nationalsozialismus herausgearbeitet. Beide
sind vor den Nazis geflohen.“
Verständnis findet die Kolumnistin beim einschlägig bekannten Kollegen Jan
Fleischhauer: „Eine junge Frau verliert wegen eines Tweets ihren Job. Die
wiehernde Begeisterung in Teilen der Szene zeigt, dass es vielen nicht um
die Sache geht, sondern allein darum, jemand zu erledigen, den man als
Feind betrachtet“, schreibt er bei Twitter. In den Dobler-Kritikern erkennt
er einen virtuellen Lynchmob.
Ob der Rauswurf für den entlarvenden Tweet eine angemessene Sanktion war,
ist indes auch außerhalb des rechtslastigen Boulevards umstritten. Karin
Stanger, Bezirksrätin der Grünen in Wien, erinnert an den Mediziner Marcus
Franz, der auf eine bunte Vergangenheit in mehreren rechten Parteien
verweisen kann und auch auf Twitter aktiv ist: „Marcus Franz vertritt schon
seit Jahren dieselben Ansichten.“ Tatsächlich übt sich Franz als
Geschichtsrevisionist: „Lernens Geschichte, Fräulein. Und Ideengeschichte
dazu. Die größte linke Lüge ist, dass Hitler ein Rechter gewesen wäre.“
Franz darf weiterhin in seinen Kolumnen krause Ideen über Exxpress
verbreiten.
26 Jan 2022
## LINKS
[1] /Die-Wannseekonferenz-im-ZDF/!5827932
[2] /Inserate-Affaere-in-Oesterreich/!5810527
[3] /Ibiza-Affaere-in-Oesterreich/!5760714
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Holocaust
Boulevard
Österreich
GNS
Desinformation
Antisemitismus
Österreich
Ibiza-Affäre
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