Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Dramaturgie der Youtube-Fitness: Erschöpfung und Erlösung
> Wer sich Fitnessvideos mehrfach anschaut, kann irgendwann nicht nur
> mitturnen, sondern auch mitsprechen.
Bild: Gib alles und lass dich dabei belabern
Es hat bestimmt keine Pandemie gebraucht, um viele von uns vor die
Bildschirme zu treiben, damit wir dort Fitness machen. [1][Die Pandemie hat
aber auch nicht geschadet.] Auf Plattformen wie Youtube gibt es
abertausende Videos, die zum Sport einladen. Intervalltrainings, Pilates,
Muskelaufbau mit Eigenkörpergewicht. Sie werden von Millionen geschaut mit
dem Ziel, ihre Körper zu verändern. Doch es wird auch gesprochen. Die
Instruktoren in diesen Videos denken sich allerlei Worthülsen aus, um die
Zuschauenden bei der Stange zu halten. Fast wie ein Theaterstück wird die
Fitness inszeniert, mit Sprechakten, die sich in etlichen der Videos
wiederholen. Es geht um eine Sprache, die antreiben und einnehmen soll.
[2][Es wird eine Gemeinde der Aktiven geschaffen.] Wo das Gemeinsame des
Sports im Studio fehlt, muss diese körperliche Anwesenheit hier sprachlich
hergestellt werden. Die Vorstellung beginnt.
Die Fitnessbühne ist bereitet. Im Bildausschnitt sehen wir mal einen
glänzenden Holzboden, mal einen funktionalen Gummibelag. Es mögen Pflanzen
– nur wenige – in einer Ecke stehen. Vielleicht blicken wir auch auf ein
Fenster, hinten an der Wand. Draußen erkennen wir die Silhouette einer
Stadt. Aufgeräumt muss es sein und reinlich. Gleichzeitig zur Produktivität
einladend. Wohnlich, aber nicht gemütlich. Modern, aber nicht luxuriös. Es
soll eine Nahbarkeit entstehen: Es könnte unsere Wohnung sein.
## „Denkt euch immer: ihr freut euch drauf“
Am Anfang erinnert uns die Trainerin daran, wieso wir das Video überhaupt
angeklickt haben. Da stehen wir in unserer Sportkleidung und hören, dass
wir uns in den nächsten 20, 30, 60 Minuten verausgaben werden – und dass
wir das auch wirklich wollen. Es ist eine performative Sprache, eine die
die Lust am Sport nicht nur beschreiben, sondern sie auch gleichzeitig
herstellen will. Im Warm Up wird uns klargemacht, dass wir das alles nur
für uns machen. Für unsere Körper, unsere Gesundheit. Die meisten digitalen
Trainings beginnen mit diesem Versprechen: Ihr werdet euch danach gut
fühlen – während wir immer noch überlegen, ob wir vielleicht doch ein
anderes Video anklicken sollten.
## „Ich weiß, ihr hasst mich jetzt“
Nach dem Aufwärmen geht es ans Eingemachte. Vor besonders schweren Übungen
– Side Plank Crunches etwa – sagen die Trainer uns, dass sie wissen, wie
wenig wir diese Bewegungen mögen – und wir sie dafür hassen dürfen. Es ist
fast so, als würden sie uns kennen – jede Schweißperle, die gerade unseren
Rücken runterkullert. Sie geben uns einen Kanal, in den wir diese
destruktive Energie leiten können. Auf unserer Matte liegend hören wir die
erlösenden Worte, während wir erneut versuchen, unsere Hüfte seitlich zur
Decke zu strecken. Also schreien wir den Bildschirm an.
## „High Knees werden High Knees genannt, weil die Knie hoch sind“
Es ist in diesen Videos wichtig, dass gesprochen wird. So wie das Publikum
im Theaterstück nervös wird, wenn zu lange Stille herrscht, brauchen wir
anscheinend auch beim Schwitzen die sprachliche Vergewisserung, dass alles
noch nach Plan läuft. Die Tautologie ist perfekt dafür. Denn egal, was
gesagt wird – es mag überflüssig sein, aber doch immer wahr. Ja, bei High
Knees sind die Knie wirklich hoch. Darum heißen sie so. Hier gibt es keine
Verunsicherung, keine Unbestimmtheit. Wir müssen auch nicht nachdenken –
was die Instruierenden sagen, das ist richtig.
Pause
Die Pause im Fitnessvideo ist eine heikle Angelegenheit. Betreten blicken
die Trainer in die Kamera. Ein Schluck Wasser sollen wir trinken, die Beine
ausschütteln. Antreibende Worte sind nutzlos, wir sollen uns ja ausruhen.
Während wir, Theaterbesuchern gleich, zum kühlen Nass greifen oder frische
Luft am Fenster schnappen, müssen sie ausharren. Die Bühne können sie nicht
verlassen. Erleichtertes Aufatmen, als der Timer anzeigt, dass die Pause
vorbei ist.
## „Bei mir sieht das immer ein wenig blöd aus“
Die Trainer müssen menschlich bleiben. In einem sprachlichen Akt der
Selbstherabsetzung werden sie nahbarer. Die Trainerin sagt uns, dass sie
nicht so gut im Boxen ist wie ihr Kollege. Dass das bei ihr blöd aussieht.
Und wir erkennen, dass sie eine von uns ist. Sie hat genauso Angst sich zu
blamieren. So können wir das Video immer und immer wieder anklicken – um
mit ihr besser zu werden. In diesem Zugeständnis, nicht perfekt zu sein,
finden wir uns und unsere Makel wieder. Wir werden daran erinnert, dass der
Sport auch absurd ist; diese ungelenk zappelnden Körper. Eben darum stehen
wir vor einem Bildschirm und nicht im Fitnessstudio. So blamiert sich jeder
für sich.
## „Wir strecken unser Bein hoch zum Boden“
Je länger das Video geht, desto mehr stolpert die Sprache. War sie in der
Tautologie noch unbeugsam, fällt sie nun über ihre eigenen Beine. Die
Trainer versprechen sich, lachen unsicher. Was wie Kontrollverlust aussehen
mag, ist die Inszenierung von Authentizität. Ein Kunstgriff: Das
sprachliche Stolpern hätte vor dem Hochladen des Videos herausgeschnitten
werden können. Der Regisseur im Theater choreografiert den Sturz eines
Schauspielers. Die Trainerin bezeugt ihre Erschöpfung durch Unsinnssprache.
Und wir sitzen hechelnd davor und sind froh, dass es nicht nur uns so geht.
## „Denkt dran …“
Schließlich bricht die Sprache ab. Die Atemlosigkeit setzt ein und zerstört
jede Eloquenz. Sätze beginnen und … Während die Trainer in den letzten
Minuten des Trainings zur vollen Verausgabung antreiben wollen, geraten
sie selbst an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Das Performative der Sprache
endet hier, die Erschöpfung nimmt zu … Noch 55 Liegestütze, 10 weitere
Sekunden in der Plank – wir hören nur noch Schnauben. Unseres und das der
Trainer. Dann sinken wir zu Boden. Nach einem Cool Down bleibt den
Trainern ein Wunsch: Bitte abonniert den Kanal und lasst ein Thumbs Up da.
## Ende
Nun ist die Fitnessinszenierung endlich zu Ende. Applaudieren ist nicht
nötig, wird auch gar nicht verlangt, so viel Energie haben wir schließlich
auch wirklich nicht mehr. Doch es wird jetzt deutlich: Auch in der
Erschöpfung braucht es noch Sprache. Gerade jetzt, da wir uns erneut in der
Vereinzelung wiederfinden, ist es bedeutsam, scheinbar persönlich
angesprochen zu werden. Wie im Theater blicken wir auf eine Bühne, auf
denen die Darsteller uns aber direkt anreden – oder so tun als ob. Wir
sehen Menschen. Die Worte mögen Floskeln sein, auf die die meisten von uns
gar nicht richtig hören. Doch der Sport, die intensive Bewegung des eigenen
Körpers, ist eine höchst emotionale Angelegenheit. Um die einordnen zu
können, brauchen wir die Sprache. Oder wie ein Kommentator es recht
eloquent ausdrückt: „Du weißt, dass das Training echt ist, wenn dein Gehirn
anstelle deines Herzens zu pochen beginnt.“
17 Feb 2022
## LINKS
[1] /Noch-mehr-Fitness-im-Homeoffice/!5748093
[2] /Historiker-ueber-Fitnesskultur/!5748092
## AUTOREN
Matthias Kreienbrink
## TAGS
Gesundheit
Fitness
Sprache
Social Media
Body Positivity
Schwerpunkt Coronavirus
Fitness
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fitness auf Social-Media: Die neuen Sportprofis
Normschön sammeln Fitness-Influencer:innen viele Klicks und viel Geld.
Dabei erreichen sie ein ganz anderes Publikum als die klassischen Vereine.
Forscherin über Body Positivity: „Den Schönheitsbegriff erweitern“
„Liebe deinen Körper“, heißt es überall. Was die Body-Positivity-Bewegung
ursprünglich wollte und wie sie sich weiterdenken ließe, sagt Elisabeth
Lechner.
Noch mehr Fitness im Homeoffice: Beim Spülen Kalorien verbrauchen
Wer hat schon Bock, extra die Yogamatte auszupacken? Eine Auswahl lustiger
Übungen, die sich prima in den Haushaltsalltag integrieren lassen.
Die Wahrheit: Hüpfen im grellen Strampelanzug
Literweise Körperflüssigkeiten vergießen – das megahammerharte Revival der
guten, alten Telegymnastik auf allen Kanälen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.