| # taz.de -- Regisseure über Berlinale-Serie „The Shift“: „Diese Menschen… | |
| > In ihrer Serie „The Shift“ nehmen Lone Scherfig und Søren Balle ein | |
| > aktuelles Problem in den Fokus: strukturelle Probleme des | |
| > Gesundheitssystems. | |
| Bild: Josefine Tvermoes und rechts von ihr Sofie Gråbøl als Hebamme Ella | |
| Mit einer 2015 eigens eingeführten Sektion zeigte sich die Berlinale als | |
| erstes großes Filmfestival offen für das Format Serie. Berlinale Series | |
| bietet Macher*innen nicht nur die Möglichkeit, mit ihrer Interpretation | |
| des seriellen Erzählens zu unterhalten, sondern Themen gesellschaftlicher | |
| Relevanz Raum zu geben. So widmet sich etwa die dänische Serie „The Shift“ | |
| (dänischer Titel: „Ellas vagt“) dem Alltag medizinischen Personals in einem | |
| öffentlichen Krankenhaus. Im Zentrum steht die Hebamme Ella (Sofie Gråbøl) | |
| mit ihrem Team, welches trotz struktureller Widrigkeiten versucht, seinen | |
| Alltag zu meistern. | |
| taz: Frau Scherfig, Herr Balle, warum braucht es gerade jetzt eine Serie | |
| wie „The Shift“? | |
| Søren Balle: Durch die Pandemie wurde dem medizinischen Personal zu Recht | |
| viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das thematisch aufzugreifen lag nahe. Unser | |
| Ziel war es, etwas zu schaffen, das möglichst nah an der Realität liegt. | |
| Wir wollten die Bedingungen, unter denen die Menschen dort arbeiten, aber | |
| auch Schicksale, mit denen sie konfrontiert werden, beleuchten. Nicht auf | |
| eine überdramatisierte, sondern auf eine respektvolle und ehrliche Art. | |
| Lone Scherfig: Wenn mir etwas während dieser Pandemie bewusst geworden ist, | |
| dann, dass ich in einer privilegierten Position bin und Glück habe, einen | |
| Job wie den meinen zu machen. Ich trage im Grunde nichts Essenzielles zur | |
| Gesellschaft bei. Aber ich bewundere jede*n, der*die den Motor unserer | |
| Gesellschaft in Gang hält. Diese Menschen geben ihr Leben, damit der Rest | |
| von uns in Sicherheit ist. Auf gewisse Weise fühle ich mich ihnen deshalb | |
| verpflichtet, und die Serie ist ein Versuch, dies auszudrücken. | |
| Wie sind Sie bei Ihren Recherchen vorgegangen? | |
| Scherfig: Wir haben uns mit Hebammen, Pflegepersonal und | |
| Mediziner*innen getroffen, ihnen Fragen gestellt und uns Geschichten | |
| aus ihrem Arbeitsalltag erzählen lassen. Das fertige Drehbuch ließen wir | |
| von Fachleuten überprüfen, ebenso die geschnittenen Episoden. Einige der | |
| Schauspieler*innen sowie Søren und ich haben eine Schicht auf einer | |
| Entbindungsstation verbracht. Das war sehr spannend. Zudem hatten die | |
| Schauspieler*innen Unterricht in Hebammenkunde. Und schließlich hatten | |
| wir echtes Krankenhauspersonal am Set, das sowohl die | |
| Schauspieler*innen gecoacht hat als auch als Statist*innen | |
| aufgetreten ist. Deren Arbeitsmoral war an sich schon eine große | |
| Inspiration für uns. | |
| Ein Problem innerhalb der Handlung sind die zunehmend schlechten | |
| Arbeitsbedingungen durch Budgetkürzungen. Ella sucht dafür immer wieder das | |
| Gespräch mit dem Leiter des Krankenhauses. „Für Sie ist Hebamme sein doch | |
| eine Berufung“, sagt dieser bei einem Treffen, woraufhin Ella ihn quasi | |
| daran erinnern muss, dass es in erster Linie ein Job sei. Macht dieser | |
| Dialog die Quintessenz der Serie aus? | |
| Scherfig: Ich bin froh, dass das deutlich wird. Später stellt sich zwar | |
| heraus, dass Ella durchaus alles für den Job geben würde, auch ihr | |
| Privatleben dafür zurückstellt. Aber das ist eine Schlüsselszene. Denn in | |
| Debatten über die Berufsgruppe Hebamme wird dieser Aspekt oft gegen sie | |
| verwendet. Als ob Hebammen, nur weil ihr Job so fantastisch ist und sie | |
| Freude daran haben, keine Ressourcen benötigten. | |
| Ella spricht bei den werdenden Müttern von Patientinnen, ihr Chef | |
| korrigiert sie und gibt zu bedenken, dass diese schwanger und nicht krank | |
| seien. Ist diese Unterscheidung wichtig? | |
| Scherfig: Jein, hier klingt eine laufende politische Debatte an. Wer hat | |
| mehr Anrecht auf ein Krankenhausbett: ein Kranker, der eingeliefert wird | |
| oder Menschen, die theoretisch auch in ihren eigenen Betten entbinden | |
| könnten. Da geht es leider auch um eine Kosten-Nutzen-Analyse. | |
| Ehrlicherweise können wir diese Debatte in der Serie nicht lösen. Wir | |
| können sie nur beleuchten. | |
| Balle: Ich denke, das ist es, was Kultur ausmacht, vom Leben inspirierte | |
| Geschichten erzählen, damit auf Probleme aufmerksam machen und idealerweise | |
| zu berühren. Das sind große Worte, aber das haben wir angestrebt. | |
| In die Entbindungsstation des Krankenhauses kommen Schwangere mit sehr | |
| verschiedenen Lebensrealitäten: eine hat eine Totgeburt, eine gibt bereits | |
| das zweite Kind zur Adoption frei. Auch eine Frau, die zum Alkoholismus | |
| neigt, bringt dort ihr Kind zur Welt. Wollten Sie mit diesen Fällen Tabus | |
| brechen? | |
| Balle: Ja, aber vor allem wollten wir ein Krankenhaus – ein öffentliches – | |
| als den Ort der Vielfalt zeigen, der er auch im wahren Leben ist. Die | |
| Frauen dort vereint außer ihrer Schwangerschaft eigentlich nichts, die | |
| Verbindung ist das Krankenhauspersonal. Für die Handlung ist wichtig, dass | |
| jeder der gezeigten Fälle einen Konflikt zutage fördert, der bei den | |
| Protagonist*innen unterschwellig bereits besteht. | |
| Einer dieser Konflikte betrifft die Hebamme Tine (Sara Hjort Ditlevsen). | |
| Sie nimmt sich viel Zeit für ihre Patientinnen und befürwortet eine | |
| natürliche Geburt ohne Beruhigungs- oder Schmerzmittel. Den anderen | |
| Hebammen scheint das zu missfallen, warum? | |
| Scherfig: Wir haben bei unseren Recherchen gelernt, dass es unter Hebammen | |
| einen allgemeinen Respekt und eine Toleranz für verschiedene „Schulen“ der | |
| Hebammenkunst gibt. Das Problem hier ist eher, dass Tine mehr | |
| Individualistin denn Teamplayerin ist. Das missfällt ihren Kolleginnen, da | |
| immer wieder Arbeit an ihnen hängen bleibt. Wenn man selbstständig als | |
| Hebamme arbeitet, geht das vermutlich eher, als wenn man Teil eines | |
| Krankenhausteams ist. Das verdeutlicht im Endeffekt aber vor allem wieder | |
| die strukturellen Probleme des Gesundheitssystems. | |
| Warum ist „The Shift“ kein Spielfilm geworden? | |
| Scherfig: Hätten wir einen Film daraus gemacht, hätte es einer viel | |
| strikteren Struktur bedurft. So hätten wir nie diese ganzen kleinen | |
| Geschichten erzählen können. Ich denke, dass sich die Struktur der | |
| Fernsehserie hierfür viel besser eignet. So konnten wir den einzelnen | |
| Charakteren genug Raum geben, sich zu entwickeln. Auch ist die Reichweite | |
| eine ganz andere; so erreicht man beispielsweise all die Leute besser, die | |
| mit ihren Babys zu Hause sitzen und nicht ins Kino gehen können. | |
| 15 Feb 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
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