# taz.de -- Linkenpolitiker über Klimapolitik: „Ich halte es mit der Realit�… | |
> Klaus Ernst hat als Vorsitzender des Klimaschutzausschusses nicht nur | |
> Fans. Ein Gespräch über Verbrennungsmotoren und russisches Gas. | |
Bild: Aus der Stadt verdrängte Pendler sollen auch noch einen CO2-Preis zahlen… | |
taz: Herr Ernst, Sie leiten seit einem Monat den Bundestagsausschuss für | |
Klima und Energie. Der Ausschuss, der das wichtigste Transformationsprojekt | |
dieser Ampelkoalition begleiten soll. Und man fragt sich schon: Ist denn | |
jemand, der den Spitznamen Porsche-Klaus trägt, der Richtige dafür? | |
Klaus Ernst: Wollen Sie damit sagen, die Voraussetzung für den | |
Ausschussvorsitz wäre, ein Auto, das über 20 Jahre alt ist und noch fährt, | |
zu verschrotten? Nachhaltig wäre das nicht. | |
Und unabhängig davon: Sind Sie der Richtige für den Ausschussvorsitz? | |
Ich halte mich sogar für sehr geeignet, weil ich denke, dass ich notwendige | |
Klimaschutzpolitik auch durch die Brille der abhängig Beschäftigten und der | |
sogenannten kleinen Leute sehe. Die brauchen wir nämlich, wenn unsere | |
Klimapolitik gelingen soll. Und das muss sie. Wir müssen auch diejenigen | |
mitnehmen, die von Klimaschutzmaßnahmen negativ betroffen sein können. | |
Dafür stehe ich mit meiner Biografie als langjähriger Gewerkschafter, der | |
immer auch Umwelt- und Klimaschutz für sich auf der Agenda hatte. | |
Dennoch gab es [1][heftige Proteste]: 12.000 Menschen unterschrieben einen | |
Brief gegen Ihre Nominierung. Unter anderem, weil Sie sich immer mal wieder | |
gegen klimapolitische Positionen der Linken gewandt hätten. Konnten Sie | |
denn den Unmut zum Teil verstehen? | |
Die Art und Weise des Protestes hat mich schon sehr gewundert. Da wird von | |
Mitgliedern meiner Partei mit Mitgliedern einer konkurrierenden Partei | |
versucht, auf eine Personalentscheidung der Bundestagsfraktion Einfluss zu | |
nehmen. Niemand von den Kritikern hat mit mir geredet, aber im Internet | |
wurde ich zum Teil übel beschimpft. Das ist für eine Partei, die für sich | |
in Anspruch nimmt, fair miteinander umzugehen, absolut unakzeptabel. Auch | |
wenn ich durchaus verstehe, dass es zur Klimapolitik natürlich | |
unterschiedliche Positionen gibt. | |
Sie haben als Einziger in der Fraktion dem Klimaaktionsplan der Linken | |
nicht zugestimmt, betonen immer wieder, die Linke dürfe nicht grüner als | |
die Grünen werden. | |
Weil es die Grünen schon gibt! Natürlich kann man den ein oder anderen | |
Akzent anders setzen. Aber Hauptaufgabe der Linken ist, auch in der | |
Klimapolitik die Interessenvertreterin derer zu sein, die vom Schicksal | |
weniger begünstigt sind. Wir müssen deren Ängste ernst nehmen und | |
Klimaschutz mit der Frage von ausreichend und gut bezahlten, tariflich | |
abgesicherten Jobs der abhängig Beschäftigten und Perspektiven von | |
Mittelständlern wirklich verbinden. | |
Sind Jobs wichtiger als Klimaschutz? | |
Man muss versuchen, beides gemeinsam hinzukriegen. Wenn wir beispielsweise | |
darüber nachdenken, wie wir die Mobilitätswende schaffen, dann müssen wir | |
bei der notwendigen Reduzierung von CO2 auch die Techniken fördern, die | |
dazu führen, dass möglichst viele Arbeitsplätze erhalten bleiben. Ich habe | |
in meiner Region die ganzen Zulieferer für die Automobilindustrie, deren | |
Arbeitsplätze massiv bedroht sind. Und die muss ich mitdenken, wenn ich | |
über notwendigen Klimaschutz rede. | |
Ein Zulieferer, der bisher Diesel-Einspritzpumpen hergestellt hat, wird in | |
der zukünftigen Energiewelt keine Diesel-Einspritzpumpe mehr verkaufen | |
können. Manches geht doch auch einfach nicht zusammen, oder? | |
Das Nachdenken, was die Kolleginnen und Kollegen, die den Job verlieren, | |
künftig machen sollen, muss parallel laufen. Was ich nicht akzeptiere, ist | |
eine Position, die ein Genosse meiner Partei vertreten hat: Er möchte | |
keinen Linken mehr sehen, der sich für die Arbeitsplätze in der | |
Automobilindustrie einsetzt. Das halte ich für arrogant und bei Wahlen für | |
katastrophal. Wenn wir also wissen, dass wir in bestimmten Bereichen | |
Beschäftigungsprobleme bekommen, wenn wir nur auf Elektromobilität | |
umstellen, ist doch Technologieoffenheit geradezu ein Gebot. | |
Die Linke fordert ja einen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2030. Ist | |
das zu forsch? | |
Ich halte es da immer mit der Realität und gehe davon aus, dass es eher so | |
kommen wird wie das, was im Koalitionsvertrag steht: Wir müssen CO2-freie | |
Mobilität erreichen, egal durch welche Technik. Diese Technologieoffenheit | |
halte ich persönlich für richtig. | |
Selbst FDP-Verkehrsminister Volker Wissing hat inzwischen gemerkt, [2][dass | |
im Pkw-Bereich alles auf Elektromotoren hinausläuft]. Ist die Linke die | |
letzte Hüterin der sogenannten Technologieoffenheit? | |
Das wird doch in der Praxis entschieden, und Wissing ist schon | |
zurückgerudert. Fakt ist, dass wir selbst dann, wenn wir zum Beispiel 2035 | |
keine Verbrenner im herkömmlichen Sinne mehr produzieren, noch 30 Millionen | |
Verbrenner in Deutschland haben, die dann auch noch einige Jahre fahren | |
werden, und weltweit 1,3 Milliarden. Wir müssen uns doch überlegen, wie wir | |
da CO2-Neutralität herstellen, etwa über grüne synthetische Kraftstoffe. | |
Geht es nicht grundsätzlich darum, den Autoverkehr drastisch zu reduzieren? | |
Oder sollte er nur sauber werden, klimafreundlich? | |
Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Individualverkehr | |
weniger werden kann und wird. Zum Beispiel, indem wir das Zugfahren und den | |
öffentlichen Verkehr allgemein ausbauen und so attraktiv machen, dass man | |
gerne und freudig umsteigt. Es gab mal Stimmen in meiner Partei, die | |
forderten, die erste Klasse zu verbieten. Ich sage: Wir sollten die zweite | |
Klasse abschaffen. | |
Also erste Klasse für alle? | |
Ja, Komfort für alle. Wir brauchen auf jeden Fall genügend vernünftige | |
Alternativen, denn sonst werden die Leute weiter das Auto nutzen. Oder wir | |
verbieten es. Aber das Auto verbieten – da bin ich nun schlicht dagegen. | |
Eine andere Möglichkeit ist, steuernd über den Preis einzugreifen. Einen | |
CO2-Preis, wie ihn die Große Koalition eingeführt hat, lehnt die Linke aber | |
ab. | |
Vollkommen zu Recht. Es gibt viele Bürgerinnen und Bürger, deren Einkommen | |
zum vernünftigen Leben nicht mehr reicht. Sie sollen zahlen, können aber | |
ihr Verhalten gar nicht ändern. Denn wenn einer mit dem Auto zur Arbeit | |
pendelt, dann muss er den Preis zahlen, solange es keine Alternative gibt. | |
Es gäbe ja die Möglichkeit, den Leuten das [3][Geld aus den CO2-Einnahmen | |
zurückzugeben]. Zum Beispiel über ein Energiegeld, wie es die Grünen | |
fordern. | |
Bis jetzt zahlen die Leute schon, und keiner gibt ihnen was zurück. Und ich | |
sage Ihnen, bis sie etwas zurückkriegen, das wird noch eine Zeit dauern. | |
Sie glauben nicht daran, dass ein Energiegeld einen Ausgleich schaffen | |
könnte? | |
Doch, aber wir müssen kurzfristig reagieren. Vor Kurzem haben | |
Energiepolitiker gemeinsam mit dem Parteivorstand und der | |
Rosa-Luxemburg-Stiftung im Arbeitskreis Lösungen diskutiert. Jetzt, wo die | |
Energiepreise gerade so hoch sind, sollte die Mehrwertsteuer auf Strom, | |
Sprit und Gas gesenkt werden. Der Staat hat höhere Steuereinnahmen durch | |
die hohen Preise, einen Teil davon sollte er den Bürgern zurückgeben. Eine | |
zeitweilige Mehrwertsteuersenkung ist ein erprobtes Mittel und wirkt sich | |
sofort auf den Preis aus. | |
Was schwebt Ihnen da vor? | |
Es geht um eine Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent für die | |
Energiepreise. | |
Aber ist das nicht sozial ungerecht? Wenn Sie für alle Menschen die | |
Mehrwertsteuer reduzieren, dann haben diejenigen, die eine große Wohnung | |
haben und viel heizen, eine viel größere Ersparnis als diejenigen, die eine | |
kleine Wohnung haben und weniger heizen. | |
Ja, aber es ist eine schnelle Entlastung, da würde ich an dieser Stelle die | |
Unschärfe hinnehmen. Einen großen Teil der Energiepreise verantwortet der | |
Staat. | |
Der Millionär in Blankenese kriegt Geld vom Staat zurück, genauso wie die | |
Krankenschwester in Zittau? | |
Alle werden vorübergehend entlastet. In der Mehrheit nützt es Leuten mit | |
kleinen bis mittleren Einkommen, die in den Städten gar nicht mehr wohnen | |
können und wegen der hohen Mietpreise nach draußen gezogen sind und die | |
jetzt diese hohen Energiepreise, insbesondere auch die gestiegenen Preise | |
für Benzin, hinnehmen müssen. Für die wäre es eine vorübergehende Lösung, | |
bis sich die Preise wieder stabilisieren. | |
Gibt es nicht eine bessere Lösung? Der Parteivorstand schlägt in einem | |
Beschluss vom Oktober ein kostenloses Grundkontingent für Strom und Heizen | |
für alle vor. Diejenigen, die viel verbrauchen, sollen dafür mehr bezahlen. | |
Ich mache mir aber keine Illusionen, was wir mit 4,9 Prozent durchsetzen. | |
Wir überlegen uns schnelle Lösungen, die jetzt wirken. Bei den | |
Energiepreisen ist das dringend nötig. | |
Energiepolitisch umstritten in der Linken ist auch die [4][Gaspipeline Nord | |
Stream 2]. Sie gehören zu jenen, die sagen, man brauche sie unbedingt. | |
Warum? | |
Weil wir Gas als Brückentechnologie brauchen, sogar mehr als bisher. Selbst | |
die Grünen gehen davon aus, dass wir neue Gaskraftwerke brauchen. Und die | |
Gasleitungen, durch die wir gegenwärtig Gas für die Bundesrepublik und für | |
Europa leiten, sind alles andere als in einem guten Zustand. Sie haben hohe | |
Leckagen, Gasaustritte sind klimapolitisch nicht akzeptabel. Und wir haben | |
auf der anderen Seite eine neue, fertige Leitung, die in Betrieb genommen | |
werden könnte. Und weil das Gas direkt aus Russland kommt und keine | |
Durchleitungsgebühren anfallen, würde es für den Gaskunden letztendlich | |
billiger. Die alternative ist Fracking-Gas zum Beispiel aus den USA – | |
teurer und umweltschädlicher. | |
Die Pipeline ist aber nicht nur ein energiepolitisches, sondern auch ein | |
geopolitisches Projekt. Besonders die Ukraine und Polen sehen ihre | |
Interessen dadurch verletzt. Sind deren Interessen in diesem Punkt egal? | |
Die Vorteile, auch die preislichen, überwiegen. Die Interessen Polens und | |
der Ukraine sind nicht egal. Aber dafür ist nicht der deutsche Gaskunde | |
zuständig, sondern die Europäische Union. | |
Bliebe noch die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland. Putin hat in der | |
Vergangenheit gezeigt, dass er wirtschaftliche Abhängigkeiten auch nutzt, | |
um Druck zu erzeugen. | |
Wo hat er das gemacht? Ich habe die Bundesregierung gefragt: Gibt es | |
irgendein Anzeichen, dass Verträge, die mit Russland hinsichtlich der | |
Gaslieferungen gemacht worden sind, nicht eingehalten wurden? Da hat die | |
Bundesregierung offiziell geantwortet: Nein, diese Hinweise gibt es nicht. | |
Es gibt in der ganzen 50-jährigen Geschichte der Gaslieferungen zwischen | |
der Sowjetunion und Ost- und Westdeutschland kein einziges Beispiel dafür, | |
dass die Russen ihre Verträge nicht eingehalten haben. Insofern ist diese | |
Behauptung absurd. Im Übrigen, auch das Gas durch die Ukraine kommt aus | |
Russland. | |
Finden Sie es denn richtig, Nord Stream 2 doch zu stoppen, falls Russland | |
tatsächlich in die Ukraine einmarschieren sollte? | |
Ich halte diese Diskussion für falsch. Denn wir schneiden uns ins eigene | |
Fleisch, wenn wir dann anstelle des russischen Erdgases teures LNG-Gas | |
woanders kaufen müssen. Ich denke grundsätzlich, je enger die | |
wirtschaftlichen Beziehungen sind, desto schwieriger wird es, gegeneinander | |
Krieg zu führen. Das halte ich für ganz, ganz wichtig. | |
Was sollte Deutschland dann tun, um Russland davon abzuhalten, in den | |
Donbass einzumarschieren? | |
Wir sollten prüfen, in welcher Weise die Interessen Russlands nach eigener | |
Sicherheit berechtigt sind. | |
Die Forderung, dass die Nato kein Nachbarland Russlands aufnimmt, und ein | |
Truppenaufmarsch von 100.000 Soldaten an der Grenze sind berechtigt? | |
Russland will die Nato nicht an den eigenen Grenzen. Das wollen die USA | |
übrigens umgekehrt auch nicht, denken Sie an die Kubakrise. Trotz | |
anderslautender Zusagen im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands hat sich | |
die Nato immer weiter nach Osten ausgedehnt. Und ich glaube, das Interesse | |
Russlands ist berechtigt. Wir brauchen eine Sicherheitsarchitektur in | |
Europa, die Russland einbezieht. Das ist auch in unserem Interesse. | |
Noch einmal zurück zu Ihrer Partei. [5][Susanne Hennig-Wellsow sagte in | |
einem Interview in der taz], sie erwarte von Ihnen als | |
Ausschussvorsitzendem, eine Debatte auf den Weg zu bringen, wie | |
unterschiedliche Generationen beim Klimaschutz an einem Strang ziehen | |
können. Haben Sie das vor? | |
Ja, selbstverständlich habe ich das vor. Ich will Klimaaktivisten und | |
Leute, die in den Betrieben beschäftigt sind, deren Arbeitsplätze bedroht | |
sind, gemeinsam an einen Tisch bringen. Um dafür zu sensibilisieren, dass | |
einerseits Klimapolitik richtig und notwendig ist, andererseits auch | |
berechtigte Ängste und Interessen dabei berücksichtigt werden müssen. | |
Schön, dass Frau Hennig-Wellsow das auch so sieht. | |
Sie haben gefordert, dass die Parteiführung per Mitgliederentscheid neu | |
gewählt wird. Weshalb? | |
Ich wünsche mir, dass auch die Parteiführung Verantwortung übernimmt für | |
das Wahldebakel. Der Parteivorstand und der Bundesgeschäftsführer waren | |
maßgeblich für den Wahlkampf und die Themensetzung verantwortlich. Und | |
dieser Verantwortung sollen sie sich stellen. | |
Wieso fordern Sie das erst jetzt und nicht schon im September? | |
Es ist nicht so, dass ich dies zum ersten Mal anspreche. Es ist übrigens | |
auch in einer Fraktionssitzung angesprochen worden. | |
Die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow | |
machen also keinen guten Job? | |
Darum geht es nicht. Es geht mir um einen legitimen, demokratischen | |
Vorgang, um die Übernahme von Verantwortung, Neuwahlen und die Basis zu | |
fragen, wer nach diesem Wahldebakel die Partei führen soll. Das geht ja | |
selbst bei der CDU. | |
7 Feb 2022 | |
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[1] /Protest-gegen-Ex-Parteichef-Klaus-Ernst/!5822574 | |
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[3] /Steigende-Energiekosten/!5828837 | |
[4] /Deutschland-und-der-Russland-Ukraine-Konflikt/!5830363 | |
[5] /Linken-Chefin-ueber-Zukunft-der-Partei/!5824391 | |
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Anna Lehmann | |
Malte Kreutzfeldt | |
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