# taz.de -- Suche nach Corona im Abwasser: „Eine Art Frühwarnsystem“ | |
> Eine ganz spezielle Detektivarbeit: Uta Böckelmann, Leiterin des Labors | |
> der Berliner Wasserbetriebe (BWB), identifiziert Coronaspuren im | |
> Abwasser. | |
Bild: Enthält nützliche Informationen: Berliner Abwasser | |
taz: Frau Böckelmann, vor einem Jahr haben die Wasserbetriebe angefangen, | |
im Abwasser nach Sars-CoV-2-Erbgut zu suchen – ist daraus mittlerweile ein | |
funktionierendes Prinzip geworden? | |
Uta Böckelmann: Ja. Der Aufbau der Methodik ging von Januar bis Februar | |
2021. Dabei waren einige Schwierigkeiten zu bewältigen, weil natürlich | |
enorm viele Störstoffe im Abwasser enthalten sind. Es mussten also viele | |
PCR-Tests gemacht werden, bis wir die richtige Verdünnung gefunden hatten, | |
mit der gearbeitet werden kann. Grundsätzlich verwenden wir denselben | |
PCR-Test, der auch für sogenannte Humanproben verwendet wird. | |
Machen das die BWB allein? | |
Nein, die PCR-Analyse ist ja keine Standarduntersuchung, die [1][ein Labor | |
wie unseres] im Repertoire hätte. Wir arbeiten bis jetzt dazu mit | |
Auftragslaboren zusammen, aber mittlerweile haben wir eine hochmoderne | |
PCR-Anlage angeschafft und auch eine Stelle für eine Molekularbiologin | |
ausgeschrieben. Es gab einen enormen Rücklauf, in zwei Wochen finden die | |
Vorstellungsgespräche statt. Spätestens im Sommer können wir diese | |
Diagnostik dann selbst bewältigen. Ein Vorteil ist, dass der Weg der Proben | |
in unsere eigenen Labore viel kürzer ist, was die Ergebnisse möglichst | |
wenig verfälscht. | |
Das Max Delbrück Centrum (MDC) für Molekulare Medizin ist auch beteiligt, | |
richtig? | |
Wir haben eine Kooperation mit dem MDC, allerdings haben sich die Kollegen | |
auf eine Metagenomanalyse spezialisiert – sie untersuchen also auch, welche | |
anderen Viren im Abwasser zu finden sind. Dafür verwenden sie eine deutlich | |
eingeschränktere Datenlage. Später, wenn wir das Abwasser-Monitoring selbst | |
machen, wollen wir es in Zusammenarbeit mit dem MDC als System nutzen, um | |
auch Auskunft über andere Krankheitserreger zu erhalten, andere Viren oder | |
antibiotikaresistente Bakterien. | |
Zurück zur Coronasuche: Wie ging es weiter? | |
Um das Verfahren zu validieren, haben wir bis April die Zuläufe aller | |
unserer Klärwerke auf Spuren von Coronaviren untersucht. Das hat sehr gut | |
funktioniert, wir konnten gleich beim ersten Mal Bestandteile von | |
Sars-CoV-2 finden. Um die Ergebnisse aussagekräftiger zu machen, haben wir | |
unsere Proben immer auch auf andere Viren untersucht, die harmlos und weit | |
verbreitet sind. Das waren Pflanzenviren, konkret: Paprika-Viren. Wenn wir | |
die nachweisen können, wissen wir, dass die Untersuchung korrekt | |
durchgeführt wurde. | |
Was sind dann typische Werte, die Sie da ermitteln? | |
Bei einer PCR wird potenziell vorhandenes Erbgut, also DNA, vervielfältigt. | |
Im Falle der Coronaviren findet sich nur sogenannte RNA, die zuerst in DNA | |
umgewandelt werden muss. Der ermittelte Wert ergibt sich daraus, wie viele | |
Vervielfältigungszyklen durchlaufen werden müssen, bis diese DNA | |
tatsächlich nachgewiesen werden kann. Wenn ich schon in einem frühen Zyklus | |
etwas finde, ist der sogenannte CT-Wert niedrig – und die Virenlast | |
umgekehrt relativ hoch. Bei uns liegt dagegen der CT-Wert aufgrund der | |
starken Verdünnung der Probe durch die große Abwassermenge meist relativ | |
hoch, bei 35 oder 36. Das ist dann schon eher am Ende der Nachweisbarkeit, | |
aber es reicht aus. | |
Was folgte dann? | |
Wir haben exemplarisch in Ruhleben auch das Abwasser in den Zuleitungen zu | |
einzelnen Pumpwerken getestet. In Ruhleben, dem mit Abstand größten | |
Berliner Klärwerk, werden die Ausscheidungen von rund 1,2 Millionen | |
Menschen behandelt, bei einem der vorgelagerten Pumpwerke sind es ungefähr | |
100.000 Menschen. In einem Fall sind wir noch weiter zurückgegangen und | |
haben Proben aus Abwasser entnommen, das von nur rund 1.000 Personen stammt | |
– noch genauer wollten wir das schon aus Gründen des | |
Persönlichkeitsschutzes nicht machen. | |
Und Sie stoßen da auf unterschiedliche Konzentrationen? | |
Ja, die „Virenlast pro Liter Abwasser“ – das ist der Indikator, den wir | |
errechnen – war bei manchen Pumpwerken deutlich höher als bei anderen. | |
Dabei muss man in Betracht ziehen, dass manchmal wenige Menschen sehr viele | |
Viren ausscheiden können und manchmal viele Menschen wenige. Eine genaue | |
Anzahl an Infizierten können wir aus diesen Ergebnissen also nicht | |
bestimmen, das wäre unwissenschaftlich. | |
Erklären Sie uns doch noch einmal, wozu das alles gut ist. | |
Menschen, die sich mit Sars-CoV-2 infiziert haben, scheiden schon mehrere | |
Tage vor etwaigen Symptomen Virenbestandteile aus. Wenn wir die im Abwasser | |
identifizieren, ist das eine Art Frühwarnsystem. Unsere Kurve läuft der | |
Fallstatistik der Gesundheitsämter tatsächlich um 5 bis 10 Tage voran. Wir | |
können auch per Sequenzierung den Anteil von Varianten bestimmen: Am 3. | |
August haben wir erstmals Delta gefunden und am 7. Dezember erstmals | |
Omikron, damals mit einem Anteil von 16 Prozent. Um Weihnachten herum waren | |
es schon 85 Prozent, und mittlerweile hat Omikron auch nach unseren | |
Untersuchungen Delta fast komplett abgelöst. | |
Und was folgt daraus? | |
Welche Entscheidungen auf der Grundlage dieser Daten getroffen werden, | |
müssen die Gesundheitsbehörden entscheiden. Wir liefern ihnen nur ein | |
Instrument, um das Infektionsgeschehen frühzeitiger zu erkennen zu können. | |
Was passiert jetzt gerade? | |
Wir haben die Beprobung und Auswertung bis heute auf eigene Kosten | |
weitergeführt. Zweimal pro Woche untersuchen wir das Abwasser aus zwei | |
Zuläufen zum Klärwerk Ruhleben und zusätzlich aus drei Pumpwerken. Das ist | |
natürlich noch kein richtiges Monitoring, dafür müssten wir das Abwasser | |
täglich untersuchen. Die gute Nachricht ist, dass wir am vergangenen | |
Mittwoch gemeinsam mit dem Lageso den Zuschlag für ein EU-Projekt bekommen | |
haben, das Berlin als einen Standort für ein deutschlandweites | |
Corona-Monitoring etabliert. Das Projekt startet Anfang Februar. | |
Das heißt, Sie erhalten auch zusätzliche Mittel für die Coronaviren-Suche? | |
Ja, nur werden auch die bei Weitem nicht ausreichen, um eine | |
kontinuierliche Untersuchung von mehr als einem Klärwerk zu leisten, das | |
muss ich gleich dazusagen. Aufgrund der besonderen Bedingungen, unter denen | |
wir sie durchführen, sind die PCR-Tests und die Sequenzierungen deutlich | |
teurer als die PCR von einem Nasenabstrich. Wir liegen da pro Abwasserprobe | |
bei 500 Euro und mehr. | |
Das alles steht im Kontext des von der EU geforderten Aufbaus nationaler | |
Abwasserüberwachungssysteme. In den Niederlanden ist man da schon weiter, | |
dort kann jeder die Virenlast im Abwasser auf einem nationalen Dashboard | |
ablesen. | |
Das ist richtig, aber in Deutschland ist das vorläufig nicht geplant. | |
Allerdings haben wir die sogenannte HyMo-App entwickelt – HyMo steht für | |
„Hygiene-Monitoring“. Das ist eine hochmoderne digitale Plattform, die | |
unsere Analysen in leicht nachvollziehbarer Art vermittelt und die Daten so | |
zur Verfügung stellt, dass sie von Behörden auch in deren Systemen | |
verwertet werden können. Sie zeigt in Kurvenverläufen den prozentualen | |
Anstieg der Virenfunde an unseren Messpunkten sowie die Entwicklung der | |
einzelnen Varianten, die sich gegenseitig verdrängen. Seit letztem Montag | |
ist die App produktiv, allerdings ist sie bislang nur für die | |
Mitarbeitenden der Gesundheitsbehörde zugänglich. | |
Eine naive Frage: Ist Corona im Abwasser eine potenzielle Infektionsquelle? | |
Ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass das nicht möglich ist. Im | |
Abwasser befinden sich ja keine kompletten Viren, sondern lediglich | |
Bruchstücke. Für unsere Mitarbeitenden gilt deshalb: Sich im Klärwerk durch | |
Aerosole oder über Wunden zu infizieren, ist ausgeschlossen. | |
30 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bwb.de/de/wasseranalyse.php | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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