# taz.de -- Eisbärhaltung in Berliner Zoos: „Die Anlagen sind veraltet“ | |
> Im Zoo ist die letzte Eisbärin verstorben, TierrechtlerInnen fordern, | |
> keine neuen anzuschaffen. Zoodirektor Andreas Knieriem hält sich das noch | |
> offen. | |
Bild: Ausgeschüttelt: Eisbärin Katjuscha lebt jetzt im ewigen Polarkreis | |
taz: Herr Knieriem, an Heiligabend ist die letzte Eisbärin im Berliner Zoo | |
gestorben. Empfindet man da als Zoodirektor so etwas wie Bedauern oder gar | |
Traurigkeit? | |
Andreas Knieriem: Katjuscha ist 37 geworden. Für eine Eisbärin ist das | |
echt alt. Wir haben lange mit ihrem Tod gerechnet. Mein Gefühl war: Gut, | |
dass sie in Ruhe eingeschlafen ist. | |
Für den Zoo bedeutet das eine Zäsur. Wie viele Eisbären-Generationen hat es | |
in der fast 178-jährigen Geschichte des Zoologischen Gartens Berlin | |
gegeben? | |
Da müsste ich raten. Schon 1845, also ein Jahr nach der Gründung, gab es | |
hier Eisbären. Der Zoo ist ja der älteste Zoo in Deutschland. Damit könnte | |
man behaupten, dass der Zoo Berlin auch die mit Abstand älteste Tradition | |
der Eisbärhaltung hat. Ich betone: die älteste, wir wollen jetzt nicht über | |
die Qualität der Haltung sprechen. Was ich mit Sicherheit sagen kann: Der | |
Eisbär Knut war hier die letzte Handaufzucht. | |
Knut, geboren 2006 und vom Tierpfleger Thomas Dörflein mit der Flasche | |
aufgezogen, war ein absoluter Besucherliebling. 2011 starb der Eisbär | |
überraschend an den Folgen einer Gehirnentzündung, wenig später starb auch | |
sein Pfleger. | |
Knut war eine Legende. Er war bis in die letzte Inselwelt Japans bekannt. | |
Das hat sich natürlich in der Besucherbilanz niedergeschlagen. Ich war | |
damals noch nicht hier, aber ich habe mir das sagen lassen. | |
Wie geht es nun weiter mit den Eisbären? | |
Darüber beraten wir gerade. Ich vermute, dass wir in zwei, drei Wochen zu | |
finalen Überlegungen gekommen sind. Diese Zeit wollen wir uns aber geben. | |
Wir haben ja auch noch im Tierpark zwei Eisbären. | |
Tonja und ihre Tochter Hertha. | |
Ja. Der Tod von Katjuscha ist auf jeden Fall nicht das Ende der | |
Eisbärhaltung in Berlin. Der Tierpark hatte sogar als Erster die neuere | |
Anlage, die 1957 zu DDR-Zeiten gebaut wurde. Der Zoo in Westberlin hat 10 | |
Jahre später nachgezogen. Von der Größe und Struktur her sind die Anlagen | |
relativ ähnlich. Auch das U-förmige Wasserbecken, die Inselanlage und die | |
vielen Steine sind vergleichbar. | |
Das heißt, die Grundsatzfrage, die zu klären ist, lautet: Braucht Berlin in | |
beiden tiergärtnerischen Einrichtungen Eisbären? | |
Nein, das wäre zu banal. Wir schauen: Was ist für Zoo und Tierpark unter | |
dem Aspekt der Tierhaltung und Nachzucht gemeinsam gut? | |
Wie meinen Sie das? | |
Nehmen wir die Giraffen als Beispiel. Im Zoo gibt es eine Männergruppe, das | |
sind alles Bullen. Die Zuchtgruppe, die Kühe und die Jungtiere, befinden | |
sich im Tierpark. So könnte das auch bei den Eisbären sein. Das Einzige, | |
was ich schon jetzt mit Sicherheit sagen kann, ist: Die Anlagen, so wie sie | |
heute bestehen, sind nicht zukunftsgerichtet, weder im Zoo noch im | |
Tierpark. | |
Worauf wollen Sie hinaus? | |
Beide Anlagen brauchen mittel- und langfristig eine Verbesserung, um eine | |
gute Eisbärenhaltung zu gewährleisten. Durch den Tod von Katjuscha sind wir | |
gezwungen, uns im Zoo früher mit dieser Frage zu beschäftigen. Auf die | |
jetzige Anlage würden wir keinen Eisbären mehr setzen. Früher gab es hier | |
drei Weibchen und ein männliches Tier – heutzutage wäre das undenkbar. Die | |
Anlage bietet nur Platz für ein, maximal zwei Tiere, wenn die sich | |
miteinander wirklich gut verstehen. | |
Die Tierrechteorganisation Peta hat nach Katjuschas Tod an den Zoo | |
appelliert, die Eisbärenhaltung für immer einzustellen und das auch im | |
Tierpark perspektivisch zu tun. Die größten Landraubtiere würden in | |
Gefangenschaft regelmäßig Verhaltensstörungen entwickeln, so Peta. | |
Wir kennen das Anschreiben von Peta. Alles andere würde mich bei dieser | |
Organisation, die letztendlich die Abschaffung von Tieren in Menschenhand | |
fordert, auch wundern. Wir werden uns von niemandem treiben lassen. Wir | |
machen das ganz nüchtern und lassen uns dabei natürlich auch von unseren | |
eigenen Organisationen beraten. | |
Wer wäre das? | |
Das sind internationale und europäische Fachgremien von zoologischen Gärten | |
und unseren eigenen Kuratoren. Unsere Definition bei allen Tierarten ist, | |
dass die Haltung im Zoo selbstverständlich möglich ist, wenn wir die | |
Anlagenstrukturen an das Verhalten und die Bedürfnisse der Tiere anpassen. | |
Bei bestimmten Tierarten ist das ein Riesenaufwand, bei anderen weniger. Im | |
Fall der Eisbären müssen wir wirklich Aufwand betreiben. | |
In freier Wildbahn laufen die Tiere große Strecken, wie soll das im Zoo | |
gehen? | |
Eisbären sind per se keine großen Streckenläufer, das wird immer verkannt. | |
Sie laufen nur weit, wenn sie keine Nahrung finden. Wenn der Eisbär in | |
einem Dorf Futter findet, schläft er neben dem Abfalleimer. Das ist | |
natürlich auch nicht artgerecht. Was wesentlich ist: Eisbären sind | |
Einzelgänger und nur in Ausnahmefällen sozial kompatibel. Darum sind wir | |
auch so froh, dass sich Tonja und ihre Tochter so gut verstehen und wir sie | |
im Tierpark gemeinsam auf einer Anlage halten können. | |
Laut Peta haben sich die Stuttgarter Wilhelma und der Wuppertaler Zoo von | |
der Eisbärhaltung verabschiedet. Was wissen Sie über die Gründe? | |
Mir ist das nur von Wuppertal bekannt, aber das war auch wirklich eine sehr | |
kleine Anlage und geschah deshalb aus guten Gründen. Das muss jeder für | |
sich entscheiden. Wesentlich ist, dass man die Haltungskriterien mit seinem | |
Gewissen vereinbaren kann. Die Konfliktlinien sind mir bewusst. Wir wollen | |
das ohne Schaum vorm Mund besprechen und ich verspreche Ihnen, dass wir | |
eine gute Lösung suchen werden, wohin immer die gehen wird. | |
Zurzeit haben Sie vermutlich noch ganze andere Probleme. Wie stark hat die | |
Pandemie Zoo und Tierpark gebeutelt? | |
Wenn ich die beiden Jahre Revue passieren lasse, kann ich nicht gerade | |
glücklich sein. Wir sind mitten in der sogenannten Omikron-Situation und | |
brauchen wie alle ein bisschen Sonnenstrahlen. Gerade für den Zoo Berlin | |
waren die Besucherzahlen alles andere als freudvoll. Aber es bringt nichts, | |
zurückzuschauen. Als Tierarzt weiß ich, dass wir diese pandemische | |
Situation irgendwann hinter uns lassen werden, aber ich gebe keine | |
Prognosen mehr ab. Das traut sich inzwischen ja keiner mehr. | |
25 Jan 2022 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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