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# taz.de -- Klimawandel und Artenschutz: Ich möchte kein Eisbär sein
> Am 27. Februar wird der „Internationale Tag des Eisbären“ gefeiert. Der
> Klimawandel und die Politik haben ihm das Leben noch schwerer gemacht.
Bild: Weniger Eis, weniger Essen – Eisbären sind zur traurigen „Ikone des …
Der 27. Februar wurde 2004 von nordamerikanischen Zoos zum „Internationalen
Tag des Eisbären“ erklärt. Denn jetzt, wo der Jagddruck auf Eisbären
nachlässt (dank der von den Arktisanrainerstaaten durchgesetzten
Schutzmaßnahmen), wirken sich die steigenden Temperaturen derart
lebensgefährdend für sie aus, dass sie [1][zur traurigen „Ikone des
Klimawandels“ geworden sind]. Wegen der Packeisschmelze haben sie zunehmend
Probleme, ihre Hauptnahrung Robben an deren Atemlöchern zu erbeuten.
Eisbären führen in der Arktis ein amphibisches und nomadisches Leben,
gelegentlich überqueren sie auf ihren Wanderungen den Nordpol. Deswegen
konnten keine gravierenden Unterschiede zwischen den Eisbären in Kanada und
Alaska und den Eisbären auf Grönland und Spitzbergen, in Sibirien und auf
den vorgelagerten arktischen Inseln festgestellt werden.
Den Eisbären folgen die Polarfüchse. Sie leben von dem, was die Bären bei
den Robben übrig lassen – und das ist viel, denn sie fressen nur das Fett.
Die Füchse wurden von den Inuit nicht beachtet, aber bei den Weißen ließen
sich dann ihre Felle zu Geld machen. So wurden die Inuit „ausschließlich
abhängig von den Füchsen“, deren Verbreitung von der Verbreitung der
Eisbären abhängig ist, schrieb der [2][Ethnologe Jean Malaurie].
Es gibt zwischen den westlichen und den östlichen Eisbären einen großen
Unterschied in ihrer Wahrnehmung durch die Weißen. Wenn man dem
Schriftsteller Bjørn Vassnes (in seinem Buch „Im Reich des Frosts“ – 201…
folgt, dann hat das mit der Einstellung zur Arktis zu tun: Während dieses
kalte „Reich“ im Westen als „gefährlich und schrecklich, ja sogar als Wi…
des Bösen“ – in Märchen wie Andersens „Die Schneekönigin“ und Disney…
Eiskönigin“ zum Beispiel – begriffen wird, mindestens als Land voller
Entbehrungen und Gefahren, hat man in Russland „ein anderes Verhältnis zu
Eis und Schnee“.
## Winter als Rettung
Dort gab (und gibt) es Winter, die das Land mindestens zweimal in der
neueren Geschichte vor Invasoren retteten – „erst vor Napoleon, dann vor
Hitler“, denen ihre Armeen in Russland buchstäblich erfroren. „Kein Wunder,
dass in Russland Väterchen Frost den Kindern Geschenke bringt“, meint
Vassnes. Unter den letzten circa 23.000 Eisbären gelten folglich die
amerikanischen als gefährliche Bestien, während die russischen eher als
friedlich gelten.
Am Internationalen Tag des Eisbären 2020 begann in Russland eine Zählung
aller Eisbären – von der Tschuktschensee bis zur Barentssee. Die
Wrangelinsel vor der Tschuktschen-Halbinsel gilt als „Heimat der
Eisbären“. An den Berghängen graben sich im Winter bis zu 500 weibliche
Eisbären Schneehöhlen und bekommen dort ihre ein bis drei Jungen.
Währenddessen fasten sie bis zu vier Monate und wärmen und säugen ihre
anfangs noch nackten Jungen. Manche der Höhlen auf der Insel sind dicht
nebeneinander gebaut, sodass die Mütter, die zehn Monate tragend sind, sich
durch einen Verbindungsgang verständigen können.
## „Langfristiger Rückgang“
Die Zahl der Wurfhöhlen auf der Wrangelinsel nimmt zu, während Orte an der
Hudson Bay und auf Spitzbergen inzwischen weniger stark von den Tieren
genutzt werden, da sich in manchen Jahren das Meereis dort zu spät bildet –
oder sogar überhaupt nicht. Die Eisbärinnen sind dann gezwungen, sich
anderswo ein Winterlager zu suchen. „Es ist ein dynamisches System, daher
gibt es gute und schlechte Jahre“, erklärte der Eisbärforscher Andrew
Derocher von der University of Alberta dem Wissenschaftsjournal
spektrum.de. Doch insgesamt seien diese Schwankungen [3][„Ausdruck eines
langfristigen Rückgangs“].
Denn die Zahl der Wurfhöhlengebiete nehme in den arktischen Gebieten der
westlichen Nationen kontinuierlich ab. Die Bären bleiben so lange wie
möglich auf dem Eis, meint die Wildtierbiologin Karyn Rode vom U.S.
Geological Survey in Anchorage. Aber mit zunehmendem Rückzug des Meereises
werde „Wrangel zum nördlichsten Punkt, an dem die Bären an Land gehen
können“.
## Gefängnis für Eisbären
Weibliche Eisbären verbringen daher heute eine längere Zeit auf der Insel
als noch vor 20 Jahren. Im Westen gilt die Hafenstadt Churchill an der
kanadischen Hudson Bay als „Eisbärenstadt“. Die hungrigen Tiere kommen
dorthin, um in den Abfällen nach Futter zu suchen. Für besonders
aufdringliche Eisbären hat die Stadt ein Gefängnis gebaut.
Auch auf Spitzbergen trauen sie sich gelegentlich bis in die Siedlungen:
2020 tauchte ein Eisbär wiederholt im Zentrum der Hauptstadt Longyearbyen
auf. Nachdem er nicht vertrieben werden konnte und kein Tierarzt zur
Betäubung vor Ort war, um ihn dann in ein entferntes Gebiet auszufliegen,
es auch nicht genug Personal gab, um Wachen aufzustellen, ließ die
Gouverneurin den „Problembären“ erschießen. Norwegens Umweltminister hatte
zuvor den Van Mijenfjord zum neuen Schutzgebiet für Robben und Eisbären
erklärt, weil sich dort das Eis besonders lange hält und man wegen des
Arktistourismus die letzten Eisbärinnen auf Spitzbergen halten will.
## Politisierung des Eisbären
Die Welt schrieb 2014, die Eisbären seien wegen des Klimawandels „vom
Aussterben bedroht“. Hinzu kam dann, dass der US-Präsident Trump das Verbot
für Alaska, junge Eisbären zu töten, aufhob. Zudem äußerte Trump 2020 den
Wunsch, Grönland zu kaufen, wo das US-Militär seit 1951 einen riesigen
Stützpunkt, die Thule Air Base, hat. Die Amerikaner hatten ihre Flagge
bereits 1882 auf der Wrangelinsel gehisst, die einem US-Millionär gehörte.
Dessen Leute wurden dann von der Roten Armee vertrieben.
37 Jahre später landeten 8.000 US-Soldaten in Wladiwostok und 5.000 in
Archangelsk, um den Bolschewismus zu bekämpfen. Ihre Parteinahme für die
„Weißen“ im Bürgerkrieg nannte sich „Polar Bear Expedition“. Sie wurd…
der Roten Armee angegriffen, 129 Soldaten starben. Als sie 1919 den Rückzug
antraten und mit einem Eisbrecher nach Hause gebracht wurden, bekam die
Einheit den Namen „Polar Bears“; ihre Toten wurden auf einem Friedhof in
Michigan um eine Eisbärenskulptur herum beigesetzt.
## Beliebte Trophäe
Bei den Reichen ist die Trophäenjagd auf Eisbären noch immer beliebt. In
Hollywood gab es lange Zeit kaum einen weiblichen Star, der sich nicht
lasziv auf einem Eisbärenfell räkelte, genannt seien: Pola Negri, Jean
Harlow, Ann Miller, Ann Sheridan, Joan Collins, Ann Crawford, Carroll
Baker, Edwina Both, Lisbeth Scott, Olga Baclanova, Dolores Del Rio, Rita
Hayworth, Grace Kelly, Veronica Lake, Marlene Dietrich, Marilyn Monroe –
und zuletzt die Präsidentengattin Melania Trump.
Den Inuit werden auf internationaler Ebene für die Subsistenzjagd auf
Eisbären Quoten zugeteilt: Sie erlegen jährlich etwa 150 Tiere. Deren Felle
werden immer teurer, bis zu 3.000 Euro, weil es eine steigende Nachfrage in
China gibt. Naturschützer wie der Däne Morten Jörgensen kritisieren, dass
man den Inuit, die von der „traditionellen Jagd“ leben, überhaupt eine
Quote an Eisbären einräume: Da ist nichts „Traditionelles“ mehr an der
Jagd, meint er.
## Umsorgter Eisbär
„Die Inuit gehen mit hochtechnischen Motorschlitten und wummstarken
Gewehren, mit Feldstechern und Spezialkleidung auf das Eis.“ In Russland
reagiert man gelassener auf Eisbären. Der Sender RTL zeigte 2019 ein Video
von einem Eisbären, der plötzlich in einem Dorf auf Kamtschatka auftauchte.
Die Halbinsel liegt 700 Kilometer vom Eismeer entfernt im Pazifik. Eisbären
können weit schwimmen – aber so weit, das ist selten.
Die Bilder zeigten einen „erschöpften Eisbär bei der Ankunft und wie er von
den Menschen empfangen wird. Die Einheimischen, die dem Bären Fisch
hinwerfen, geben dem Tier das Gefühl, sich willkommen zu fühlen. Angst vor
dem Tier brauchten die Menschen in diesem Fall nicht zu haben. Denn der Bär
ging an den Bewohnern vorbei, ohne Aggression zu zeigen.“ Gleichzeitig
bereiteten die Behörden in Kamtschatka sich aber auf eine Rettungsaktion
vor: „Sie planen, den Bären mit einem Beruhigungsmittel für eine bestimmte
Zeit auszuschalten und dann mit einem Hubschrauber zurück in die Arktis zu
fliegen.“
## Braunbären drängen in Arktis
Auf der riesigen, nahezu unbewohnten Doppelinsel Nowaja Semlja tauchten
2020 in der Nähe des Hauptorts Beluschja Guba 52 Eisbären auf. „Zu viele,
deshalb [4][haben die Behörden auf der Doppelinsel im Nordpolarmeer den
Notstand ausgerufen“], berichtete die „Tagesschau“. Einige Bären waren in
Häuser eingedrungen. Die Tiere wollte man betäuben und fortbringen. Das
erwies sich jedoch als nicht nötig. Der Verwaltungschef erklärte der
Presse, die Eisbären hätten den Ort verlassen, als sich Eis angesammelt und
eine Gruppe einheimischer Eisbären sie dann verjagt hatte.
Die Eisbären haben sich einst von den Braunbären nach Norden abgesetzt –
und zur Not würden sie auch wieder ein Leben an Land führen können, meint
der Ökologe Josef H. Reichholf. Derzeit passiert jedoch eher das Gegenteil:
Die (braunen) Grizzlybären drängen in die Arktis. Und sie verpaaren sich
auch mit Eisbären. Ihre Jungen sehen allerdings noch etwas schmuddelig aus.
27 Feb 2022
## LINKS
[1] /Die-Eisbaeren-sterben-aus/!5695709
[2] /Grenzerfahrungen/!673165/
[3] /Eisbaeren-in-der-Klimakrise/!5695676
[4] /Eisbaeren-in-bewohnten-Gebieten/!5569166
## AUTOREN
Helmut Höge
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