# taz.de -- Sohn von Esther Bejarano über Erinnerung: „Noch kein Rezept gege… | |
> Braucht auch das Gedenken ans Allerschlimmste zwischendurch etwas Spaß? | |
> Joram Bejarano über Erinnern, Humor – und seine Mutter. | |
Bild: Stand mit über 90 Jahren noch auf der Bühne: Esther Bejarano | |
taz: Herr Bejarano, Ihre Mutter, die 2021 verstorbene Auschwitz-Überlebende | |
Esther Bejarano, hat sich zeitlebens gegen das Schweigen und für das | |
Erinnern eingesetzt. Aus Ihrer eigenen Erfahrung: Was hilft dabei, sich | |
aktiv zu erinnern? | |
Joram Bejarano: Man braucht die Erzählung. Emotionen sind natürlich auch | |
wichtig, aber die sind automatisch im Raum, weil wir von solch | |
schrecklichen Ereignissen berichten. Zu Beginn sind die meisten sehr | |
bedrückt, später dann erleichtert. | |
Wann setzt diese Erleichterung ein? | |
Bei manchen Menschen überhaupt nicht. Aber bei vielen setzt sie ein, wenn | |
wir Musik machen: Musik hilft, um zwischen Menschen zu vermitteln. So laden | |
wir die Leute ein, dass sie mitmachen und fröhlich sind. Wir sagen immer: | |
Diese Arbeit darf auch ein witziges Gesicht haben. | |
Was meinen Sie damit genau? | |
Wir machen Späße zwischendurch und erzählen [1][Anekdoten von unserem | |
Projekt „Bejarano Microphone Mafia“]. Das ist sehr auflockernd für das | |
Publikum. Wir brauchen auch den Humor dabei, damit die Menschen das Ganze | |
aufsaugen können. Wer verspannt ist, ist nicht empfänglich. Ich möchte aber | |
mit den Menschen ins Gespräch kommen. | |
Gehen Sie bei Ihren Auftritten auch auf aktuelle Geschehnisse ein? | |
Auf jeden Fall. Je nachdem, was in der Welt passiert, greifen wir das auf. | |
Nach wie vor beschäftigt mich zum Beispiel die [2][Situation der vielen | |
Flüchtlinge auf dem Mittelmeer]. Darüber schweigt man gerade, aber das | |
Sterben geht weiter. Das muss man immer wieder laut sagen. Nach unseren | |
Auftritten hören wir oft von den Leuten: „Ich werde mich jetzt engagieren!“ | |
Deswegen: Man darf nicht schweigen, man muss laut sein. | |
Ihre Mutter war ja selbst immer wieder mit auf der Bühne, sie hat | |
mitgesungen und aus Ihrer Biografie vorgelesen. Wie treten Sie jetzt auf, | |
wo sie nicht mehr dabei sein kann? | |
Ich lese aus ihrem Buch, kommentiere ihre Geschichten und erzähle | |
Anekdoten. Das trägt auch zur Auflockerung bei. Aber es macht natürlich | |
einen Unterschied, ob ich aus dem Buch meiner Mutter lese oder ob sie | |
selbst es tut. [3][Es war eindrucksvoller bei ihr.] Ich bin weiter weg als | |
sie, weil ich kein Zeitzeuge bin. Und ich kann diese Position nicht in | |
Vertretung einnehmen. Aber ich möchte mit dem Projekt an meine Mutter | |
erinnern, an das, was sie erlebt hat, an ihre Arbeit als Aktivistin. Wir | |
machen das auch mit der Musik, indem wir ihre Stimme vom Band trällern | |
lassen (lacht). Man hört dann die Lieder – und wir begleiten sie live | |
musikalisch dazu. | |
Kommt das beim Publikum an? | |
Das ist vor allem bei den älteren Zuschauern beliebt, die Esther | |
jahrzehntelang kannten und begleiteten. Ich habe auch schon mal über ein | |
Hologramm meiner Mutter nachgedacht Manchmal habe ich das Gefühl: Oh, das | |
wäre jetzt witzig, wenn sie hier stünde. Auch wenn es nur ein Spaß wäre, | |
die Zuschauer würden es verstehen, glaube ich. Aber wir belassen es bei der | |
Stimme vom Band. Die ist sehr lebendig. | |
Wie tragen wir Geschichte weiter, wie erinnern wir, wenn die letzten | |
Zeitzeugen gestorben sein werden? | |
[4][Die Schule ist ein sehr wichtiger Ort.] Bei unserer Arbeit mit Schülern | |
ziehen wir Parallelen zur heutigen Zeit. Das hilft, um die Geschichte | |
anschaulicher zu machen. Allgemein braucht man unbedingt Orte des Begehens | |
– damit die Geschichte möglichst nahbar wird. | |
Und wie verhindert man, dass Gedenken zur ritualisierten Pose verkommt? | |
Indem man solidarisch und rücksichtsvoll handelt. Man darf sich selbst | |
immer wieder fragen: Wie kann ich etwas beitragen? Da müsste die Konsequenz | |
sein, dass man sich einbringt, politisiert, vielleicht sogar in eine Partei | |
eintritt, um zu verwirklichen, woran man glaubt. Hauptsache, die Menschen | |
bleiben wach. Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass es noch genug | |
Nazis gibt in diesem Land. Dagegen habe ich alleine auch noch kein Rezept. | |
Es geht eben nur mit der Masse. | |
26 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Viorica Engelhardt | |
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