Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: Buhlen um die Jägerlobby
> Die etwa eine Million Jäger sind in Frankreich wichtige Wählerstimmen.
> Die Forderung nach einem Jagdverbot sorgt für hitzige Diskussionen.
Bild: Jäger in einem Wald von Ferrrieres in Pontcarre, Frankreich
Paris taz | Etwas länger als ein Jahr ist es her: Der 25-jährige Morgan
Keane war gerade dabei, vor seinem Haus in Calvignac im Südwesten
Frankreichs Holz zu spalten, als er von einer Kugel eines Jägergewehrs
getroffen wurde, die eigentlich für ein Wildschwein bestimmt war. Am 2.
Dezember 2020 starb der junge Brite. Was für die zur Verantwortung
gezogenen Jäger einen bedauerlichen Unfall darstellt, ist zum Anlass einer
hochpolitischen Kontroverse geworden, die jetzt auch in die beginnende
Debatte der Präsidentschaftswahl Einzug hält.
Denn mehr als eine Millionen Bürger haben in Frankreich einen Jagdschein.
Bei den kommenden Präsidentschaftswahlen am 10. April 2022 wollen sie
mitreden und ihre Rechte verteidigen. Die Jagd bleibt für sie ein Symbol
der Identität, eine unantastbare Tradition in einem ländlichen Raum, der
von Verstädterung und Globalisierung bedroht wird. Ganz anders sehen dies
Frankreichs Tierschützer und nun auch die Grünen, die mit der Forderung
eines Jagdverbots an Wochenenden mit wachsendem Echo Wahlkampf machen. Die
bislang so mächtige Jägerlobby gerät in die Defensive.
Anlass für die Forderung der Grünen war eine Petition, die von den Freunden
und Nachbarn von Keane initiiert wurde. Sie wollten sich weder mit den
Entschuldigungen des örtlichen Jägerverbands noch mit der Aussicht auf eine
Gerichtsverhandlung dieses Jahr begnügen. In der Petition werden strengere
Kontrollen und ein Jagdverbot am schulfreien Mittwoch und am Sonntag
verlangt. Eine Kommission des französischen Senats befasst sich nun
ebenfalls mit diesem Anliegen. Mittlerweile haben die Petition mehr als
120.000 Leuten unterzeichnet.
Die Jäger haben in Frankreich eine starke Lobby: Noch bei den
Präsidentschaftswahlen von 2002 erhielt der Kandidat der Partei Chasse,
Pêche, Nature et Traditions (CPNT), Jean Saint-Josse, immerhin 4,23 Prozent
(1,2 Millionen Stimmen). Dieses Jahr stellen die Jäger keinen eigenen
Bewerber auf, doch die meisten Parteien möchten die Jägerlobby trotzdem
nicht verärgern. Auch nicht der amtierende Staatspräsident [1][Emmanuel
Macron:] Er pflegt seit 2017 Kontakte zu den Verbandsverantwortlichen. Als
Zeichen seiner Sympathie hat er die Gebühren für den Jagdschein halbiert,
angeblich, um den nötigen Nachwuchs zu fördern.
Diese mehrheitlich konservativ eingestellte Wählerschaft, die längst nicht
nur in ländlichen Bezirken lebt, wird von rechts und links umworben. Für
sie ist die Jagd mehr als eine Freizeitbeschäftigung, sie wird als
historische Errungenschaft aus der Zeit der Französischen Revolution von
1789 betrachtet, als das Jagdprivileg der Aristokraten abgeschafft wurde.
Darum interpretieren sie die Verteidigung der Jagd als Kampf für ihre
Rechte und ihre Identität.
400 Menschen bei Jagdunfällen gestorben
Doch in Frankreich werden immer mehr kritische Stimmen laut, die ein Verbot
der Hetzjagd mit Hunden zu Pferd sowie vor allem neue Regeln zum Schutz der
Bevölkerung verlangen. Die Gegner der Jagd machen die häufigen und oft
dramatischen Unfälle zum Ausgangspunkt einer demokratischen Debatte im
umgekehrten Sinne: Die Rechte und Freiheiten, die bisher den Jägern im
Namen der Tradition und der Regulierung der Wildtierarten eingeräumt
wurden, bedrohen im Gegenteil die Freiheit und Sicherheit der anderen
Mitbürger*innen. Wenn nämlich die Jäger auf der Pirsch sind, wird es in den
Wäldern und auf Naturpfaden für Wanderer und Freizeitsportler oder selbst
Anwohner gelegentlich lebensgefährlich.
Wie die Petition für das Jagdverbot geltend macht, ist Keane bei Weitem
kein Einzelfall. In den letzten 20 Jahren sind gemäß ihrer Statistik mehr
als 400 Menschen bei solchen „Unglücksfällen“ gestorben, und jedes Jahr
werden der Gendarmerie mehr als 150 nennenswerte Zwischenfälle gemeldet.
Allein in der laufenden Jagdsaison sind laut der behördlichen Zählung des
staatlichen Office français de la Biodiversité bereits sieben Menschen ums
Leben gekommen.
In der überwiegenden Mehrheit sind die Opfer selbst Jäger oder andere
Jagdteilnehmer, die trotz verschärfter Vorsichtsmaßnahmen mit einem Wild
verwechselt oder von einem verfehlten oder versehentlich abgegebenen Schuss
getroffen wurden. Immer wieder sind die Opfer aber auch völlig
Unbeteiligte. Am 28. Oktober wurde etwa in dem französischen Département
Haute-Savoie ein Spaziergänger von einem Schuss am Gesicht schwer verletzt.
Die Idee eines Jagdverbots schockiert die Jäger, die darin einen Angriff
der städtischen Öko-Bourgeoisie auf ihre Freiheit sehen. Sie protestieren:
„Denkt jemand ernsthaft daran, am Wochenende das Autofahren zu verbieten,
bloß weil es auf der Straße Unfälle gibt?“, fragt etwa ein von dem Magazin
L’Obs zitierter Jäger. Der nationale Jägerverband FNC (Fédération Nationa…
des Chasseurs) argumentiert, dass die Zahl der gravierenden Unfälle von
Jahr zu Jahr abnehme.
Tatsache ist aber, dass sich Leute, die neben den Jagdrevieren wohnen, mehr
denn je über Jäger beschweren, die ohne Zustimmung ihre Grundstücke
betreten, wozu sie allerdings außer durch explizites Verbot gesetzlich
berechtigt sind, oder sogar dort in der Gegend herumschießen.
Der Kandidat der grünen Europe Écologie-Les Verts, Yannick Jadot, hat sich
als Erster die Forderung eines jagdfreien Sonntags zu eigen gemacht. Auch
die Rechtsextreme Marine Le Pen vom Rassemblement National gefällt sich in
der Rolle einer Katzenhalterin, die sich lieber wie Brigitte Bardot für die
Sache der Tiere als für die Hetzjagd auf Füchse engagiert. Andere
Kandidaten zögern noch, oder sie posieren ungeniert mit dem derzeitigen
Vorsitzenden des Jägerverbands, Willy Schraen, der seinerseits alles
unternimmt, um in der Kampagne seinen Einfluss dort zu verteidigen, wo man
ihm Gehör schenkt.
Fast philosophisch meint der Vorsitzende aus Nordfrankreich: „Unser Problem
ist es, dass wir überall Feinde haben, aber unsere Chance ist es, überall
auch Freunde zu haben.“ Auf welche Seite das Pendel der Gunst im April 2022
schwenkt, weiß auch er noch nicht. Unbedingt vermeiden möchte er indes,
dass seine Jäger bei den Wahlen zu Gejagten werden.
13 Jan 2022
## LINKS
[1] /Macron-im-Wahlkampfmodus/!5823674
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Frankreich
GNS
Jagd
Emmanuel Macron
Schwerpunkt Coronavirus
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Emmanuel Macron
## ARTIKEL ZUM THEMA
Coronapandemie in Frankreich: Fast eine Impfpflicht
In Frankreich wird der sogenannte Gesundheitspass zum Impfausweis. Ein
negativer Test genügt künftig nicht mehr, um ein Café oder Kino zu
besuchen.
Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Der Hassprediger von Paris
Éric Zemmour verlangt, muslimische Vornamen zu verbieten, Einwanderung zu
stoppen und Kopftücher zu bannen. Tausende Anhänger hängen an seinen
Lippen.
Präsidentschaftskandidatur in Frankreich: Eine Frau, die macht
Die Exministerin Pécresse tritt als erste Frau für die Konservativen zur
Präsidentschaftswahl an. Sie will „Macrons schlimmster Albtraum werden“.
Konservative Kandidatin in Frankreich: Balanceakt mit Absturzrisiko
Frankreichs Konservative wollen mit Valérie Pécresse den Élysée erobern.
Die 54-Jährige konnte sich gegen einen rechten Hardliner durchsetzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.