# taz.de -- Arbeiter auf den französischen Antillen: Anerkennung von Pestizid-… | |
> Frankreich erkennt Prostatakrebs bei Arbeitern auf Bananenplantagen | |
> fortan als Berufskrankheit an. Diese können nun Entschädigung beantragen. | |
Bild: Geerntete Bananen auf einer Plantage in Martinique | |
PARIS taz | Egal ob bio, fair gehandelt oder in der kleinen rosa Variante: | |
Viele Bananen in französischen Supermärkten kommen von den Antilleninseln | |
[1][Martinique und Guadeloupe]. Die Südfrüchte sind zwar ein wichtiges | |
Exportgut für die Übersee-Départements, haben dort aber auch ein giftiges | |
Erbe hinterlassen. Um Insekten wie den Rüsselkäfer zu bekämpfen, setzten | |
die Bauern jahrzehntelang das hochgiftige Pestizid Chlordecon ein, und zwar | |
auch noch zu einem Zeitpunkt, an dem es in Kontinentalfrankreich und den | |
USA bereits verboten war. Die Folge: Die Prostatakrebsrate ist auf | |
Martinique und Guadeloupe so hoch wie nirgendwo anders auf der Welt. | |
Vor Weihnachten erkannte die französische Regierung Prostatakrebs für die | |
Bananenbauern deshalb als Berufskrankheit an. Damit können die Betroffenen | |
Entschädigung beantragen, wenn sie dem Gift mindestens zehn Jahre | |
ausgesetzt waren und zwischen dem Kontakt mit dem Pestizid und der | |
Krebsdiagnose weniger als 40 Jahre liegen. Mehr als 90 Millionen Euro | |
stellte die Regierung dafür bereit. Schon 2018 hatte [2][Präsident Emmanuel | |
Macron] bei einem Besuch auf den Antillen von einem „Umweltskandal“ | |
gesprochen. Es war ein verstecktes Schuldeingeständnis, denn der Staat war | |
laut einem 2019 veröffentlichten Parlamentsbericht der „erste | |
Verantwortliche“ der Chlordecon-Verseuchung auf den Karibikinseln. | |
Zwischen 1972 und 1993 wurde das [3][Pestizid] auf den Bananenplantagen in | |
Martinique und Guadeloupe eingesetzt. Tausende Hektar Boden sind verseucht, | |
das Wurzelgemüse dort ist ungenießbar – und zwar für mehrere Jahrhunderte. | |
90 Prozent der Bewohner der beiden Inseln tragen das Gift in sich. Der | |
Skandal führte auf den französischen Antillen zu einem tiefen Misstrauen | |
gegen die Zentralregierung, das sich in einer extrem niedrigen Impfquote | |
gegen Covid-19 auf Martinique und Guadeloupe zeigt. | |
Die zuständige Kommission im Landwirtschaftsministerium hatte schon 1969 | |
gewarnt, dass Chlordecon die Umwelt vergiften könne. Dennoch erteilte sie | |
eine vorläufige Genehmigung, das Pestizid zu nutzen, die immer wieder | |
verlängert wurde. Erst 1993 – drei Jahre nach Kontinentalfrankreich – wurde | |
das Gift auf den Antilleninseln verboten. | |
## Kein Unfall, sondern ein Verbrechen | |
2005 kam ein Parlamentsbericht erstmals zu dem Schluss, dass das | |
Grundwasser von Guadeloupe und Martinique hundertmal mehr Chlordecon | |
enthielt als eigentlich erlaubt. Fünf Jahre später ergab eine Studie des | |
Journal of Clinical Oncology, dass das Prostatakrebs-Risiko bei Menschen, | |
die mit Chlordecon arbeiteten, deutlich erhöht ist. Dennoch dauerte es bis | |
2018, bis Macron von „kollektiver Blindheit“ sprach, die für den | |
jahrzehntelangen Einsatz des Gifts verantwortlich gewesen sei. | |
„Der Chlordecon-Skandal ist kein Unfall, sondern ein Verbrechen riesigen | |
Ausmaßes“, kommentierte die Zeitung Le Monde im vergangenen Jahr. Den | |
Gewerkschaften auf den Antillen, die seit Jahren für Entschädigungen | |
demonstrieren, geht die Anerkennung von Prostatakrebs als Berufskrankheit | |
nicht weit genug. Sie fordern, die verseuchten Böden zu entgiften und nicht | |
nur Bananenbauern, sondern auch andere Giftopfer zu entschädigen. So kann | |
das Pestizid auch andere Krebserkrankungen hervorrufen, bei Schwangeren zu | |
Frühgeburten führen und die Entwicklung von Babys beeinträchtigen. | |
11 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christine Longin | |
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