# taz.de -- Erzbischof Desmond Tutu ist tot: Südafrikas moralischer Wächter | |
> Desmond Tutu war während der Apartheid Südafrikas prominenteste schwarze | |
> Stimme in Freiheit. Nun ist er im Alter von 90 Jahren gestorben. | |
Bild: Desmond Tutu, 2007 | |
BERLIN taz | Er war der letzte der großen Helden Südafrikas, die dem Kampf | |
gegen Apartheid eine weltweit geachtete moralische Statur verliehen. Der | |
Tod von Erzbischof Desmond Tutu am 26. Dezember in Kapstadt im Alter von 90 | |
Jahren ist, wie es Präsident Cyril Ramaphosa in seiner [1][Trauerbotschaft] | |
sagt, „ein weiteres Kapitel des Verlustes im Abschied unserer Nation von | |
einer Generation herausragender Südafrikaner, die uns ein befreites | |
Südafrika hinterlassen haben.“ Lindiwe Sisulu, Tochter des 2003 | |
verstorbenen Mandela-Mitstreiters Walter Sisulu, drückt es einfacher aus: | |
„Er hat den Lauf der Geschichte verändert“, [2][twittert sie]. „Er lehrte | |
uns die Kraft von Frieden und Versöhnung.“ | |
Während Nelson Mandela, Walter Sisulu und die anderen Führer des verbotenen | |
Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) auf der Gefängnisinsel Robben Island | |
weggesperrt waren, war Tutu die prominenteste öffentliche Stimme des | |
schwarzen Widerstandes gegen die weiße Minderheitenherrschaft und den | |
rassistischen Alltagsterror. Für den weißen Präsidenten P.W. Botha war er | |
der „Volksfeind Nummer eins“. Für Südafrikas Schwarze war er der Inbegriff | |
von Furchtlosigkeit. | |
In seinen Bischofsroben führte er illegale Protestmärsche von Zehntausenden | |
an und sprach auf den gigantischen, ebenfalls illegalen Trauerfeiern | |
getöteter Widerständler. „Würde Christus heute nach Südafrika zurückkehr… | |
würde man ihn sicher unter den Sicherheitsgesetzen festnehmen, wegen seiner | |
Sorge um die Armen, die Hungrigen und die Unterdrückten“, predigte er. Auf | |
der Beerdigung des 1977 ermordeten Antiapartheidaktivisten Stephen Biko | |
predigte er: „Betet für die Herrschenden in diesem Land, für die Polizei, | |
vor allem die Sicherheitspolizei und die im Gefängnisdienst, auf dass sie | |
begreifen, dass auch sie Menschen sind.“ | |
Es waren solche Worte, die Tutu für das Apartheid-Terrorregime so | |
gefährlich machten: Er ließ sich nicht in die Terror- und Kommunismus-Ecke | |
drängen, er hatte mit Gewalt nichts zu schaffen, er wandte den christlichen | |
Glauben gegen ein Regime, das sich selbst für eine christliche Bastion in | |
Afrika hielt. Er machte den Menschen Mut, indem er selbst mutig war. 1984 | |
erhielt er den Friedensnobelpreis und trat dafür ein, das weiße Südafrika | |
mit scharfen Sanktionen in die Knie zu zwingen. | |
Vielleicht wäre das alles nie geschehen, wenn ein großes weißes Vorbild | |
nicht die Türen geöffnet hätte. Der britische weiße anglikanische Priester | |
Trevor Huddleston, seit 1943 in Johannesburg tätig, öffnete Schwarzen das | |
Priesterseminar und eine damit verbundene Oberschule, auf die auch der 1931 | |
als Sohn eines Lehrers und einer Putzfrau geborene, in der Kindheit an | |
Polio erkrankte Desmond ging. Tutu erinnerte sich später an das prägende | |
Erlebnis, dass der Weiße Huddleston vor seiner schwarzen Mutter den Hut zog | |
– so was hatten sie noch nie erlebt. Bei der Priesterausbildung in London | |
erfuhr Tutu in den 1960er Jahren zum ersten Mal, wie Gleichberechtigung | |
aussieht: Polizisten sprachen höflich mit ihm, in Warteschlangen drängelten | |
sich Weiße nicht vor ihn, er konnte Konzerte besuchen. | |
Als Tutu 1967 in die Heimat zurückkehrte, war sein weiterer Weg klar. Er | |
stieg in der weiß dominierten, aber mit der Apartheid nicht einverstandenen | |
anglikanischen Kirche auf und wurde der erste schwarze Dekan der Kathedrale | |
von Johannesburg, Generalsekretär des Kirchenrates des Südlichen Afrika und | |
schließlich [3][1986 Erzbischof von Kapstadt]. Das machte ihn zur | |
mächtigsten weltweit gehörten schwarzen Stimme Südafrikas in den letzten | |
Jahren der Apartheid, bevor 1990 Nelson Mandela freikam. | |
Sein tiefer Glaube war die Grundlage seiner Unerschrockenheit. Der Mensch, | |
predigte Erzbischof Tutu, ist der Agent Gottes auf Erden und seine Aufgabe | |
ist es, Gutes und Richtiges zu tun. Das begründet für ihn die Legitimität | |
von Widerstand gegen Unrecht und die Solidarität mit Opfern von | |
Unterdrückung, wie es eines seiner bekanntesten Zitate formuliert: „Wenn du | |
gegenüber Ungerechtigkeit neutral bist, hast du die Partei des | |
Unterdrückers ergriffen. Wenn ein Elefant auf einem Mäuseschwanz steht und | |
du sagst, du bist neutral, wird die Maus deine Neutralität nicht schätzen.“ | |
Tutu soll für das „neue Südafrika“ den Begriff „Regenbogennation“ erf… | |
haben. Südafrikanische Medien korrigieren: Auf der Beerdigung des 1993 von | |
einem weißen Rechtsextremisten ermordeten schwarzen Kommunistenführers | |
Chris Hani, als die Überwindung der Apartheid in einen Bürgerkrieg | |
umzukippen drohte, predigte der Erzbischof: „Wir sind das Regenbogenvolk | |
Gottes. Wir marschieren in die Freiheit, Schwarz und Weiß gemeinsam“. | |
Nach Südafrikas ersten allgemeinen Wahlen 1994, als Mandela Präsident | |
wurde, leitete Desmond Tutu die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC), | |
die Verbrechen während der Apartheidzeit aufarbeitete. In dieser Funktion | |
erlebte ihn Südafrikas Öffentlichkeit als die moralische Stimme, die er | |
während der Apartheid international gewesen war. | |
Er litt da schon an Prostatakrebs, aber auch nach Ende der TRC-Arbeit 1998 | |
bereiste er unermüdlich die Welt und übte Solidarität mit anderen | |
Unterdrückten, von Aung San Suu Kyi in Myanmar bis zu den Palästinensern | |
unter der israelischen Besatzung, die er als Apartheid bezeichnete. | |
2010 zog sich der mittlerweile 79-jährige Tutu ins Privatleben zurück. Er | |
wolle nicht mehr den Großteil seiner Zeit in Hotels und Flughäfen | |
verbringen, sondern im Kreis der Familie „lesen und schreiben, beten und | |
denken“, sagte er. Aber ganz [4][verstummte er nie]. Er wurde ein scharfer | |
Kritiker von Korruption und Machtmissbrauch im ANC und erklärte sogar, er | |
könne die alte Befreiungsbewegung nicht mehr wählen. | |
Bis zum Schluss blieb Tutu der ständige Mahner, der Südafrika aufforderte, | |
„das Richtige zu tun“, wie er es ausdrückte – zum Beispiel sich gegen | |
Covid-19 impfen zu lassen. | |
Aber in Erinnerung bleibt Desmond Tutu seinem Land nicht einfach als | |
Prediger. Südafrika liebt ihn vor allem wegen seines Mutes, seiner | |
Zuversicht und vor allem wegen seines Humors, südafrikanisch derb und oft | |
unübersetzbar. Sein Tanzen in violetten Bischofsroben ist legendär | |
geworden, sein lautes, ansteckendes, kicherndes Lachen, seine oft | |
anzüglichen Sprüche. | |
Um einen Nobelpreis zu bekommen, erklärte er einmal einem Kind, muss man | |
„einen einfachen Namen haben, Tutu zum Beispiel, eine große Nase und sexy | |
Beine“. Als er in hohem Alter ein Kinderbuch veröffentlichte, erklärte er | |
bei der Buchvorstellung, wie er sich seinen Tod vorstellt: Er klopft beim | |
Himmel an, aber Petrus weist ihn ab und schickt ihn an „einen wärmeren | |
Ort“; nach ein paar Tagen kommt Satan zu Petrus und bittet um Schutz für | |
sich selbst vor seinem Neuzugang in der Hölle. | |
Jetzt wird Südafrika gespannt sein, wie das wirklich ausgeht. Tutu starb | |
friedlich zu Hause um 7 Uhr am Sonntagmorgen, gab seine Familie bekannt. | |
Das Land hat mit ihm eine unersetzliche Autorität verloren, wie Präsident | |
Ramaphosas [5][Trauerbotschaft] anerkennt: „Möge seine Seele in Frieden | |
ruhen, aber sein Geist über die Zukunft unserer Nation wachen.“ | |
26 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.thepresidency.gov.za/press-statements/statement-passing-archbis… | |
[2] https://twitter.com/LindiweSisuluSA/status/1475041613441294341 | |
[3] /!1878063/ | |
[4] /!364102/ | |
[5] https://www.thepresidency.gov.za/press-statements/statement-passing-archbis… | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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