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# taz.de -- Die Selbstauskunft beim Online-Dating: Wo endet eigentlich Vanilla-…
> Sich selbst sehr männlich lesende Personen machen in ihren „Profilen“
> gerne mal klar, wo der Hammer hängt. Fehlt es denen oder mir an Fantasie?
Bild: Manche wollen immer nur das eine: Schokoladeneis oder dominant sein beim …
Mit meiner Friseurin [1][spreche ich ja über alles], nur über eins nicht:
meine sexuellen Fantasien. Das liegt nicht daran, dass deren Umsetzung
strafbewehrt wäre oder es selbst mir zu peinlich ist, sie laut
auszusprechen. Ich glaube nicht, dass Jessi auch nur mit der Wimper zucken
würde, wenn ich ihr verriete, dass ich von veganem Sex träume oder mir
vorstelle, wie mir zwölf queere Leder-Schlümpfe beim Masturbieren zusehen,
während ich die Neujahrsansprache von Olaf Scholz verfolge.
Nein, der Grund ist viel banaler: Ich habe keine. Jedenfalls keine, bei
denen das Drehbuch mehr enthält als die handelnden Personen und den Ort des
Geschehens. Manchmal denke ich nach, ob mir nicht noch etwas einfallen
will, oder ob ich gar etwas verdränge. Schlümpfe, Leder, Scholz? Nur ein
spontaner Einfall oder Hinweis auf Retrosex-Gelüste?
Vielleicht kann ich einfach nicht gut abstrahieren. Wenn meine Kinder mich
fragen, was mein Lieblingsessen ist, bin ich ähnlich ratlos. Würden sie
mich in dem Moment fragen, in dem wir beim Italiener vorbeigehen und ich
den Geruch von Oregano auf zerlaufenem Mozzarella in die Nase bekäme, würde
ich sehr wahrscheinlich „Pizza“ sagen. Stünde sie vor mir, wäre es die
Buddha Bowl von Noras Deli im Bremer Viertel oder Lammkeule, weil Ostern
ist und meine Mutter gekocht hat. Aber so völlig aus dem Zusammenhang
gerissen fehlt es mir an kulinarischer oder sexueller Fantasie.
Auf die Idee, dass da noch mehr sein müsste, bin ich nach intensivem
Studium von so genannten „Profilen“ auf Dating-Portalen gekommen. Ja, auch
ich habe mich schon in der bunten Welt des Online-Datings herum getrieben,
mit einigem Gewinn, und ich werde den Teufel tun und hier irgendetwas
ausplaudern über die, die ich dort kennengelernt habe.
## Dominant auf dem Sofa im Kolonialstil
Dazu sind wir dort alle viel zu nackt – im übertragenen Sinne, ich tindere
nicht – und wer sich mit Menschen verabredet, die ihre Lebensmitte
überschritten haben, muss sich darauf einstellen, dass auch die bereits
einiges erlebt haben. Diese geballte Portion Schicksal ist und bleibt
privat.
Es gibt dort aber sich selbst sehr männlich lesende Personen, die das
Bedürfnis haben, in ihrer Selbstbeschreibung klar zu machen, wo der Hammer
hängt und immer hängen bleiben wird. Das kann jede und jeder, die und der
sich dort mit oder ohne Foto anmeldet, lesen, und daher halte ich es für
vertretbar, das öffentlich zu machen.
Er sei „dominant im Bett“, schrieb einer, und wahrscheinlich ist er das
auch auf dem Fußboden, dem Küchentisch oder dem Sofa im Kolonialstil. Das
sei ihm wichtig mitzuteilen, damit er keine Erwartungen wecke, die er nicht
halten kann. Er drückte das anders aus, aber ich kann den Wortlaut nicht
nachschauen, aus Gründen. Immerhin fügte der Domino hinzu, dass „Vanilla“
auch mal okay sei.
Meiner Friseurin muss ich nicht erklären, dass das nichts mit Eiscreme zu
tun hat, Jessi liest dasselbe Internet wie ich. „Blümchen-Sex“ sagte man
früher, aber das klingt nach Rheumadecke und Langeweile und Vanilla mehr so
nach Lifestyle, nach einer Entscheidung wie für eine Sportart oder ein
Hobby.
Ich verstehe nur gar nicht genau, was das heißt. Gibt es dann entweder
„dominant“ oder „Vanilla“? Wo beginnt das eine und hört das andere auf?
[2][Will der nie etwas anderes als das, was er kennt?] So wie ich selten
etwas anderes als Schokoladeneis bestelle und niemals Banane? Und hat das
alles überhaupt etwas mit Fantasie zu tun – beziehungsweise: Was ist
Fantasie? Mit F oder Ph? Und wenn Freud doch recht hatte mit seiner
dämlichen Behauptung, nur der und die Unbefriedigte fantasiere – dann
müsste ja auch ich Fantasien haben, weil ich tatsächlich nicht rund um die
Uhr bekomme, was ich will.
Ich besorg’ mir mal die Neujahrsansprache. Irgendwer wird die schon auf VHS
aufgenommen haben.
5 Jan 2022
## LINKS
[1] /Leben-als-weiblich-gelesene-Person/!5809086
[2] https://www.zeit.de/zett/liebe-sex/2018-06/warum-maenner-sich-trauen-sollte…
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Kolumne Beim Friseur
Sexualität
Sex
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Feminismus
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Geburt
Gender
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