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# taz.de -- Impfkampagne in Indien: Geboostert wird nur unter der Hand
> In Indien lassen sich seit Entdeckung der Coronavariante Omikron wieder
> mehr Menschen impfen. Boosterwillige und Minderjährige müssen noch
> warten.
Bild: Mobiles Team impft eine Bäuerin am Feldrand beim westindischen Ahmedabad…
Mumbai taz | Es ist eigentlich ein ruhiger Nachmittag in Mumbais ehemaliger
Fischersiedlung Sion Koliwada. Doch vor dem lokalen Frauenzentrum, das nur
aus einem Raum mit ein paar Tafeln, Tischen und Stühlen besteht, hat sich
eine Menschentraube gebildet. Seit dem Morgen steht hier
Gesundheitspersonal bereit, um den Anwohner*innen eine einfache Impfung
gegen das Coronavirus zu ermöglichen.
„Ich habe gestern davon erfahren“, sagt der 19-jährige Schüler Sahil, der
für seine Zweitimpfung gekommen ist. In Indien wird sie für den Impfstoff
Astrazeneca (hier als Covishield bekannt) erst 84 Tage nach der Erstimpfung
verabreicht.
Nicht wenige nehmen es in Indien aber nicht mehr so ernst, sich um den
zweiten Impftermin zu bemühen, nachdem die Ansteckungen und
Sars-CoV-2-Virus-bedingte [1][Todesfälle] von landesweit über 4.000 im Mai
2021 auf derzeit unter 400 am Tag stark zurückgegangen sind.
Deshalb greifen Kommunen und private Gesundheitsdienstleister jetzt auf
lokale Lösungen zurück. So wurde unter anderem erlaubt, dass Impfteams von
Haus zu Haus gehen und quasi an der Haustür impfen. Doch werden solche
Impfungen meist nur durchgeführt, wenn die Bewohner*innen immobil sind.
## Impfcamp im Armenviertel
So haben im Stadtteil Sion Koliwada in den vergangenen Tagen
Sozialarbeiter*innen an Haustüren geklopft, um den Bedarf an einem
lokalen Impfcamp abzuklären, berichtet Sharmila Gimonkar von der Mumbaier
Slumorganisation [2][Sparc].
Von diesem Camp profitierte Sahil. Denn so wird er in zwei Wochen wieder
die S-Bahn benutzen können, weil er dafür einen Impfnachweis braucht.
Nachdem er den Piks gut vertragen hat, kommt er jetzt noch einmal mit
seiner Mutter vorbei, um sie zum Impfen zu begleiten. Mit solchen
Initiativen sollen auch Frauen angesprochen werden, die sonst kaum das Haus
verlassen.
„Einige Frauen sind weiterhin verunsichert, ob sie die Impfung nehmen
können, wenn sie ihre Periode haben oder stillen“, sagt die Ärztin Aamina
Hamdule vom Surana Krankenhaus, die vor Ort den Überblick hat. Die
Monatsblutung sei kein Problem, erklärt sie, beim Stillen würde sie aber
warten.
Hamdule arbeitet für ein Privatkrankenhaus in Mumbai, das Unternehmen und
Nichtregierungsorganisationen zusammenbringt. Bezahlt werden die Impfdosen
hier aus einem Topf für soziale Aktivitäten. In den müssen Großunternehmen
einzahlen, abhängig von ihrem Jahresgewinn in Indien. Bevor es hier aber im
großen Stil zu Boosterimpfungen kommt, sollen erst mal die Erst- und
Zweitimpfungen vorangetrieben werden.
## Über 500 Millionen doppelt geimpft
Über eine halbe Milliarde Inder*innen sind inzwischen doppelt geimpft,
was 36 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, und nur 822 Millionen
einmal. Mumbais Impfbeauftragte und Epidemiologin Sheela Jagtap bestätigt
der taz, dass seit Ende November die Zahl der Impfungen in der Stadt wieder
steige. Indienweit sei der Trend ähnlich.
Verimpft werden vor allem die im [3][Serum Institute of India (SII) in
Pune] hergestellten Dosen, das keine 200 Kilometer von Mumbai entfernt ist.
Adar Poonawalla, Geschäftsführer des weltgrößten Impfstofflieferanten,
kündigte kürzlich an, dass er die Produktion des indischen
Astrazeneca-Impfstoffs von 250 Millionen Dosen pro Monat auf knapp die
Hälfte reduzieren werde. Denn das Vakzin Covishield sei nur 6 Monate
haltbar.
Laut indischen Medienberichten sind die nationalen Bestände aber derzeit
voll. Man habe mehr als die 1,8 Milliarden Impfdosen, die nötig seien, um
die 950 Millionen anspruchsberechtigten Erwachsenen vollständig zu impfen,
heißt es vonseiten des Impfgremiums NTAGI.
Dies fällt damit zusammen, dass Indiens Regierung bisher öffentlich keine
Boosterimpfungen empfiehlt. Diese Drittimpfungen gibt es bisher nur unter
der Hand. „Da die Omikron-Fälle nicht nur in Indien, sondern auf der ganzen
Welt gering sind, sollte es keine reflexartige Reaktion geben“, meint
Samiran Panda vom Indischen Rat für medizinische Forschung (ICMR). Das SII
wartet deshalb weiter auf die Genehmigung zur Verabreichung einer dritten
Dosis. Die Nachfrage nach Auffrischungen steige und Impfstoff sei
ausreichend vorhanden, heißt es.
Das SII hat bisher 1,3 Milliarden Impfstoffdosen ausgeliefert. Es stehen
noch weitere 122 Millionen Dosen an die internationale Impfallianz Covax
aus. Die Auslieferung verzögerte sich auch deshalb, [4][weil Indiens
Regierung im April den Export stoppte], nachdem die zweite Coronawelle das
Land erreicht und seinen Eigenbedarf erhöht hatte. Kürzlich gingen die
ersten Exporte nach einem halben Jahr an Nepal, Bangladesch, Mosambik und
Tadschikistan.
## Zurückhaltung bei Impfungen von Kindern
Die Regierung macht mit Einschränkungen für Ungeimpfte Druck, dass sich
mehr Menschen gegen Covid-19 immunisieren lassen. Doch Eltern sind derzeit
trotz der kürzlichen Schulöffnungen zögerlich, weil es noch keine
Impfempfehlung für Kinder gibt. Zugleich herrscht Angst vor Ansteckungen im
Unterricht. Derzeit laufen in Indien fünf klinische Studien für Impfstoffe
für Kinder und Jugendliche.
In Mumbai und anderen Regionen wurden nun strengere Coronaregeln
eingeführt. Seit dem Wochenende werden Großveranstaltungen eingeschränkt,
es gibt ein Versammlungsverbot für mehr als fünf Personen. Die Schulen
öffneten dagegen wieder für alle. Doch viele Eltern werden wohl noch auf
eine Impfung für ihre Kinder warten, bis es klare Empfehlungen gibt. Die
Eltern von Sahil aus Sion Koliwada dürften dagegen keine großen Bedenken
mehr haben.
17 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.worldometers.info/coronavirus/country/india/
[2] http://sparcnirman.org/
[3] /Impfkampagne-gegen-Corona/!5745304
[4] /Corona-Impfstoff-fuer-arme-Laender/!5757319
## AUTOREN
Natalie Mayroth
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