# taz.de -- Literaturmensch über seine Arbeit: „Man muss Literatur verpacken… | |
> Der Hamburger Verleger Lou Probsthayn hofft, dass der Autor in ihm | |
> zurückkommt. Ein Gespräch über Wellblechhütten, zahme Ratten und kleine | |
> Formate. | |
Bild: Hat seine Berufe autodidaktisch erlernt: Der Hamburger Verleger und Autor… | |
taz: Herr Probsthayn, ich habe gesehen, Sie haben einen Wikipedia-Eintrag … | |
Lou Probsthayn: … für den ich nicht verantwortlich bin und ich weiß auch | |
nicht, wer den für mich eingestellt hat. Ich pflege ihn jedenfalls nicht. | |
Darin steht: Sie sind 1960 in Ost-Berlin geboren. | |
Das ist richtig, und schon als ich die ersten Publikationen | |
veröffentlichte, habe ich in meine Vita geschrieben: „Flüchtete im Alter | |
von drei Monaten von Ost-Berlin in den Westen.“ Ich habe das geschrieben, | |
weil ich Mitte der 1980er-Jahre in Ost-Berlin Lesungen hatte. Im | |
Untergrund, sprich: um die Gruppe von Sascha Anderson herum, dem damaligen | |
Vorzeige-Lyriker und späteren Verräter der Autoren, weil er | |
Stasi-Mitarbeiter gewesen war. Ich war immer ein bisschen verärgert, dass | |
alle Autoren, die aus dem Osten kamen, schnell Stipendien bekommen haben | |
und mit Preisen bedacht wurden, also dachte ich: Du musst dringend in deine | |
Vita diese Ost-Vergangenheit setzen. | |
Wo ging es nach den drei Monaten hin? | |
Ich bin sofort Hamburger geworden. Wobei meine Mutter nicht aus politischen | |
Gründen ausgewandert ist, sondern eher aus wirtschaftlichen Gründen. Wir | |
haben zuerst in einem dieser halb aufgeschnittenen Häuser gewohnt, die wie | |
halbe Tonnen aussahen … | |
In einer Wellblechhütte? | |
Ja, genau. Meine Mutter war die ersten Monate als Schallplattenverkäuferin | |
tätig, das war nur ein Brotjob, weil sie in der damaligen DDR tatsächlich | |
Balletttänzerin war, im „Schwanensee“ aufgetreten ist und Klavier gespielt | |
hat. In Hamburg musste sie dann bei null starten, wobei ich daran keine | |
eigenen Erinnerungen habe. | |
Wann setzen Ihre Erinnerungen ein? | |
Als wir nach Hamburg-Bramfeld zogen, wo ich groß geworden bin. Im | |
Hannenstieg, da gab es so Minimal-Reihenhäuser, oben wohnte eine Familie | |
und unten wohnte eine, je anderthalb Zimmer, aber die Häuser waren wie ein | |
Reihenhaus aufgemacht. Ich weiß noch, dass ich damals kein eigenes Zimmer | |
hatte, sondern mir mit meiner Mutter das Schlafzimmer geteilt habe. Man | |
muss wissen: Mein eigentlicher Vater hat die Flucht ergriffen, nachdem er | |
merkte: „Oh, die Frau ist schwanger.“ Ich habe ihn nicht wirklich | |
kennengelernt. | |
Wie war das Aufwachsen in Hamburg-Bramfeld? | |
Bramfeld ist einer dieser No-Name-Stadtteile wie Berne oder Farmsen, die | |
alle irgendwie keinen Charakter haben. Ich bin jedenfalls froh, dass ich | |
Bramfeld entfliehen konnte. Wobei: Es gab in Bramfeld den ersten | |
Croque-Laden Hamburgs! Er existierte bis Kurzem, und da gab es die | |
„Croque-Monsieur“, die wirklich hervorragend waren. | |
Wie kam es zu Ihrem literarisch-künstlerischen Weg? Erste Schneisen in der | |
Kindheit und Jugend? | |
Nur bedingt. Wobei: Ich habe ja mehrere Väter, und mein erster Stiefvater, | |
der hat mich tatsächlich ein bisschen politisch geprägt und motiviert. Ich | |
habe sehr früh Marx gelesen und die Biografie von Che Guevara. Er war | |
jedenfalls derjenige, der mit Büchern umgegangen ist, und ich denke mal, er | |
hat da was freigetreten. | |
Um was ging es in Ihren ersten Texten? | |
In erster Linie ging es um das Thema „Einsamkeit“, um das Alleinsein. Mein | |
allererster Text, das weiß ich noch, ist in einer Zeitschrift erschienen, | |
die Herman van Veen herausgebracht hat. Pierrot hieß die. Der Text heißt | |
„Das Auge“ und es geht um einen Mann, der in seiner Wohnung durch den | |
Türspion hindurch permanent beobachtet, was im Treppenhaus passiert. Ich | |
bin danach über den Hamburger Schriftsteller [1][Gunter Gerlach] in die | |
Werbung gekommen, aber die Werbung hat mich damals fast psychisch | |
angegriffen, so dass es mir nicht so gut ging. | |
Was ist passiert? | |
Ich war Texter in einer sehr guten Agentur, sprich: damals eine der fünf | |
Größten. Das Prinzip war – und wahrscheinlich ist das heute noch so: Du | |
gehörst dieser Agentur, sie ist deine Family, und du bist nicht fünf Tage, | |
sondern sieben Tage da, und du wunderst dich, dass du noch ein eigenes | |
Zuhause hast, wenn du da mal hinkommst. Ich bin dann bald eingeknickt, habe | |
Panikattacken bekommen. Es ging überhaupt nichts mehr. Aber das hatte auch | |
sein Gutes, denn ich fing an, Geschichten über Menschen mit Angst zu | |
schreiben, habe dann 1990 meinen ersten Literaturpreis bekommen, für eine | |
Geschichte, die im damaligen Klinikum Ochsenzoll spielt: „Kreuzgang ohne | |
Glühbirnen“. Sie erzählt von zwei jungen Männern – damals war ich jung �… | |
die beobachten, was in der Aufnahmestation 32 C geschieht, und sie merken: | |
Hier gehören wir gar nicht hin! Aus dieser Beobachtung schöpfen sie Kraft | |
und gehen weg in ein normales, glückliches Leben. Das war schon ein | |
einschneidendes Erlebnis. | |
Haben Sie Literatur studiert? | |
Literatur und Kunstgeschichte. Wobei ich mir damals gewünscht habe, dass es | |
ähnlich wie heute in Leipzig und in Hildesheim die Möglichkeit geben würde, | |
Literatur praktisch zu studieren. So war es eher eine Art Sekundärstudium. | |
Ich war schon eifersüchtig, als ich endlich ein – in Anführungsstrichen – | |
etablierter Autor geworden war, einiges vorweisen konnte und alle durften | |
ganz handfest Schreiben studieren. Da dachte ich: Du bist zehn, fünfzehn | |
Jahre zu früh auf diese Welt gekommen. Andererseits kann ich sagen: Ich bin | |
Autodidakt und habe sowohl große wie kleine Verlage für meine Art der | |
Literatur gewinnen können. | |
Man kennt Sie in der Literaturszene auch als Veranstalter. Wie kam es dazu? | |
Es gab damals im Karolinenviertel die „Galerie Geheim“. Das war ein | |
Hotspot, wo sowohl Maler und Musiker, aber auch Autoren zusammenkamen. Ich | |
war da drei-, viermal die Woche. Es gab schon damals den Gedanken, dass | |
Literatur ein Problem damit hat, seine Inhalte zu transportieren. Und es | |
gab den einfachen Gedanken: Man muss über die Unterhaltung zu den Inhalten | |
kommen. Man muss Literatur also interessant machen, man muss sie verpacken, | |
um dann die Verpackung wegzuschmeißen, um auf die eigentlichen Inhalte zu | |
kommen. Gestartet sind wir mit der Lesung „Rats“ – in Anlehnung an das | |
Musical „Cats“, das damals so berühmt war. Es gab Texte über Ratten, und | |
die Ratten liefen auf der Lesung überall herum. | |
Waren es zahme Ratten? | |
Natürlich. | |
Und wie wurden Sie dann Verleger des „Literatur-Quickie“-Verlags? | |
Das war mehr Zufall, nachdem Gunter Gerlach und ich 2007 den | |
Literatur-Quickie gegründet haben, die kürzeste Literaturveranstaltung der | |
Welt in der Bar „439“ in Eimsbüttel. Es wurde um 22.30 Uhr gelesen, das | |
mitten in der Woche, jeder und jede hatte nur 15 Minuten Zeit zu lesen. Das | |
„439“ war auch noch verkehrstechnisch schlecht angebunden – also alles | |
keine guten Voraussetzungen, um Lesungen durchzuführen, doch der Laden war | |
jedes Mal voll. Wir haben kein Honorar gezahlt, sondern ein Hut ging rum | |
und man warf rein, was man zahlen wollte. Den Rekord hielt [2][Jasmin | |
Ramadan], die für ihre Viertelstunde 268 Euro einsammelte. Aber so 40, 50 | |
Euro haben auch die bekommen, denen man nicht ganz so gerne zugehört hat. | |
Sie verlegen Bücher in einem Format, dass an Pixie-Bücher erinnert. Wie | |
kam’ s? | |
Ein befreundeter Illustrator hat Bücher in einem ähnlichen Format | |
illustriert und hat sie mal als Geschenk für meine Kinder mitgebracht. Und | |
daraus entstand die Idee, Kurzgeschichten für Erwachsene anzubieten. Es war | |
mir ohnehin ein Anliegen, die Kurzgeschichte neu zu etablieren: Hemingway | |
kennen wir alle, und in den 70ern und 80ern fand man eigentlich in jedem | |
Magazin Kurzgeschichten, aber ab den 90ern starb die Kurzgeschichte aus. | |
Das kleine Format war eine Einladung, Kurzgeschichten zu erproben, es war | |
ein Experiment. | |
Wie waren die Reaktionen der Autoren? | |
Die waren und sind hervorragend! Ich habe gleich am Anfang Juli Zeh | |
dabeigehabt, Ulrike Draesner oder Friedrich Ani. Katrin Seddig ist jetzt | |
das vierte Mal dabei – und alle erwähnen diese Veröffentlichung auch in | |
ihren Vitas, sehen sie also nicht als Nebenbei-Produkt an, und das macht | |
mich natürlich stolz. | |
Lehnen Sie oft unaufgefordert eingesandte Kurzgeschichten ab? | |
Permanent! Weil: Alle haben irgendwann mal eine Kurzgeschichte geschrieben | |
und fühlen sich berufen zu denken, die könne man publizieren. Ich bekomme | |
Kurzgeschichten auch von Leuten zugeschickt, die zugeben, dass sie | |
eigentlich nur diese eine Kurzgeschichte geschrieben haben. Und es ist | |
tatsächlich so, dass ich nach drei, vier Sätzen weiß, ob mich das | |
interessieren könnte oder nicht. | |
Und? | |
Meist interessiert es mich überhaupt nicht. Es gab in all der Zeit nur | |
einen einzigen Treffer: eine Kurzgeschichte von einer ukrainischen Autorin | |
namens Irina Kilimnik, die eigentlich Ärztin ist. | |
Wo bleibt bei all dem Ihr eigenes Schreiben? | |
Das frage ich mich auch! Gerade habe ich eine Schreibgruppe gegründet, um | |
endlich wieder eine Art Input zu bekommen. Ich hoffe, dass da der Autor in | |
mir zurückkommen kann und wird. Mein Schreiben hat sich reduziert, seitdem | |
wir Kinder bekommen haben. Bei meinem letzten Roman hatte ich noch die | |
Gabe, Zehn-Minuten-Räume auszunutzen, und habe es am Anfang noch punktuell | |
geschafft zu schreiben, aber das ist mir über die Jahre abhandengekommen. | |
Also habe ich einen großen Respekt vor Autoren und Autorinnen, die trotz | |
Kinder, die trotz Familie Romane schreiben. Ich frage mich immer: Wie macht | |
ihr das? Könnt ihr mir das Rezept verraten? | |
18 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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