# taz.de -- Profiteure fossiler Brennstoffe: Inflation und Klimakrise | |
> Die Preiserhöhung für fossile Brennstoffe sollte durch die Erhöhung der | |
> CO2-Steuer zustande kommen – nicht durch Profite der Anbieter. | |
Bild: Noch keine zehn Jahre ist dieses Kohlekraftwerk in Moorburg bei Hamburg i… | |
Im November 2021 [1][stiegen die Verbraucherpreise] im Euroraum um 4,9 | |
Prozent, so stark wie seit 30 Jahren nicht mehr. Hauptursache dafür sind | |
dramatisch steigende Energiepreise (+27,4 Prozent). Ohne Energie lag die | |
Inflation nur bei 2,5 Prozent, in den vorangegangenen Monaten sogar unter | |
dem Zielwert von 2 Prozent. Aber warum haben sich Erdöl, Erdgas und Kohle | |
so sehr verteuert? | |
Hauptverantwortlich dafür sei der unerwartet starke Wirtschaftsaufschwung | |
2021 nach dem Corona-Einbruch 2020, die Produktion fossiler Energie konnte | |
mit der Nachfrage nicht mithalten, die Lagerbestände sind daher gesunken. | |
Tatsächlich wuchs die Weltwirtschaft zwischen 2021 und 2019 nicht einmal | |
halb so stark wie im langjährigen Trend. Die Produktion von Erdöl sank nur | |
geringfügig stärker als der Verbrauch, die Lagerbestände gingen lediglich | |
auf das übliche Niveau zurück. | |
Zwar haben auch Wetterereignisse die Preise fossiler Energie steigen lassen | |
– Dürren in Nord- und Südamerika dämpften die Stromerzeugung aus | |
Wasserkraft, Überflutungen beeinträchtigten die Kohleförderung in Ostasien | |
–, doch können sie das Ausmaß der Verteuerung nicht erklären: Die Preise | |
für Erdöl und Erdgas stiegen auf das 4-Fache, jene für Kohle verdoppelten | |
sich. | |
Dahinter steckt ein Problem von fundamentaler Bedeutung: die Verteilung der | |
Profite („Renten“) aus der Produktion von Erdöl, Kohle und Erdgas in der | |
Endphase des fossilen Zeitalters. Soll eine Klimakatastrophe vermieden | |
werden, muss der Verbrauch fossiler Energie in den nächsten Jahrzehnten | |
gegen null sinken, [2][ihre Preise sollten daher stetig steigen]. Dies kann | |
– idealtypisch – auf zweierlei Weise erfolgen. | |
## Fossile Brennstoffe müssen teurer werden | |
Variante I: In den Verbraucherländern senkt eine [3][stetig steigende | |
CO2-Steuer] die Nachfrage nach fossiler Energie und macht es für die | |
Produzentenländer schwer, höhere Preise am Weltmarkt durchzusetzen. Es wird | |
ein „Steuerkeil“ zwischen Verbraucher- und Produzentenpreisen getrieben. | |
Die Erträge aus der Verteuerung der fossilen Energie fließen den | |
Verbraucherländern zu und können für weitere Maßnahmen der Dekarbonisierung | |
sowie für die Unterstützung der dadurch besonders belasteten Gruppen | |
verwendet werden. | |
Variante II: Die Produzentenländer setzen in Kooperation mit den großen | |
Energiekonzernen eine schrittweise Verteuerung von fossiler Energie durch | |
und erschweren es den Verbraucherländern, zusätzliche, spürbare Ökosteuern | |
einzuheben. Die Gewinne aus der Verteuerung fossiler Energie fließen den | |
Produzentenländern zu. Sie haben daher einen Anreiz, weiter in die | |
Förderung fossiler Energien zu investieren – ungeachtet der Folgen für das | |
Klima. | |
Auf den ersten Blick erscheinen die Chancen der „Fossilrentiers“ gering, in | |
diesem Verteilungskampf erfolgreich zu sein. Schließlich dämpfen die | |
Klimaziele die Nachfrage nach fossiler Energie, gleichzeitig besteht ein | |
Angebotsüberschuss: Die Weltreserven an Erdöl und Erdgas betragen das | |
50-Fache der jährlichen Produktion, bei Kohle sogar das 150-Fache. Wenn | |
auch nur die Hälfte davon verwertet wird, ist das Klima nicht zu retten. | |
Allerdings: Die Welt wird noch mindestens 40 Jahre von fossiler Energie | |
abhängig sein. Gleichzeitig ist die Macht der Anbieter extrem | |
konzentriert, auf die 10 größten Produzentenländer entfallen etwa 70 | |
Prozent der Erdöl-, Kohle- und Erdgasproduktion; ähnlich konzentriert ist | |
die Macht der Energiekonzerne. Um einen überdurchschnittlichen Preisanstieg | |
durchzusetzen, braucht es keine Absprachen über Fördermengen und Preise. | |
## Riesige Reserven von Erdöl und Kohle | |
Es genügt, die Erwartung von Knappheit zu stärken, sei es durch | |
Schlagzeilen wie: Russland liefert weniger Erdgas als in der Vergangenheit, | |
Saudis drosseln die Ölförderung, und Fake News wie: Ölkonzerne senken | |
Investitionen. Auch die seit 2008 nahezu permanent boomenden | |
Vermögenspreise nähren die Erwartung steigender Energiepreise. | |
Nachdem die Notenbanken einen drohenden Aktiencrash Mitte März 2020 durch | |
nie dagewesene Interventionen verhindert hatten, boomten die Preise von | |
Aktien, Rohstoffen, Immobilien, CO2-Zertifikaten oder Bitcoins – und das in | |
der tiefsten Krise der Realwirtschaft seit den 1930er Jahren. | |
Erleichtert wird die Strategie einer Verteuerung fossiler Energie dadurch, | |
dass die Preise auf den Derivatmärkten gebildet werden, wo viele Akteure | |
traden, die mit physischem Erdöl, Kohle oder Gas nicht das Geringste zu tun | |
haben. Überdies reicht es, wenn das Gesamtangebot nur ganz geringfügig | |
langsamer wächst als die Nachfrage, um bei gleichzeitiger Verankerung von | |
Knappheitserwartungen Preissteigerungen durchzusetzen. | |
In der Vergangenheit gelang dies nur für eine gewisse Zeit: So nährten der | |
Jom-Kippur-Krieg 1973, die Machtübernahme der Ajatollahs 1979 oder der | |
Rohstoffpreisboom vor Ausbruch der Finanzkrise 2008 jene | |
Knappheitserwartungen, die massive Ölpreissteigerungen nach sich zogen. | |
Doch mangelnde Förderdisziplin ließen die Preise bald wieder sinken. | |
Diesmal könnte es anders kommen. | |
Denn die „Fossilrentiers“ wissen: Langfristig hat ihr Geschäft keine | |
Zukunft, am meisten können sie rausholen, wenn sie in einer Übergangsphase | |
das Angebot verknappen, der Großteil muss ohnehin unter der Erde bleiben. | |
In diesem Kampf um Verteilung und Klima haben die Anbieter einen weiteren | |
Vorteil: Es handelt sich um relativ wenige, megamächtige und organisierte | |
Akteure, ihnen stehen Millionen Unternehmen und Milliarden Haushalte | |
gegenüber, welche Preissteigerungen von fossiler Energie ohnmächtig | |
hinnehmen müssen. | |
Die einzig wirksame Gegenstrategie der Industrieländer einschließlich | |
China, bestünde in einer zusätzlichen Verteuerung fossiler Energie durch | |
eine effektive CO2-Bepreisung, am besten in Gestalt stetig steigender | |
Preispfade von Erdöl, Kohle und Erdgas. Dadurch würde die Nachfrage | |
nachhaltig reduziert und die Strategie der „Fossilrentiers“ erschwert, weil | |
sie mit weiteren Produktionseinschränkungen „nachziehen“ müssten. Auch dem | |
Klima würde es nützen, doch mit populistischer Politik ist das nicht zu | |
machen. | |
19 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Stephan Schulmeister | |
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