# taz.de -- Oslos Umweltpolitik in der Kritik: Norwegen klebt am Öl | |
> Nach der „Klima-Wahl“ plant die neue norwegische Regierung bei Öl und Gas | |
> eine Rückkehr zum Business as usual. Der Protest ist groß. | |
Bild: An Norwegens Öl und Gas hängen Arbeitsplätze – und Unternehmensinter… | |
STOCKHOLM taz | Das müsse die „Totenglocke“ für fossile Brennstoffe sein, | |
und „die Staaten müssen auch aufhören, neue fossile Energie zu suchen und | |
zu produzieren“, hatte UN-Generalsekretär António Guterres im August auf | |
[1][den neuen Bericht des Weltklimarats IPCC] reagiert. Jonas Gahr Støre, | |
der Vorsitzende der norwegischen Sozialdemokraten, pflichtete ihm umgehend | |
bei: „Ja, jetzt ist die Zeit zum Handeln.“ Das war damals, vor der | |
Parlamentswahl im September, die seine Partei gewann. | |
Drei Wochen später bereitet sich Gahr Støre gerade auf sein Amt als neuer | |
Ministerpräsident des Landes vor. Anlass zum Handeln sieht er nun plötzlich | |
nicht mehr. Mitte vergangener Woche ließ er die Regierungssondierungen mit | |
der links-grünen sozialistischen Linkspartei scheitern. Die hatte nämlich | |
dasselbe wie Guterres gefordert: ein Ende der Suche und Erschließung neuer | |
Öl- und Gasvorkommen. | |
„Das wird nicht passieren“, lautete der knallharte Bescheid des | |
Regierungschefs in spe, der sich nun lieber nach rechts orientiert und eine | |
Minderheitsregierung mit der liberalen Zentrumspartei bilden will: „Ein | |
Stopp der Suche nach neuen Vorkommen ist nicht Politik der | |
Sozialdemokraten.“ | |
Haben sich die Hoffnungen, dass die Parlamentswahl 2021 ein Wendepunkt für | |
die norwegische Ölpolitik sein könnte, damit zerschlagen? Die künftige | |
Regierung scheint wie die bisherigen jedenfalls entschlossen, trotz des | |
unvermeidbaren Endes der Ölwirtschaft, mit der das Land zu einem der | |
reichsten der Welt wurde, einen Schlusstermin für die Öl- und Gasproduktion | |
nicht einmal ins Auge fassen zu wollen. | |
Zwar wäre ein Stopp der Produktion von heute auf morgen oder auch nur | |
binnen einem Jahrzehnt unrealistisch. Das fordert in Norwegen auch niemand. | |
Rund 200.000 Arbeitsplätze hängen an dieser Branche, sie generiert 25 | |
Prozent der Staatseinnahmen. Ein abruptes Aus würde zu hoher | |
Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Stagnation führen. Aber wie sieht es | |
mit einem „sanften“ Ausstieg aus? Einer Förderreduktion, die sich quasi | |
automatisch einstellen würde, wenn keine neu erschlossenen Vorkommen die | |
Produktion langsam versiegender vorhandener Öl- und Gasquellen ersetzen | |
würden? | |
## Sinkende Produktion, sinkende Nachfrage | |
Das Standardargument der Öllobby lautet: Länder wie Russland oder | |
Saudi-Arabien würden Produktionseinschränkungen mit eigenen | |
Produktionssteigerungen ausgleichen. Resultat wäre ein Verlust an | |
einheimischen Arbeitsplätzen und die Schwächung des wirtschaftlichen | |
Potenzials des Landes. | |
Eine Einschränkung der Produktion bringt nichts für das Klima? Doch, | |
durchaus, widersprechen [2][Analysen des norwegischen Statistikamts]. Die | |
Nachfrage nach Öl und Gas sei nicht konstant und ganz unabhängig vom Export | |
eines einzelnen Landes, sondern von einer Vielzahl variabler Faktoren | |
abhängig. | |
Würde Norwegen seinen Kunden langfristig Produktionskürzungen ankündigen, | |
würde zwar vermutlich tatsächlich rund die Hälfte bis zwei Drittel dieser | |
Minderproduktion von anderen Produzenten ausgeglichen werden. Aber eben | |
nicht zu 100 Prozent, weil ein solcher Schritt Norwegens als eines | |
stabilen, demokratischen Lieferlandes über den Preiseffekt hinaus auf dem | |
Markt Reaktionen auslösen und im Ergebnis zu verstärkter Nutzung | |
erneuerbarer Energien führen würde: Global also zur Freisetzung von weniger | |
CO2. | |
Ein solcher „sanfter“ Ausstieg wäre für die Ökonomie und den Arbeitsmarkt | |
Norwegens auch kein unüberwindliches Problem. Hierzu [3][analysierte das | |
staatliche Statistikbüro im vergangenen Jahr ein Szenario], bei dem – exakt | |
wie auch im Mai von der Internationalen Energieagentur IEA in ihrem | |
[4][Rapport „Net Zero by 2050“] gefordert – ab sofort überhaupt keine ne… | |
Öl- und Gasfelder mehr erschlossen würden. | |
## Bedeutung der Ölwirtschaft nimmt ab | |
Das Fazit: Für Norwegen werde das bis 2030 wirtschaftlich gar keine | |
negativen Auswirkungen haben, da ein solcher Schritt keinen Einfluss auf | |
die bis dahin geförderte Menge an Öl und Gas haben werde. Erst zwischen | |
2030 und 2050 würde sich die Produktion allmählich verringern. Dann werde | |
die Bedeutung der Ölwirtschaft für Norwegens gesamte Volkswirtschaft aber | |
bereits so gesunken sein, dass mit einem Rückgang des norwegischen | |
Sozialprodukts von nicht mehr als einem halben Prozent zu rechnen wäre. | |
„Ja, ihr würdet vielleicht ein wenig ärmer werden“, heißt es in einem | |
offenen Brief, den die dänische Tageszeitung Information zwei Tage nach der | |
Wahl auf ihrer Titelseite an „Kjære Norge“, „Liebes Norwegen“, richtet… | |
Aber Norwegen sei ja auch so reich geworden, weil das Land seit 50 Jahren | |
überproportional zum Aufheizen der Erdatmosphäre beigetragen habe und damit | |
jetzt auch „eine große Verantwortung auf seinen breiten Schultern hat“. | |
Auf der Klimakonferenz im November in Glasgow wollen Dänemark und Costa | |
Rica ihre „Beyond Oil and Gas Alliance“ (Boga) lancieren, in der sich | |
Staaten zusammenschließen sollen, die ein [5][Schlussdatum für ihre | |
Produktion von fossilen Brennstoffen] gesetzt haben. Sie haben Oslo | |
eingeladen, sich dieser Allianz anzuschließen. | |
Ein Nein von Gahr Støre werde man nicht hinnehmen, machten TeilnehmerInnen | |
einer spontanen Protestaktion am Freitag vor dem Parlament in Oslo | |
deutlich, mit der ein Dutzend Umweltorganisationen von Greenpeace bis | |
Extinction Rebellion auf die Entwicklung bei den Regierungsverhandlungen | |
reagierten. Auch in der Partei selbst brodelt es. | |
„Wir wollen, dass diese Regierung Verantwortung für das Klima übernimmt“, | |
erklärte die Jungsozialisten-Vorsitzende Astrid Willa Eide Hoem. Die Jusos | |
forderten von Gahr Støre dasselbe wie die links-grünen Parteien und die | |
Umweltorganisationen: „einen Stopp der Erteilung neuer Förderlizenzen“. | |
4 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://unric.org/en/guterres-the-ipcc-report-is-a-code-red-for-humanity/ | |
[2] /Parlamentswahlen-in-Norwegen/!5800899 | |
[3] https://www.sei.org/publications/case-study-us-leasing-policy | |
[4] https://iea.blob.core.windows.net/assets/beceb956-0dcf-4d73-89fe-1310e3046d… | |
[5] https://www.climatechangenews.com/2020/12/12/set-end-date-oil-gas-productio… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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