# taz.de -- Überwintern von Insekten: Das große Zittern | |
> Die einen spinnen sich ein, andere zittern sich heiß: Schmetterlinge, | |
> Bienen und Ameisen haben Strategien, um die Kälte zu überleben. | |
Bild: Kein eingefrorenes Blatt: Zitronenfalter überleben bei bis zu minus 20 G… | |
## Käfer mit Frostschutzmittel | |
Eines haben fast alle Insekten gemeinsam: Sie werden umso träger, je kälter | |
es in ihrer Umgebung ist. Mit den sinkenden Temperaturen fährt auch ihr | |
Stoffwechsel herunter. Das Problem: Überall lauern gefräßige Feinde. | |
„Ein Insekt, das sich nur langsam bis gar nicht bewegt, ist leichte Beute“, | |
sagt Julian Heiermann, Insektenexperte des Naturschutzbundes Nabu. „Darum | |
verstecken sich die meisten Insekten über den Winter gut, krabbeln in | |
Baumhöhlen, buddeln sich in Laubhaufen ein, machen es sich in Felsnischen | |
bequem oder sie suchen sich ein geschütztes Plätzchen in und an Gebäuden.“ | |
Damit sie dort aber nicht erfrieren, produzieren die Insekten, die | |
hierzulande überwintern, wie etwa der Marienkäfer, ihren eigenen Alkohol – | |
das Glycerin. Durch dieses hochprozentige Frostschutzmittel entstehen nicht | |
so schnell gefährliche Eiskristalle, die die Zellen durchbohren können. | |
Ähnlich wie bei einer Wodkaflasche, die mit 40 Prozent Alkohol problemlos | |
im Tiefkühlfach gelagert werden kann, ohne zu platzen. So geschützt kommen | |
die Insekten gut zurecht mit der Kälte, besser übrigens als mit einem | |
feuchten milden Winter. Denn dann lauern überall Pilze und Bakterien. | |
Eine Falle gibt es allerdings für die Sechsbeiner: Schmetterlinge oder | |
Fliegen, die beispielsweise auf einem kühlen Dachboden überwintern und über | |
kleine Schlitze hineingekommen sind, fliegen fix dem Licht entgegen, | |
sobald es im Frühjahr wieder wärmer wird – und prallen an der Scheibe von | |
geschlossenen Dachfenstern ab. Heiermann empfiehlt deshalb, im Frühjahr die | |
Dachluken kurzzeitig zu öffnen, damit die Insekten hinausfliegen können. | |
(hg) | |
## Erstarrte Ameisen unter einer Decke | |
Die Ameisen stoppen im Winter fast alle Arbeiten und verziehen sich in den | |
unterirdischen Teil ihres Nestes. Der obere Teil ist wie eine Art Decke, | |
Gänge werden verschlossen, alle verfallen in Kältestarre. Es scheint so | |
sicher – wäre da nicht der Wiesenknopf-Ameisenbläuling. | |
Der Insektenforscher Professor Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für | |
Umweltforschung (UFZ) in Halle erzählt: Der Falter entpuppt sich als | |
Killer. Es beginnt harmlos. Bis Mitte August legt Frau Ameisenbläuling ihr | |
Ei in die rote kugelige Blüte des Großen Wiesenknopfes, ein Wildkraut, das | |
vor allem auf Wiesen und an feuchten Gräben vorkommt. Vierzehn Tage später | |
schlüpft aus dem Ei eine rötliche Raupe. Sie frisst von den Blüten und | |
Samen und lässt sich dann auf die Erde fallen. | |
Jetzt kommen die Ameisen ins Spiel. Normalerweise fressen sie | |
Schmetterlingsraupen, nicht aber die Raupe des Ameisenbläulings. Denn die | |
tarnt sich mit einem speziellen Duft, der dem der Ameisenbrut ähnelt. Sie | |
wird nicht mehr als Beute erkannt. Zudem hat sie „Zucker“-Drüsen. Die | |
Ameisen sind so scharf auf das süße Sekret, dass sie sie leben lassen und | |
mit in ihren Bau schleppen. | |
Dort frisst sich die Raupe bis zum nächsten Jahr satt, vertilgt Eier und | |
Larven der Ameisen und fällt dabei noch nicht mal auf. Sie ähnelt den | |
Ameisenlarven zu sehr – bis sie sich verpuppt und der Schmetterling | |
schlüpft. Der muss sich dann aber schleunigst von dannen machen. Sonst wird | |
er selbst gefressen. (hg) | |
## Puppen im seidenen Himmelbett | |
Insekten überwintern in allen Lebensstadien: ausgewachsen, als Ei, als | |
Larve – oder auch als Puppe. In dieser Form harren die meisten | |
Schmetterlinge dem Ende der kalten Zeit. Viele Tagfalterpuppen hängen | |
direkt an der Pflanze, die die Raupe fraß – mit einem kleinen „Gürtel“ | |
befestigt oder kopfüber baumelnd. Sie können sich nicht fortbewegen, sind | |
aber meist gut getarnt. | |
Die Puppen des heimischen Schwalbenschwanzes beispielsweise sind im | |
Frühsommer grün, aber wenn der Falter erst nach dem Winter schlüpft, | |
graubraun. Bei den Nachtfaltern verkriecht sich die Raupe meist im oder am | |
Boden, verpuppt sich dort und wartet auf den Frühling. Aber auch hier gibt | |
es andere Varianten, die bekannteste ist der Kokon. | |
Er ist gewissermaßen das luxuriöse Himmelbett unter den | |
Überwinterungsstrategien: eine Schutzhülle aus reiner Seide. Diese | |
produziert die Raupe in speziellen Drüsen. Ist sie vollgefressen, sucht sie | |
sich einen guten Ort im Gezweig und beginnt zu spinnen. Zunächst ein mit | |
der Umgebung verbundenes Gerüst, dann immer enger um sich selbst herum. | |
Ihr Kopf bewegt sich oft tagelang hoch und runter, hin und her, immer den | |
Seidenfaden führend. Die Raupe scheint genau zu wissen, was sie tut – und | |
denkt, wenn sie eine Art Deckel oder eine raffinierte Reuse spinnt, | |
offenbar auch schon an später. Am Ende sieht man sie gar nicht mehr, nur | |
noch ihren robust-gemütlichen Schlafsack. Darin häutet sich das Insekt zur | |
Puppe und überdauert den Winter, bis es dem Seidenkokon schließlich als | |
fertiger Falter entschlüpft. (atm) | |
## Bienen zittern sich durch | |
Honigbienen haben in ihrem Stock eine perfekte Arbeitsteilung: Die einzige, | |
die sich vermehrt, ist die Königin. Die Drohnen, die männlichen Tiere, | |
leben nur wenige Wochen. Ist ihr Lebenszweck erfüllt, nämlich die Begattung | |
der Königin, sterben sie. Die unfruchtbaren Weibchen, die Arbeiterinnen, | |
bewachen den Eingang und sammeln das Futter. | |
Beim Heizen müssen allerdings fast alle ran: Im Winter fahren die Bienen | |
ihren Stoffwechsel runter. Sie kuscheln sich alle zusammen, die Königin in | |
der Mitte. Weil es sonst zu kalt würde, müssen sie Wärme erzeugen. Bienen | |
haben „zwei bis drei Warmtage in der Woche“, sagt der Würzburger | |
Bienenforscher Jürgen Tautz. | |
An diesen Tagen heizen die Arbeiterinnenbienen den Stock auf 30 Grad | |
Celsius hoch. Sie lassen ihre Flugmuskeln vibrieren und zittern den Stock | |
heiß. Das kostet viel Kraft. Deshalb machen sie danach tagelang Pause und | |
stärken sich mit Honig, der mit der Wärme auch flüssiger und damit leichter | |
zu verzehren ist. Er ist ihr Treibstoff. Imker:innen dürfen darum nie | |
allen Honig aus ihrem Stock holen, wenn das Volk überleben soll. | |
Das verfällt dann erst einmal wieder in Lethargie, die Temperatur sinkt. | |
Bis es für die Bienen bei etwa plus 10 Grad Celsius unbehaglich wird und | |
sie wieder heizen. Plus 4 Grad Celsius bedeutet für sie den Tod. (hg) | |
## Geeiste Zitronenfalter | |
Die wenigsten Schmetterlinge überwintern als Erwachsene. Robuster sind sie | |
in ihren Jugendzeiten, als Ei, Raupe oder gut verpackt in der Puppenhülle. | |
Der Zitronenfalter überlebt als einziger mitteleuropäischer Tagfalter im | |
Winter draußen im Freien, kopfüber an einem Ast hängend oder im Laub am | |
Boden, die Flügel zusammengeklappt. | |
Der zart aussehende Falter lebt insgesamt zehn bis elf Monate, das ist | |
lange im Reich der Schmetterlinge. Er hält Temperaturen bis zu minus 20 | |
Grad aus. Es stört ihn auch nicht, wenn er zugeschneit wird, er hat seinen | |
ganz eigenen Frostschutz aus den Zuckeralkoholen Glycerin und Sorbit und | |
verschiedenen Eiweißen. | |
Vor allem scheidet er zunächst aber alles entbehrliche Wasser aus. | |
Nabu-Experte Julian Heiermann warnt: „Bitte nicht helfen, den Falter | |
einfach hängen lassen!“ Käme er ins Warme, müsste er seinen Stoffwechsel | |
wieder ankurbeln, er habe aber kaum Energiereserven. Zu Fressen gibt es in | |
den Wintermonaten in der Natur auch kaum. | |
Anders gesagt: Die vermeintliche Hilfe – sie brächte den Falter um. Wer | |
hingegen einen Schmetterling herumflattern sieht, wenn bereits die ersten | |
Nachtfröste kommen und alle anderen in der Winterstarre sind, hat einen | |
Frostspanner vor sich. Dieser lebt bloß ein paar Tage, frisst nichts und | |
paart sich nur. Die Weibchen legen ihre Eier in der Rinde von Bäumen und an | |
Astspitzen ab – und dann kommt schon der Tod. (hg) | |
10 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
Andrew Müller | |
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