# taz.de -- Die Wahrheit: Mädchenwelt | |
> Tagebuch einer Romantikerin: Die Hoffnung stirbt manchmal gar nicht, eben | |
> auch nicht zuletzt, und schon gar nicht beim Zapfenstreich der | |
> Ex-Kanzlerin. | |
Grauer Vorweihnachtstag am Berliner Ku’damm, auf dem Grünstreifen blinken | |
Schneemänner, in den Bäumen Lichterketten. „Das sind aber viele!“, strahlt | |
das kleine Mädchen an der Ampel neben mir seine Mutter an. Dass die Kinder | |
sich noch so freuen können in diesen Zeiten, beneidenswert! „So viele | |
schwarze Mäntel!“, piepst es plötzlich aufgeregt weiter. | |
Mäntel? Die schicke Haute-Couture-Umgebung von Dior & Co scheint | |
abzufärben, so klein und schon Fashionista! „Das sind Geschäftsleute“, | |
lässt sich die Mutter vernehmen. Die Frau spricht in Rätseln. Der Blick | |
wandert suchend von dem Weihnachtsgeflimmer zur anderen Straßenseite, wo | |
ein Krähenschwarm in teurem Tuch über den Bürgersteig weht. | |
„Was ist das, Geschäftsleute?“, nervt das liebe Kind unerbittlich weiter. | |
Die mütterliche Stimme lässt Reue ahnen, den Nachwuchs stets zum Fragen | |
ermutigt zu haben. „Na ja, Anwälte und Vermögensberater und so.“ Aha. | |
Danach sind „Geschäftsleute“ nicht etwa auch Anwältinnen oder | |
Vermögensberatende, sondern rein männlich und laufen winters in dunklen | |
Mänteln herum. Ich ahne plötzlich, warum mir vor ein paar Wochen bei Angela | |
Merkels letztem Streich die Tränen kamen. | |
Man muss wissen, dass ich nie bei traurigen Anlässen heule, sondern – | |
begleitet von blödsinnigem Grinsen – ausschließlich vor Begeisterung. | |
Vermutlich hat es was mit dem Glauben an das Gute im Menschen zu tun oder | |
meinem hoffnungslosen Hang zur Romantik. | |
In jedem Fall war ich für die Dauer zweier Musikstücke überzeugt, die | |
Bundestruppe werde ab sofort zum Farbfilm marschieren, und dass auf | |
Marschmusik immer ein Rote-Rosen-Walzer folgt und sich am Ende die Heere | |
der Welt tanzend in den Armen liegen, während die ewigen Geschäftsleute in | |
Politik und Talkshowsesseln spürbar dezimiert werden und die Merzens wie | |
Lindners im Nebel der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Die Hoffnung stirbt | |
ja bekanntlich zuletzt, und manchmal stirbt sie gar nicht. | |
Derweil ich grinsend in mein Taschentuch flennte, kommentierte ein mit | |
hellseherischen Fähigkeiten ausgestatteter Professor Karl-Rudolf Korte die | |
Befindlichkeit der Noch-Kanzlerin: „Sie wird nicht über sich schreiben, da | |
is sie kein Typ zu.“ Frei nach Kafka notierte ich „Zapfenstreich gesehen. | |
Geheult“ ins Tagebuch. Es war wie bei einer gelungenen Beerdigung, traurig | |
und heiter. Danke, Merkel! | |
Ich fürchte, kleines Mädchen, für dich wird’s erst mal keine roten Rosen | |
regnen, sondern leider doch noch ein paar Geschäftsleute, bis der Friedrich | |
und vielleicht auch der Christian Geschichte sind. Aber zum Trost hat uns | |
die neue Koalition einen General für den heimischen Einsatz gegen das fiese | |
Virus spendiert. Seine Truppen werden es mit Farbfilm-Tschingderassa | |
überrollen, bis ihm alles so weh tut, dass es geschlagen von dannen humpelt | |
und endlich alles wieder so schön wird, wie’s mal wa-ha-ha-ha-har. Oder | |
sogar noch viel schöner. | |
16 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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