Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Drei Kreuze
> Tagebuch einer Wahlbeobachterin: Zwei Meter siebzig soll der Berliner
> Stimmzettel lang sein. Das muss gefeiert werden – in der Bar des
> Vertrauens.
Wer will schon nach Paris zum christoverhüllten Arc de Triomphe, wenn man
zu Hause die Wahlkabinen einwickeln kann? Jemand hat die Berliner
Stimmzettel zur Bundestags- und Abgeordnetenhaus- und Bürgermeister- und
Bezirksversammlungswahl und den „Deutsche Wohnen & Co
enteignen“-Volksentscheid vermessen und ist angeblich auf zwei Meter
siebzig gekommen. Aber bis ich im Wahllokal, umwabert von Linoleumgeruch,
mit den Papierschlangen kämpfe, gibt’s noch ein paar Tage Werbung auf die
Augen.
„Deutschland gemeinsam machen“, fordert die CDU. Super Idee, aber wie
„macht“ man ein Land? Klingt irgendwie haptisch, also Vasen in
Deutschlandform töpfern? Frühstücksbrettchen in BRD-Umrissen laubsägen?
Oder beim landesweiten Bettenmachen mit Laschet als Frau Holle? Die
Republik mit Sprachschwachsinn zupflastern, aber bei ein paar
Gendersternchen Schaum vorm Mund kriegen! So was nenn ich Chuzpe.
Die Grünen dagegen hauen erfrischend Unmissverständliches raus: „Breit,
weil Ihr es seid“, lese ich überrascht. Chapeau, so was hat sich nicht mal
Schröder bei seinen „Currywurst und Bier“-Ranschmissen ans Volk getraut.
Leider sind sie dann doch nur „bereit“, aber eine Ecke weiter zielt schon
die Konkurrenz von „Galander 2021, bürgernah und kompetent, Wahlhelfer
deines Vertrauens“ auf trinkfeste Klientel.
Es handelt sich um meine Nachbarschaftsbar, das Plakat zeigt den Keeper
beim Fistbump mit einem Kunden. Eins zu null, ich sehe in meinem Kiez einen
soliden Promillevorsprung für Galander, hier wird glaubwürdig die
bürgerliche Hedonistenmitte umworben, ebenso wie die Jungs, die mit
Flaschbier am zentralen Brunnentreffpunkt abhängen.
An der Bushaltestelle schenken mir die Freien Wähler „Freiheit. Zu sein,
was man ist.“. Im Interpunktionschaos und grammatikalisch-inhaltlich wirren
Raum sucht das Auge vergeblich Sinn und Halt auf dem Plakatmotiv, einem
orangefarbenen Flamingo, der inmitten farbloser Reiher, Schwäne und Gänse
auf einem Bein steht. Vielleicht muss man wirklich „zu sein“, um
herauszufinden, in welchem Mitglied dieser Schar man sich erkennen soll.
Bunter, von Alk und Freiheit berauschter einbeiniger Individualist oder
nüchtern-farbloser Normalovogel?
„Also die Weidel sieht ja sehr gut aus, die wär ja eine tolle
Spitzenkandidatin!“, schwärmt die bekennende CDU-Wählerin im Café am
Nebentisch, die ihren knautschigen Armin aus ästhetischen Gründen wohl gern
gegen die glatte Lady mit den weniger gut aussehenden inneren Werten
tauschen würde. Sie jedenfalls vertraut der reinen Oberfläche.
Mitbürger im Land der Trinker und Gläserschwenker, lasst uns „mit
Sicherheit machen“! Nämlich ein paar Kreuze, erst auf den Zetteln und dann,
wenn es vorbei ist! Am nächsten Laternenpfahl lockt wieder die Bar Galander
2021, diesmal mit einem schön gefüllten Glas und Cocktailschirmchen – dem
„Rettungsschirm, der wirklich hilft“.
23 Sep 2021
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Wahlkampf
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Mädchenwelt
Tagebuch einer Romantikerin: Die Hoffnung stirbt manchmal gar nicht, eben
auch nicht zuletzt, und schon gar nicht beim Zapfenstreich der
Ex-Kanzlerin.
Die Wahrheit: Bericht aus dem Behördenflohzirkus
Tagebuch einer Amtsschimmelreiterin: Wenn denn mal alles klappt mit den
Ämtern, stimmt was mit der Unterschrift nicht.
Die Wahrheit: Kanadas Hünin
Tagebuch einer Überseeischen: Die beeindruckendste Kanadierin aller Zeiten
kann Gebäude mit ihrem Gelächter erzittern lassen.
Die Wahrheit: Mannschaftsgold vom Mikrofonhengst
Tagebuch einer galoppierenden Guckerin: Schwitzende Pferde und rätselhafte
Heldinnen ergeben ein beeindruckendes Kontrastprogramm.
Die Wahrheit: Bärenporno vom Allerfeinsten
Tagebuch einer Freilichtguckerin: Wie so oft im Leben kommt alles anders,
verlässt man das Haus. Und jenseits von Sex, wartet so manche Parallelwelt.
Die Wahrheit: Idyllischer Kontinent
Tagebuch einer Löscherin: Nach den Öffnungsorgien der letzten Tage ist die
Zeit der Selbstoptimierung während der Pandemie vorbei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.