# taz.de -- Die Wahrheit: Bericht aus dem Behördenflohzirkus | |
> Tagebuch einer Amtsschimmelreiterin: Wenn denn mal alles klappt mit den | |
> Ämtern, stimmt was mit der Unterschrift nicht. | |
Anfang Juni 2021, im Jahr zwei der großen Pandemie, entdeckte Pia F. aus | |
B., dass ihr Reisepass abgelaufen war. So oder ähnlich wird mein Nachruf | |
beginnen, dabei hatte alles so vielversprechend angefangen. | |
Die sofortige Terminsuche auf der Berliner Behördenwebsite ergab | |
Unglaubliches: Ein Slot schon im September! Zwar eine Tagesreise entfernt | |
am anderen Ende der Stadt, aber wer opfert nicht gern Lebenszeit für | |
Reisefreiheit? Fassungslos vor Glück befüllte ich zwölf Wochen später die | |
Provianttasche mit Stullen und hartgekochten Eiern und machte mich in der | |
Morgendämmerung auf den Weg. | |
Sekundengenau wurde meine Nummer aufgerufen, euphorisch klopfte ich an die | |
Tür, hinter der eine Mitarbeiterin aus dem Heer der Springer wartete, die | |
im Berliner Behördenflohzirkus täglich von Amt zu Amt hüpfen, Altausweise | |
zerstanzen und Fingerabdrücke nehmen. Schwungvoll leistete ich meine | |
Unterschrift, womit die Sache zum Halten kam. „Dit Ding nimmt den Scan nich | |
an. Kenn ick mich nich mit aus, is ja nich mein Computer.“ | |
Eine eilig herbeigerufene Kollegin machte sich schwer atmend an den fremden | |
Geräten zu schaffen, während ich mich in meine vorsichtshalber mitgebrachte | |
dreibändige Ausgabe von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ vertiefte. | |
Ein ernüchtertes „Dit wird nüscht“ riss mich hundertfünfzig Seiten spät… | |
aus der Lektüre. | |
## Geht so nicht | |
Die Damen zeigten sich barmherzig und schickten mich nicht erst im Januar, | |
sondern umgehend zum jungen Kollegen ins Nebenzimmer, mit dessen Wohlwollen | |
es allerdings beim Anblick meiner Signatur vorbei war. „Geht so nicht. Ist | |
hier lateinische Ausgangsschrift. Muss man lesen können.“ – „Aber Ihre | |
Kollegin hat gar nichts bemängelt! Ich bin alt! Ich unterschreibe immer so! | |
Hier, Führerschein, Perso, Kreditkarte! Ich will mit Ihrem Vorgesetzten | |
sprechen!“ | |
Zwei Tage später Anruf vom Amt. „Drei Buchstaben. Lesbar.“ Ha! „Auf der | |
Website vom Ministerium für Bau und Heimat steht ‚Die Unterschrift der | |
antragstellenden Person erfüllt die Funktion eines Identitätsmerkmals. Sie | |
soll so geleistet werden, wie die Person dies im täglichen Leben zu tun | |
pflegt‘!“, zog ich siegessicher meinen hart ergoogleten Trumpf. „Die | |
Vorschriften …“ nölte es am anderen Ende. | |
Ich gab nicht auf. Der für das Passwesen zuständiger Referent im | |
Ministerium bedauerte sehr – „Ist ja wie bei Kafka“ –, er sei aber leid… | |
nicht zuständig, die Macht liege – Sie ahnen es! – bei den Bezirksämtern. | |
Zwei Wochen übte ich „Unterschreiben mit drei lesbaren Buchstaben“, auf dem | |
Amt übte ich mit einem mitleidigen Behördenkomplizen noch ein bisschen | |
mehr. Jetzt besitze ich einen fälschungssicheren Pass, in dem meine | |
Unterschrift aber leider von mir selbst gefälscht wurde, weshalb das | |
Auswärtige Amt schon mal seine Diplomaten fit machen sollte, um mich aus | |
dem Knast zu holen, in dem ich demnächst irgendwo verrotten werde. | |
18 Nov 2021 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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