# taz.de -- Die Wahrheit: Die Wasserläufe des Lebens | |
> Tagebuch einer Paddlerin: Wenn die eine Havarie die andere ablöst, dann, | |
> ja dann, wird es Zeit, die Muttern auf den Polschrauben anzuziehen. | |
Schon als Kind hatte ich ein ambivalentes Verhältnis zur Natur. Das lag am | |
Rhein, der im Frühjahr stinkende Hochwasserbrühe in unseren Keller drückte, | |
damit zugleich auch die Bootsüberfahrt zu meiner auf einer Insel gelegenen | |
Klosterschule unmöglich machte. | |
Im Herbst versteckten sich die Fluten dann hinter frühmorgendlichem Nebel, | |
weshalb die Nonnen-Talibane uns stundenlang am Anleger herumlungern ließen, | |
bis sich die Schwaden endlich lichteten und wir übersetzen konnten. | |
Steifgefroren und mit beginnender Blasenentzündung schleppten wir uns auf | |
die Barkasse, Hosentragen war selbst beim Einbruch einer Eiszeit verboten, | |
so was hätte dem lieben Gott gar nicht gefallen! | |
Meinem frühzeitig hart erworbenen Gespür für Wasser ist es zu verdanken, | |
dass ich neulich bei der nächtlichen Heimkehr nach weinseliger Runde auf | |
dem Weg ins Schlafzimmer von einer feuchten Ahnung gebremst wurde. Hinter | |
der Tür zur Kammer erwartete mich ein türkisches Dampfbad. Wasser kam durch | |
die Decke, floss wie in einer Gebirgsklamm nassglänzend die Wand runter – | |
und natürlich war Wochenende. | |
Ich klingelte Sturm bei meinem älteren Nachbarn, der den Samstagabend | |
glücklicherweise nicht in der Kneipe verbrachte, und zusammen überstanden | |
wir die nächsten Stunden beim Warten auf den Notdienst. Während ich | |
versuchte, das fröhlich vor sich hin sprühende Leck im Rohr mit einem | |
Druckverband zu stopfen, schippte er Wasser. | |
## Prächtige Ergänzung | |
Er ist schwerhörig, redet dafür aber gern, ich hingegen war eher wortkarg, | |
beschäftigt mit erster Hilfe. Wir ergänzten uns prächtig, bis Rettung | |
eintraf. | |
Inzwischen gurgelt ein Gerät in meiner Kleiderkammer, dessen Tank ich | |
entleeren muss. Wegen berechtigten Misstrauens gegenüber Kunden wie mir | |
schaltet das Ding sich ab, wenn es voll ist. Danke, Trocknungsgerätebauer! | |
Eine Woche nach der Leckage wurde mein Boot „Tuck Tuck“, das hier schon | |
einmal unter seinem Zweitnamen „Fuck Fuck“ vorgestellt wurde, zu Wasser | |
gelassen. Kaum starteten wir den Motor, tat sich – nichts. Über uns am | |
Kranseil schwebte schon der Nachfolger, hastig ergriffen wir also die | |
Paddel und räumten das Wasserfeld. Tapfer trotzten wir auf dem Weg zum | |
Liegeplatz den stürmischen Elementen, trieben aber geradewegs auf die Havel | |
und in Richtung offenes Meer. | |
Einem Stegnachbarn verdankten wir unsere Rettung. Nachdem wir alle | |
erdenklichen Klischees über Frauen in Krisensituationen übererfüllt hatten, | |
indem wir mehr oder weniger zielgenau ein Seil hinüberwarfen, gelang es | |
ihm, „Tuck Tuck“ in seine Box zu zerren. Erschöpft beugten wir uns über d… | |
frisch aufgeladenen Batterien. | |
„Ha!“, grinste unser Retter, „wie sollen die denn Kontakt machen?“ Ich | |
hatte vergessen, die Muttern auf den Polschrauben anzuziehen. | |
„Fuckfuckfuck“, blubberte der Motor höhnisch beim Probelauf. Mein Leben in | |
der Welt des Wassers, im Yin und Yang aus Freude und Demütigung. | |
14 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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