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# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Esel in Sibirien und im Theater
> Sie sind schon lange Begleiter des Menschen, auch heute noch suchen viele
> die Nähe zu Eseln. Dabei muten wir den langohrigen Paarhufern einiges zu.
Bild: Sieht man ihnen nicht gleich an, aber in manchem Esel steckt eine Rampens…
In der halb zerbombten spanischen Botschaft wohnte nach dem Krieg ein
obdachloser Kriegsheimkehrer mit einem Esel, den er dann für viel Geld
verkaufte. Im Internet werden heute preisgünstig Esel angeboten. Was wollen
die Leute damit?
Die taz-Mitgründerin Imma Harms lebt im Berliner Umland und sagte mir am
Telefon: Bei uns ist gerade jemand mit vier Eseln. Er will damit nach
Sibirien gehen. Willst du ihn sprechen? Ja, gerne. Ich hole ihn … Dann
sagte sie: Es geht grad nicht, ihm sind die Esel weggelaufen, und er muss
sie wieder einfangen. Als ich am nächsten Tag anrief, war er schon
unterwegs – nach Sibirien. Dort mögen die Esel das Klima bestimmt nicht,
dachte ich. Anders als bei der jungen Schauspielerin Lotta Lubkoll, die
sich hier einen Esel anschaffte und mit ihm ans warme Mittelmeer ging. Sie
schrieb ein Buch darüber: „Wandern, Glück und lange Ohren“ (2021).
In Brandenburg werden von Eselhaltern Wanderungen mit den Tieren angeboten.
Regina Zibell hat einen Bericht „[1][Mit dem Esel durch die Uckermark]“ ins
Netz gestellt. Auf einem Foto sieht man, wie der mit ihrem Gepäck beladene
Esel bockt, stehen bleibt, und wie sie ihn am Halfter zieht, damit es
weitergeht. Eine Kennerin von Eselswanderungen durch die Prignitz rät:
„Möhren mitnehmen!“
## Stress verstärkt die Starre
Die Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin erklärt: „Esel bleiben oft wie
angewurzelt stehen. Zusätzlicher Stress, zum Beispiel durch Schläge oder
Schreie, verstärkt diese Starre eher.“ Die Berliner Philosophin Jutta
Person ist sich mit dem Biologen Cord Riechelmann einig, dass das weder
eine sture noch eine dumme Angewohnheit ist, wie sie in ihren Büchern über
Esel schreiben, sondern eine ganz natürliche und kluge.
Sie eignen sich daher besser als Rampensau denn als Packesel. Die
Volksbühne ließ unter der Leitung von Frank Castorf mehrmals Esel auf der
Bühne auftreten, ebenso das Gorki Theater. In der [2][Zeitschrift
Tierstudien] (1/2012) fragte sich der Dramaturg Maximilian Haas, was das
Lachen des Publikums über Tiere auf einer Theaterbühne bedeutet, nachdem er
ein Stück aufgeführt hatte, in dem ein trauriger Esel die Hauptrolle
spielte, der dazu eigentlich nur dastand und ins Publikum sah. Es läge in
diesem Lachen über den Esel „gleichermaßen eine Quelle der Lust wie ein
Gewaltpotenzial,“ meinte er. Macht das vielleicht die Esel für die
Hauptstadt-Theater attraktiv? (1989/90 gab es noch 500 Spielstätten –
ebenso viele wie Bordelle in Westberlin.)
Die Ost-West-Berliner Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar inszenierte ihr
Stück „Karagöz in Alamania“ („Karagöz bedeutet Schwarzauge“) mit ein…
Bauern und einem Esel in der Hauptrolle. „Der geht mit ihm nach
Deutschland. Weil der Esel nicht mehr als Esel arbeiten muss, entwickelt er
sich zu einem Intellektuellen …“
Am Anfang der Proben zu diesem Theaterstück – es war das erste über Türken
in Deutschland – waren alle gut Freund miteinander. „Auch die Tiere waren
miteinander befreundet, Esel, Schaf, Lamm und Hühner schliefen im selben
Stall nebeneinander.“ Aber nach einer Woche wurden die Schauspieler „böse
aufeinander“, und dann wurden auch die Tiere „böse aufeinander“ – der …
trat das Schaf, das Schaf biss den Esel, das Lamm schrie.
## „Entweder ich oder der Esel“
Die Hauptperson war kein türkischer sondern ein „Frankfurter Esel“. Als er
den türkischen „Star“ trat, sagte dieser: „Entweder ich oder der Esel.�…
Regisseurin Emine Sevgi Özdamar erwiderte: „Ich werde mit dem Esel
sprechen.“ Sie wusste, „all das würde bei der Premiere vergessen sein“, …
würden alle merken, „dass sie sich im Grunde mögen. So war das auch,“
schrieb sie in ihrem Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“ (2021).
Die größte Eselei kommt natürlich aus den USA: Dort halten die Leute Esel,
um mit ihnen wettkampfmäßige Gewaltmärsche zu veranstalten –
„Weltmeisterschaften“ dort genannt. Der Teilnehmer Christopher McDougall
hat ein ganzes Buch über diesen Schwachsinn veröffentlicht: „Das Glück ist
grau“ (2021).
13 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.reiseland-brandenburg.de/erlebnisberichte/uckermark/reine-nerve…
[2] https://neofelis-verlag.de/verlagsprogramm/wissenschaft/animal-studies/1037…
## AUTOREN
Helmut Höge
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