# taz.de -- Coronamaßnahmen in Deutschland: Linke, bleibt autoritätsskeptisch! | |
> Die Coronabestimmungen können zum Teil nur mit härtesten Maßnahmen | |
> durchgesetzt werden. Wo bleibt der Aufschrei der politischen Linken? | |
Bild: Polizeikontrollen in Baden-Württemberg während er Ausgangsbeschränkung… | |
Mit der linken Geduld für Impfverweigerer ist es vorbei. „Viel zu viele | |
benötigen offenbar die Peitsche der Obrigkeit, um sich im Sinne des | |
Gemeinwohls zu verhalten“, [1][schrieb erst vor wenigen Tagen der | |
Schriftsteller Ilja Trojanow in der taz] zum Impfverhalten in diesem Land. | |
Trojanow veröffentlichte 2009 das Buch „Angriff auf die Freiheit. | |
Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte“, in | |
dem er sich kritisch mit staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre von | |
Bürgern auseinandersetzte. | |
Doch in der Covidkrise fantasiert auch er zumindest implizit einen starken | |
Staat herbei, der endlich entschlossener gegen Ungeimpfte vorgehen möge – | |
zum Beispiel durch eine Impfpflicht. | |
Und Trojanow ist wahrlich nicht allein mit seinem Ruf nach einem harten | |
Eingreifen der Obrigkeit. Im vergangenen Winter schon forderten diverse | |
[2][linke Publizisten und Aktivisten einen ZeroCovid-Lockdown]. Um die Zahl | |
der Infektionen auf zero – also null – zu senken, solle es | |
Kontaktbeschränkungen und eine weitgehende Stilllegung des öffentlichen | |
Lebens geben. | |
Zwar warben die Initiatoren dafür, mithilfe von umfangreichen | |
Umverteilungsmaßnahmen die soziale Last gerade für Arme abzufedern – aber | |
trotz allem hätte ein solcher Komplettstillstand die Frage aufgeworfen, wie | |
man entsprechende Vorgaben eigentlich durchsetzt. | |
Die Antwort ist simpel: Mit staatlicher Gewalt – eine andere Möglichkeit | |
gibt es nicht. In der Covidkrise entdeckten und entdecken viele eigentlich | |
antiautoritäre Linke offenbar ihre Liebe zu Polizei und Obrigkeit und | |
nehmen dabei weitgehend kritiklos erhebliche Eingriffe in die | |
Selbstbestimmung von Menschen hin – mitunter von Menschen, die keineswegs | |
zu den Privilegierten im Land gehören. | |
## Schwerverbrechen Autofahren | |
Der Autor dieses Textes hat vor einigen Wochen erst in der Berliner U-Bahn | |
beobachtet, wie vier Sicherheitsleute einen Mann umringten, der keine Maske | |
aufgesetzt hatte. Man verstellte dem Mann „Fluchtwege“, die Körpersprache | |
der Securitys wirkte alles andere als deeskalierend. Breitschultrig | |
thronten sie über dem „Ertappten“, der seinerseits mit hängenden Schultern | |
sofort seine Maske aufzog, nachdem man ihn dazu aufgefordert hatte. | |
Als der Mann, der vermutlich die 50-Euro-Strafe nicht zahlen konnte oder | |
wollte, nur kurz verweigerte, seinen Personalausweis vorzuzeigen, drohten | |
die Männer sogleich mit der Polizei und führten ihn aus der Bahn wie einen | |
Schwerverbrecher. | |
Das sind die Szenen, die eine konsequente Umsetzung von Coronamaßnahmen | |
fast zwangsläufig erzeugt. In Baden-Württemberg errichtete die Polizei im | |
vergangenen Winter Kontrollpunkte, um Autofahrer aufzuhalten, die gegen die | |
damals herrschende Ausgangssperre verstießen. | |
Jovial teilte etwa die Polizei in Stuttgart-[3][Mitte im Dezember mit], | |
dass sie einen Autofahrer aufgegriffen habe, der „glaubhaft versichert | |
[habe], dass er pünktlich losgefahren war“ und nur wegen eines Staus nicht | |
rechtzeitig am Ziel angekommen sei. Am damals ersten Wochenende mit | |
Ausgangssperre habe man es noch bei Ermahnungen belassen. Rechtschaffene | |
Bürger mussten sich vor der Polizei rechtfertigen, warum sie sich frei in | |
der Öffentlichkeit bewegten, obwohl die Erfahrungswerte für den Nutzen | |
einer Ausgangssperre [4][widersprüchlich waren]. | |
In Hamburg jagte die Polizei im März mit einem Streifenwagen einen | |
Jugendlichen durch den Park, weil er – im Freien – gegen Coronamaßnahmen | |
verstieß. Er habe andere „umarmt und abgeklatscht“, teilte die Polizei | |
später mit. Ist das ein Grund, eine gefährliche Verfolgungsjagd in einem | |
öffentlichen Park aufzunehmen? | |
Einen breiten gesellschaftlichen Aufschrei aufseiten der Linken gegen | |
derlei Auswüchse gab es nicht. Der Kreis Hildesheim richtete sogar eine | |
E-Mail-Adresse ein, unter der Bürger Verstöße gegen Coronarestriktionen | |
melden konnten. Ein Stern-Autor sah darin „einen letzten verzweifelten | |
Versuch, diejenigen ins gemeinschaftliche Rettungsboot zu zwingen, die | |
meinen, auf der potenziell tödlichen Welle auch noch surfen zu müssen“. | |
## Arme besonders betroffen | |
Ein Klima der Denunziation machte sich breit. Aktuell ist es vor allem | |
Die Linke, die einen harten Lockdown fordert. Zwar erneut mit sozialem | |
Ausgleich, doch in der politischen Realität in Deutschland dürfte der | |
nächste Lockdown eher wieder kaum ausreichende Kompensation für Arme geben. | |
Laut [5][Reichtums- und Armutsbericht] der Bundesregierung hatten im | |
vergangenen Sommer 30 Prozent der Befragten mit besonders niedrigen | |
Einkommen seit Beginn der Pandemie Probleme, laufende Ausgaben zu decken. | |
Was bleibt, ist vermutlich die harte staatliche Hand. In Thüringen will | |
Gesundheitsministerin Heike Werner, auch sie von den Linken, [6][verstärkt | |
die Polizei einsetzen, um 2G in Lokalen zu kontrollieren]. Polizisten, die | |
durch Gastronomie-Einrichtungen streifen – ist das linke Politik? | |
In Berlin hat der Senat in dieser Woche die 3G-Regeln auf die Nutzung von | |
Bahnsteigen ausgeweitet. Sie gelten auch für Obdachlose, die dort im kalten | |
Winter Unterschlupf suchen. „Grundsätzlich ist es so, dass Kontrolleure | |
Personen abweisen müssen, die die 3G-Bedingung nicht erfüllen“, teilte die | |
Berliner Sozialverwaltung am Dienstag auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. | |
Im schlimmsten Fall werden Sicherheitskräfte nun die Ärmsten der Armen aus | |
warmen Unterschlüpfen vertreiben müssen. | |
## Berufsverbot für Pfleger | |
Längst ist klar, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung sich nicht gegen | |
eine Corona-Infektion wird impfen lassen – was neue Fragen für die | |
politische Linke aufwirft. Die neue Bundesregierung plant derweil, eine | |
Impfpflicht für Pfleger einzuführen. | |
Wer sich nicht fügt, hat [7][praktisch Berufsverbot]. Menschen, die unter – | |
politisch verschuldet – schwersten Bedingungen für wenig Geld einen der | |
wichtigsten Dienste an der Allgemeinheit leisten, werden womöglich | |
arbeitslos. Sollte es irgendwann eine allgemeine Impfpflicht geben, würden | |
Bußgelder vermutlich gerade Arme an die Grenze ihrer sozialen Existenz | |
bringen. Der Ruf nach konsequentem Durchgreifen hat potenziell verheerende | |
soziale Folgen. | |
Der Hass auf die vermeintlichen Delinquenten hat in der Debatte | |
überhandgenommen, wofür nicht zuletzt Äußerungen von Politikern und | |
Medizinern sorgten. Frank Ulrich Montgomery, stellvertretender Vorsitzender | |
des Weltärztebundes, sprach etwa von einer [8][„Tyrannei der Ungeimpften“]. | |
Die Bestrafungsfantasien gegenüber Nichtgeimpften, die sich in der | |
zwischenzeitlichen Abschaffung kostenloser Tests, der Einführung von 2G | |
(obwohl auch Geimpfte ansteckend sind) und der Abschaffung der | |
Entgeltfortzahlung im Quarantänefall zeigt, droht die Gesellschaft noch | |
weiter zu spalten. Hier sollten Linke ein Gegengewicht bilden und die | |
Verteidigung von Bürgerrechten und Solidarität mit vermeintlich Abtrünnigen | |
nicht der politischen Rechten überlassen, die die Zurückgewiesenen nur zu | |
gern in ihre Reihen integriert. | |
Der Impuls der Abneigung, den viele Linke gegen Nichtgeimpfte haben, ist | |
verständlich. Wieso sollte man sich solidarisch zeigen mit Menschen, von | |
denen man glaubt, dass sie ihrerseits unsolidarisch gegenüber der | |
Gemeinschaft handeln? Eine Lösung für das Problem hat der Autor auch nicht. | |
Vielleicht muss man sich mit dem Gedanken abfinden, dass Solidarität | |
mitunter eine Einbahnstraße ist. In Deutschland gibt es keine Todesstrafe | |
und keine lebenslange Haft, weil man auch dem schlimmsten Straftäter eine | |
Rückkehr in die Gesellschaft ermöglichen möchte. | |
Im Vergleich dazu sind Ungeimpfte harmlose Abweichler von der (übrigens | |
ziemlich neuartigen) sozialen Norm. Es sind Nachbarn, Freunde, Kollegen und | |
Menschen, die in anderen Bereichen ihres Lebens einen Dienst an der | |
Gesellschaft leisten. Der autoritäre Staat ist nicht das geeignete Mittel, | |
um ihnen zu begegnen. | |
12 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Solidaritaet-in-der-Pandemie/!5815713 | |
[2] /Vorschlaege-der-Initiative-Zero-Covid/!5739231 | |
[3] https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.coronavirus-in-stuttgart-poli… | |
[4] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/uni-giessen-naechtliche-ausgangs… | |
[5] https://www.tagesschau.de/inland/corona-armut-105.html | |
[6] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/corona-regeln-verordnung-polizei-… | |
[7] /Impfpflicht-in-Gesundheitsberufen/!5821531 | |
[8] https://www.philomag.de/artikel/tyrannei-der-ungeimpften-zugespitzt-aber-et… | |
## AUTOREN | |
Jörg Wimalasena | |
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