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# taz.de -- Scholz im Bundestag: Die neue Kanzlerin
> Olaf Scholz outet sich bei seiner Antrittsrede als Merkel – nur ohne
> Humor. Baerbock und Lindner polieren unterdessen ihr Englisch auf.
Bild: Olaf Scholz stellt im Bundestag den Koalitionsvertrag vor
Die Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet mich
wenig unterhaltsam. Immer wenn ich aushole, um ihr die Welt zu erklären
oder wenigstens das, was mir gerade politisch interessant erscheint, sinken
die Augenlider sofort auf Halbmast. Alsbald klammert sie sich mit beiden
Händen ans Handy, der Blick wird glasig. Lediglich wenn ich das Denglisch
von Annalena Baerbock imitiere, ist mit Aufmerksamkeit zu rechnen. Sie
findet es allerdings im Original lustiger.
Die neue Außenministerin wird gerade noch getoppt [1][from se new finance
minister Christian Lindner], der diese Woche mit Ausspracheproblemen und
Wortfindungsstörungen in die Anglosphäre eintrat. Doch Peinlichkeit ist
reine Gewohnheitssache. Der Ausruf, „du bist peinlich“, ist beispielsweise
mein ständiger Alltagsbegleiter. Ich bin inzwischen gar nicht mehr so
erschrocken wie zu Anfang.
Je nach Minderjährigenlaune reicht das Peinliche, das von meiner Person
ausgeht, vom Mitsingen „Alter-Leute-Musik“ bis hin zum schlichten Ein- und
Ausatmen. Christian Lindner ist ähnlich abgehärtet. Seine
Peinlichkeitskarriere begann früh. Schon in der Oberstufe ging er als
Businessman verkleidet in die Schule. In ihren dunklen Anzügen sehen
Christian und sein Geschäftsfreund-Klassenkamerad Christopher aus wie
Babyrobben auf dem Weg zu einer Beerdigung. Irgendwie niedlich, aber auch
albern.
Dank des [2][Jugendmagazins „100 Grad“ der Deutschen Welle sind diese
Szenen aus dem Jahr 1997] für die Nachwelt überliefert. Lindner beendet
diesen Beitrag mit den Worten: „Probleme sind nur dornige Chancen.“ Wow.
Seitdem frage ich mich: Ist Lindner als Finanzminister vielleicht nur eine
dornige Chance? Werden wir, während er sein „Th“ übt, durch ein
Dornengestrüpp gezerrt, um am Ende der Legislatur die Chance zu haben, ihn
abzuwählen?
Wie man hört, hat die CDU/CSU-Fraktion ein Problem damit, im Bundestag
neben der AfD zu sitzen. Doch die neue Ampelregierung hat die Union diese
Woche ohne jedes Mitgefühl für die muttilose Gemengelage überstimmt, damit
die Koalitionär*innen zusammensitzen können. Die FDP rückt in die Mitte
auf und [3][die Union wird nach rechts geschoben]. Aber keine Sorge, liebe
Union, Probleme sind nur dornige Chancen.
Zum Beispiel die Chance, sich immer hübsch deutlich abzugrenzen von den
uncoolen Sitznachbarn. Ich freue mich auch schon darauf, im nächsten
Personalgespräch – sollte es etwa Klagen über den stets zu spät befüllten
Themenplaner oder vergessene Bildunterschriften geben –, die Chefinnen auf
Probleme als dornige Chancen zu verweisen.
Überhaupt ist so viel zu lernen in diesem neuen Ampelzeitalter, vor allem
sprachlich gilt es sich nun schnellstmöglich anzupassen. Bei
Bundeskanzlerin Olaf Scholz ist es noch relativ einfach. Man streut einfach
möglichst oft das Wort Respekt ein, ob es nun passt oder nicht. So wie in
seiner ersten Regierungserklärung diese Woche; sein Coming-out als Angela
Merkel ohne Humor.
Bei Baerbock ist ein Wort zu lernen, dass in dieser Form noch nie so
ungebremst in die Sätze purzelte. Ein Tweet von dieser Woche: „Eine
gemeinsame EU-Außenpolitik ist für mich nicht die Summe des kleinsten
gemeinsamen Nenners. Brauchen gemeinsamen Takt für gemeinsame
Außenpolitik.“ Das setzt ganz neue Standards.
Superklimawirtschaftsminister Robert Habeck liebt indes das Wort
„Wirklichkeit“. Die Ampel ist ein „Aufbruch in die Wirklichkeit“, man m…
sich „mit der Wirklichkeit auseinandersetzen“ und natürlich auch „die
Wirklichkeit verändern“. Jetzt steht es fest: Wir leben wirklich in der
wirklichen Wirklichkeit. Wer hätte das gedacht.
Die Minderjährige wünscht sich nun auch einen Aufbruch in die Wirklichkeit.
Sie würde die Wirklichkeit gern dahingehend verändern, dass meine
Erwartungen an sie angepasst werden. In der Wirklichkeit ist es nämlich so,
dass Mahlzeiten vor dem Fernseher so viel unterhaltsamer sind. Es wäre
respektvoller, gemeinsamer und auf eine dornige Art wirklicher.
18 Dec 2021
## LINKS
[1] https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Lindner-mueht-sich-bei-Antritt…
[2] https://www.youtube.com/watch?v=w0rL6Ju9H2Q
[3] /Neue-Sitzordnung-im-Bundestag/!5818766
## AUTOREN
Silke Mertins
## TAGS
Bundestag
Olaf Scholz
Christian Lindner
Annalena Baerbock
Kolumne Der rote Faden
Kolumne Der rote Faden
Schwerpunkt Coronavirus
Katrin Göring-Eckardt
Ampel-Koalition
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