| # taz.de -- Polizeieinsatz vor Ida Ehre Schule: „Verhältnismäßig und recht… | |
| > Im August sollen Hamburger Schüler einen Polizisten gegen den Kopf | |
| > getreten haben. Dessen Verhalten bei dem Vorfall wird kritiklos | |
| > durchgewunken. | |
| Bild: Stand auf einmal mit Mittelpunkt oft einseitiger Berichterstattung: Die H… | |
| Hamburg taz | Als am Nachmittag des 21. August dieses Jahres diese Meldung | |
| über den Ticker lief, kam sie für unseren Redaktionsschluss zu spät und | |
| blieb liegen: „Brutaler Schüler-Angriff auf Polizisten in Hamburg“. Die | |
| meisten anderen Medien brachten die Meldung sofort. „Brutale Prügel-Attacke | |
| in Hamburg: 80 Schüler gehen auf Polizisten los“, titelte etwa der Focus. | |
| Und das Hamburger Abendblatt kündigte eine „harte Reaktion“ des | |
| Schulsenators an. | |
| Nach einer Horroraktion von Monsterkids hörte sich an, was sich vor dem Tor | |
| der [1][Eimsbüttler Ida Ehre Schule zugetragen] haben sollte. Grundlage der | |
| Texte war [2][eine Pressemitteilung der Polizei Hamburg]. Mehrere Schüler | |
| hätten einen Schulpolizisten, der einen Streit zwischen zwei Jungen habe | |
| schlichten wollen, „tätlich angegriffen“. Ein an der Schule tätiger „Co… | |
| habe Streit zwischen zwei Jungen schlichten wollen und sei dabei | |
| angegriffen und „mehrfach gegen den Kopf getreten“ worden. „Nur weil der | |
| Polizeibeamte bei dem Einsatz noch seinen Fahrradhelm trug, blieb er | |
| unverletzt“, schrieb die Polizeipressestelle. | |
| Bei der Lektüre der Pressemitteilung fielen einige Adjektive auf. So habe | |
| einer der Streitenden, die der Beamte habe trennen wollen, „vehement“ eine | |
| Hand unter seiner Jacke verborgen und sie auch nach Aufforderung nicht | |
| gezeigt. Da der Polizist den 13-Jährigen bereits gekannt habe und nicht | |
| habe ausschließen können, dass er bewaffnet war, habe er dessen Arme | |
| fixiert. Da der Junge dabei um sich geschlagen habe, habe er ihn „zu Boden | |
| bringen und weiterhin fixieren“ müssen. Die ringsum stehenden Kinder und | |
| Jugendlichen hätten sich dann „auf hochaggressive Weise“ mit dem | |
| Festgehaltenen solidarisiert und den am Boden liegenden Polizisten | |
| bedrängt. | |
| Ob der Junge tatsächlich bewaffnet gewesen war, ließ die Pressemitteilung | |
| offen. Auf taz-Nachfrage räumte die Pressestelle am darauf folgenden | |
| Sonntag ein, dass der Junge nicht bewaffnet war. Bald darauf kursierte ein | |
| Video, dass den Polizisten auf dem Jungen zeigte, und Kinder, die ihm | |
| zuriefen: „Hören Sie auf!“, „hören Sie auf“, „er kriegt keine Luft … | |
| „der Typ ist 13“. | |
| Bei aller berechtigten Empörung über Tritte gegen den behelmten Kopf – wir | |
| sahen auf dem Video zwei – stellten wir die [3][Frage nach dem Verhältnis | |
| von Aktion und Reaktion], musste doch das beschriebene Zubodenbringen auf | |
| Kinder und Jugendliche bedrohlich gewirkt haben. Ihr Versuch, dem Jungen | |
| beizustehen, könnte ein verständlicher Impuls sein, auch wenn Tritte | |
| inakzeptabel sind. | |
| Schulbehörde und auch Schulleitung konzentrierten sich in der | |
| Öffentlichkeitsarbeit darauf, das Verhalten der Kinder zu verurteilen. Die | |
| Rektorin erklärte in einer über den Presseverteiler der Behörde | |
| verbreiteten Stellungnahme, sie sei entsetzt vom Gewaltpotenzial der Kinder | |
| und erschrocken über deren Empathielosigkeit und darüber, „mit welchem | |
| Selbstverständnis und in entfremdender Form 'gegafft’ wird“. Elf Schüler | |
| wurden suspendiert. | |
| Die Bild-Zeitung veröffentlichte bald darauf einen Bericht mit der | |
| Überschrift „Die Gewalt-Akte der Ida-Ehre-Schläger“, in dem fünf Kinder | |
| aufgeführt wurden, die einiges „auf dem Kerbholz“ hätten, zum Beispiel | |
| „Widerstand“. Das Medienecho blieb nicht ohne Wirkung. Die Schulsprecher | |
| wandten sich kurz darauf hilfesuchend an den Elternrat, weil sie sich in | |
| den sozialen Medien „gebasht und als Schläger gebrandmarkt“ sahen, wie eine | |
| Elternrätin berichtete. | |
| Der Elternrat kritisiert daraufhin die Öffentlichkeitsarbeit von Polizei, | |
| Schulbehörde und Schulleitung, die [4][Kinder pauschal zu kriminalisieren]. | |
| Diese hätten gar nicht erst erwogen, dass viele Schüler aus Zivilcourage | |
| stehen geblieben seien und weil sie dachten, dass der am Boden Liegende | |
| Hilfe braucht. | |
| Die taz [5][sprach mit einem Schüler], der damals direkt vor Ort war und | |
| eben dieses Motiv schildert. „Er hatte ihn im Schwitzkasten“, beschrieb der | |
| 14-Jährige die Situation. „Der Typ hat laut gerufen, er kriegt keine Luft | |
| mehr. Der Polizist hat nicht darauf reagiert.“ Da habe ihn einer an den | |
| Kopf getreten. „Er hat versucht, ihn runterzutreten, weil er dachte, dass | |
| der andere erstickt.“ | |
| Damals kamen zwölf Streifenwagen hinzu, trennten die Menge und nahmen drei | |
| Kinder mit zur Wache. Dabei hätten die Beamte auch den Schlagstock gezeigt | |
| und seien rabiat gewesen, erinnert sich der Junge. In dieser Lage hätten | |
| einige Schüler eine Kette gebildet und „ACAB“ gerufen. „Aber zu sagen, es | |
| gab eine Massenschlägerei, ist ganz falsch.“ | |
| Die Linken-Abgeordnete Sabine Boeddinghaus und ihr Referent Hanno Plass | |
| widmeten dem Vorgang einen längeren Text in ihrem „Bürgerinnenbrief“ und | |
| zitierten einen Kampfsport-Experten, der vermutet, dass es sich beim | |
| angewandten Griff um einen potenziell tödlichen Würgegriff handelt. Der | |
| Stern schrieb daraufhin von einer „[6][Wende bei der Aufklärung des | |
| Falls]“, denn nun werde auch intern gegen den Polizisten ermittelt. | |
| Auch die taz sprach mit diesem Kampfsportexperten. Er heißt Jan Henning | |
| Bode und sagte, dass auf den ihm von dem Vorfall vorgelegten Videos ein | |
| „Scarf Hold Chest Choke“-Griff zu sehen sei, der wegen seiner | |
| Gefährlichkeit bei der Polizei in New York verboten sei. | |
| Darauf angesprochen, erklärte ein Polizeisprecher, dieser Griff werde bei | |
| der Polizei nicht gelehrt und es könne auch nicht beurteilt werden, ob | |
| diese Grifftechnik Anwendung fand. Es werde aber der gesamte Einsatz vom | |
| Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) in alle Richtungen überprüft. Dazu | |
| gehöre auch eine Untersuchung des „polizeilichen Einschreitens“. Dieselbe | |
| Auskunft gab uns auch die Staatsanwaltschaft. | |
| Nun, vier Monate später, stellte die Fraktion [7][Die Linke eine Anfrage], | |
| um zu herauszufinden, was aus den Ermittlungen wurde. Denn es gebe „die | |
| berechtigte Vermutung, dass der Cop4U durch seine Übergriffigkeit erst zu | |
| dieser Eskalation beigetragen hat“. | |
| In der Antwort teilt der Senat nun mit, dass es gegen den Cop4U-Beamten | |
| keineswegs ein Ermittlungsverfahren gibt. Besagtes DIE-Dezernat ermittle | |
| nur gegen vier weitere am Einsatz beteiligte Polizeibeamte, gegen die eine | |
| Mutter Strafanzeige wegen Körperverletzung stellte. Ein anderes Verfahren | |
| richte sich gegen fünf Schüler wegen Widerstands gegen Beamte. Vier von | |
| ihnen würden eingestellt, weil die Beschuldigten Kinder sind. Das Verfahren | |
| gegen einen 15-Jährigen dauere an, hier werde das „umfangreiche | |
| Aktenmaterial“ ausgewertet. | |
| ## Cop4U wieder im Einsatz | |
| Der Cop4U sei wieder im Einsatz, das sei auch Wunsch der Schulleitung. Eine | |
| „Evaluation“ des Einsatzes habe ergeben, dass dessen Einsatz | |
| „verhältnismäßig und rechtmäßig“ gewesen sei. Denn „Maß und Mittel�… | |
| sich ausschließlich aus dem Verhalten der Kinder ergeben. Im Vorfeld habe | |
| ein Vater Anzeige gegen den 13-Jährigen gestellt. Das Ziel sei die | |
| Verhinderung von Straftaten gewesen. | |
| Auch der Sprecher der Schulbehörde zieht als Fazit, die Schulgemeinschaft | |
| und die Schulleitung hätten „auf den schweren Gewaltvorfall pädagogisch | |
| angemessen reagiert“. Die Aufarbeitung sei nicht abgeschlossen, mache aber | |
| „große Fortschritte“. | |
| Keinen Niederschlag in den Ausführungen des Senats findet die | |
| [8][grundsätzliche Kritik am Einsatz von Schulpolizisten], die infolge | |
| dieses Vorfalls laut wurde. Die Erziehungswissenschaftlerin Sinah Mielich | |
| beschäftigte sich 2010 im Rahmen einer Studienarbeit mit dem | |
| „Cop4U-Konzept“ und hält es für falsch. Denn die Polizisten übernähmen | |
| pädagogische Aufgaben, bauten Vertrauen zu den Schülern auf, seien aber | |
| keine Pädagogen, sondern Polizisten, die Strafanzeigen stellen. | |
| Mielich sieht ihre Kritik nun bestätigt. „Den Medienberichten zufolge | |
| geschah das gewalttätige Agieren des Polizisten auf Basis einer Vermutung | |
| und damit auf Grundlage einer Stigmatisierung des Schülers“, sagte sie. | |
| „Eskalative Konfliktführung hilft in so einer Situation nicht zur | |
| Verständigung.“ Schon die Programmatik des Cop4U habe einen Fehler, da | |
| nahezu jeder Konflikt unter dem Etikett der Jugendkriminalität eingeordnet | |
| werde. Zudem verlocke sie die Schulen dazu, „bei jeder Kleinigkeit ihren | |
| Hauspolizist zu rufen“. | |
| ## Weitere Schwachstellen | |
| Der Fall legt noch weitere Schwachstellen des Hamburger Konzepts | |
| „[9][Handeln gegen Jugendgewalt]“ offen. So führt Hamburg auffällige Kind… | |
| und Jugendliche [10][in einer Datenbank], in die verschiedene Behörden | |
| Details einspeisen und die – zum Missfallen des Datenschutzbeauftragten – | |
| zentral bei der Polizei gepflegt wird. Auch wenn der Senat nun beteuert, | |
| alle Behörden hätten sich „in keiner Weise an der medialen Bloßstellung von | |
| Jugendlichen beteiligt“, fragt man sich doch, woher denn die Medien die zu | |
| einzelnen Kindern veröffentlichten Informationen hatten? | |
| Zum Ärger des Elternrats griff der NDR Ende November das Thema unter dem | |
| Titel „[11][Gewaltausbruch vor der Ida-Ehre-Schule]“ wieder auf. Solch | |
| negative Berichterstattung schade, schreibt der Elternrat in einem | |
| [12][Brief an die Schulbehörde]. Die Schüler müssten sich nicht nur im | |
| Internet als „Polizistenverprügler“ wieder finden, sondern würden auch bei | |
| Bewerbungen abgelehnt. Kurzfristig nötig sei ein Konzept, dass das | |
| Außenbild der Schule verbessert. | |
| Der Leiter der „Beratungsstelle Gewaltprävention“ der Schulbehörde, | |
| Christian Böhm, äußerte in besagtem NDR-Beitrag aber auch Verständnis für | |
| die Schüler. Er höre immer mehr Stimmen von Kindern und Jugendlichen, dass | |
| sie aufgrund der Situation total verunsichert waren. „Und das, finde ich, | |
| müssen wir berücksichtigen.“ | |
| 28 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Eskalation-vor-Hamburger-Schule/!5794958 | |
| [2] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/6337/4998989 | |
| [3] /Schulkinder-pruegeln-Polizisten/!5795024 | |
| [4] /Elternrat-kritisiert-Schulleitung/!5795667 | |
| [5] /Gewalt-vor-der-Hamburger-Ida-Ehre-Schule/!5799535 | |
| [6] https://www.stern.de/gesellschaft/ida-ehre-schule--interne-ermittlungen-geg… | |
| [7] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/78267/polizeiuebergriff_au… | |
| [8] /Erziehungsforscherin-ueber-Schul-Polizei/!5794004 | |
| [9] /Hamburgs-Konzept-gegen-Jugendgewalt/!5793100 | |
| [10] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/76040/datenschutz_und_das… | |
| [11] https://www.ndr.de/903/podcasts/Der-Polizeireporter-Podcast-Angriff-vor-de… | |
| [12] https://er-ies.de/stellungnahme-2021/nachhaltig-falsche-berichterstattung-… | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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